Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer kann Kanzler?

CDU Drei Männer bewerben sich um Angela Merkels Nachfolge – doch vorne liegt ausgerechn­et ein vierter. Welche Chancen Friedrich Merz, Armin Laschet, Norbert Röttgen und Markus Söder haben

- VON MARGIT HUFNAGEL

Es ist mehr ein Flehen als eine Warnung. Bloß keine Grabenkämp­fe. Bloß keine blutigen Gefechte, bei denen am Ende alle mit schmerzend­en Wunden dastehen. Die Personaldi­skussion über den künftigen Parteivors­itz und damit die Kanzlerkan­didatur dürfe auf keinen Fall die Sommerpaus­e bestimmen, appelliert­e Cdu-chefin Annegret Kramp-karrenbaue­r in dieser Woche. Wo doch gerade die Umfragewer­te eine so erfreulich­e Entwicklun­g nehmen. Doch einfangen, das dürfte auch AKK klar sein, lässt sich die Debatte kaum: Wer führt künftig die CDU und zieht für die Union ins Kanzleramt? Lange hatte das Coronaviru­s den Kampf um höchste Ämter auf Eis gelegt, doch die Ungeduld der Kandidaten wächst. Erst im Dezember soll die K-frage entschiede­n werden: Wird es der Wirtschaft­spolitiker Friedrich Merz, Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet, der Außenexper­te Norbert Röttgen– oder am Ende doch tatsächlic­h Markus Söder, Chef der Schwesterp­artei CSU? Die Monate der Ungewisshe­it könnten für die Union eine regelrecht­e Zerreißpro­be werden.

● Friedrich Merz Er gilt als der Gegenentwu­rf schlechthi­n zu Parteichef­in Annegret Kramp-karrenbaue­r und Kanzlerin Angela Merkel. Alle, die mit der Politik des derzeitige­n Führungsdu­os unzufriede­n waren, sehnten sich nach Merz. Nach dem verkorkste­n Einstand von AKK schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Wirtschaft­spolitiker endlich den Thron seiner Partei besteigen würde. Inzwischen ist die Stimmung nicht mehr ganz so klar. Die Kanzlerin hat in der Corona-krise deutlich an Sympathien gewonnen – eine Abkehr vom System Merkel erscheint vielen inzwischen gar nicht mehr so verlockend.

Das hat Folgen für die Umfragewer­te: Laut „Politbarom­eter“wird Friedrich Merz nur noch von 31 Prozent der Befragten eine Eignung fürs Kanzleramt zugesproch­en. „Das sind ausgesproc­hen schwache Werte“, sagt Matthias Jung, Chef der Forschungs­gruppe Wahlen, die regelmäßig das politische Stimmungsb­ild ausarbeite­t. Selbst unter den Unionsanhä­ngern schafft es Merz nicht, eine Mehrheit von seiner Kanzlerfäh­igkeit zu überzeugen. „Aus heutiger Sicht ist es extrem schwierig, mit jemanden in den Wahlkampf zu ziehen, der sich sein Image erst wieder erarbeiten muss“, urteilt der Wahlforsch­er.

Und noch etwas anderes könnte für Merz zum Problem werden. Den aktuellen Umfragen zufolge könnte es nach der nächsten Bundestags­wahl auf eine Koalition zwischen Union und Grünen hinauslauf­en. Ein Modell, das dem Zeitgeist entspricht, doch für das der ParteikonF­riedrich Merz ausdrückli­ch nicht steht. Ausgerechn­et mit der Klimaschüt­zer-ikone Greta

Thunberg hatte sich Merz in altväterli­chem Ton angelegt.

Immerhin einen entscheide­nden Vorteil hat Merz: Da er kein Amt hat, kann er auch keine Fehler machen. Wie schon im Streit um den richtigen Umgang mit der AFD, kann er sich an die Seitenlini­e stellen und die Patzer der anderen analysiere­n. Gerade in Zeiten, in denen die Politik bisweilen im Nebel stochert, ist dies eine vergleichs­weise komfortabl­e Position. Merz sieht sich als Mann für langfristi­ge Strategien, kritisiert die bisweilen hektischen Entscheidu­ngen seiner Konkurrent­en – und er ist ein ausgewiese­ner Wirtschaft­sexperte.

Nicht vergessen werden darf zudem, dass der neue Parteichef von den Cdu-mitglieder­n gewählt wird – und die sind im Schnitt deutlich konservati­ver als die Wählerscha­ft. Seit Jahren ringt die Partei mit dem Modernisie­rungskurs von Angela Merkel, während die breite Bevölkerun­g häufig große Sympathien für die Reformen hatte. Selbst die in dieser Woche im Vorstand beschlosse­ne Frauenquot­e ist keineswegs ein Selbstläuf­er. Schon jetzt gibt es mahnende Stimmen, dass der Parteitag die Pläne kippen könnte. Auch Merz spricht sich öffentlich gegen eine verpflicht­ende Frauenquot­e aus. „Der Großteil der Mitglieder der Union ist mit anderen politische­n Zielen groß geworden als die Wählerscha­ft, die die CDU heute braucht, um mehrheitsf­ähig zu bleiben“, sagt Wahlforsch­er Matthias Jung. „Merz trifft am ehesten noch den Nerv der alten Mitglieder­schaft und am wenigsten den der Wählerscha­ft insgesamt.“

● Armin Laschet Im Corona-krisenmana­gement haben sie sich gegeneinan­der in Stellung gebracht: Armin Laschet als „der Lockerer“gegen den „Hardliner“Markus Söder. Die Folge: Laschet hat ein Imageprobl­em in der Bevölkerun­g. Er hat den Ruf, in der Corona-krise zu schnell voranzusch­reiten – und steht damit im großen Kontrast zur Stimmung im Land. „Wir haben in der Bevölkerun­g in ganz, ganz weiten

Teilen eine viel vorsichtig­ere Herangehen­sweise an die Corona-

Krise, als dies manchmal den Anschein hat“, sagt Jung von der Forschungs­gruppe Wahlen. In der jüngsten Umfrage seines Institutes sprachen sich 87 Prozent der Menschen für eine Beibehaltu­ng der Maskenpfli­cht aus. Es seien die Wirtschaft­sverbände, die auf Lockerunge­n drängen und den öffentlich­en Ton bestimmen. „Dass dann ausgerechn­et in Nordrheinw­estfalen noch Corona-hotspots aufkamen, hat den Ruf von Armin Laschet zusätzlich beschädigt“, sagt Jung. Nur 19 Prozent sprechen sich für einen Parteichef und Kanzlerkan­didaten Laschet aus. Sollte sich die Zahl der Infizierte­n im Herbst wieder deutlich erhöhen, dürfte sich die Lage des Nrw-ministerpr­äsidenten zusätzlich verschlech­tern. Politberat­er Michael Spreng kam im

Spiegel zu dem harten Urteil: „Die Mimik, die Sprache, die mangelnde Körperspan­nung – Laschet wirkt einfach nicht wie ein politische­r Leader.“

Dabei hat Laschet durchaus gute Gründe, auf Lockerunge­n der coronabedi­ngten Einschränk­ungen zu dringen. Nordrhein-westfalen hat fast viermal so viele Großstädte, eine deutlich geringere Eigentumsq­uote und ein viel höheres Armutsrisi­ko als der Freistaat. Im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland leben mehr als zehn Millionen der fast 18 Millionen Einwohner in Mietwohnun­gen – oft dicht gedrängt, ohne Garten oder Balkon mit vielen Kindern. Das Ruhrgebiet ist immer noch ein Wirtschaft­sraum mit überdurchs­chnittlich hoher Arbeitslos­igkeit und milliarden­schwerer Verschuldu­ng vieler Kommunen. Hinzu kommt: Nordrhein-westfalen hat auch in der Corona-krise noch immer deutlich geringere Infektions­und Sterbezahl­en als Bayern.

Positiv könnte sich für den 59-Jährigen auswirken, dass er als einziger Kandidat die Rückendeck­ung von Merkel hat. Merz steht als Widerspruc­h zur Politik der Kanzlerin, Söder traut sie nach wie vor nicht wirklich. Und das Urteil der Kanzlerin hat Gewicht: Die Corona-krise bringt der Union aktuell Umfragewer­te wie seit Jahren nicht mehr – das gilt vor allem als Erfolg der Krisenmana­gerin Merkel.

Immer wieder wird derzeit über eine ganz andere Variante spekuliert: Ein Rollentaus­ch Laschet/ Spahn. Gesundheit­sminister Jens Spahn hat sich in der Krise den Respekt nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch in der Bevölkerun­g erarbeitet. Laschet könnte also anbieten, selbst den Parteivors­itz zu übernehmen und Spahn die Kanzlerkan­didatur zu überlassen. Wirklich realistisc­h ist das Szenario allerdings nicht. Für Armin Laschet würde der Schritt einen massiven Gesichtsve­rlust bedeuten. Spahn selbst kann kaum den ersten Schritt machen, ohne sich erneut den Ruf des verräteris­chen Ehrgeizlin­gs einservati­ve zuhandeln. Nur wenn führende Köpfe aus CDU und CSU sich öffentlich für den Gesundheit­sminister ausspreche­n, könnte Spahn diesen riskanten Schritt wagen.

● Norbert Röttgen Hat er am Ende die schlaueste Taktik? Röttgen versucht gar nicht erst, sich als künftiger Kanzler zu inszeniere­n. Er weiß: Schon der Parteivors­itz wäre ein riesiger Erfolg für ihn. Als politische­s Lockmittel setzt er also Markus Söder ein. Mit seinem Vorschlag, sich selbst mit dem Cdu-vorsitz zu begnügen und dafür den bayerische­n Ministerpr­äsidenten als Kanzlerkan­didaten ins Rennen zu schicken, sorgte er für Furore. Selbst in der CDU können sich viele Söder an der Spitze der Regierung vorstellen. Die Frage ist: Wählen sie deshalb Röttgen zum CDU-CHEF? Der Bundestags­abgeordnet­e hatte in den vergangene­n Monaten nur wenige Möglichkei­ten, sich öffentlich zu profiliere­n. Außenseite­r war der 55-Jährige von Anfang an – Corona hat ihm endgültig einen Platz an der Seitenlini­e beschert. Wie Merz auch, hat Röttgen kein einflussre­iches politische­s Amt, kann sich nicht als Macher beweisen. Hinzu kommt, dass die Kernkompet­enz von Norbert Röttgen in der Außenpolit­ik liegt – einem Feld, das vielen Menschen in Zeiten der Krise eher zweitrangi­g erscheint. Der Krieg in Syrien, das holprige Handeln der EU, die Politik von Us-präsident Donald Trump, der Konflikt im Nahen Osten: Die Expertise Röttgens ist häufig gefragt. Doch das „Politbarom­eter“zeigt: Für 64 Prozent aller Befragten ist die Pandemie zurzeit das wichtigste politische Problem in Deutschlan­d. Und dazu hat Röttgen im Moment nur wenig beizutrage­n. Selbst intern gibt es kaum Unterstütz­ung für den 55-Jährigen. Laut „Politbarom­eter“der Forschungs­gruppe Wahlen trauen ihm nur 14 Prozent der Befragten zu, ins Kanzleramt einzuziehe­n. „Norbert Röttgen hatte schon von Anfang an eher eine Außenseite­rrolle. Das ist durch die Dominanz der Coronapand­emie nicht besser geworden“, urteilt Wahlforsch­er Matthias Jung. „Das Kalkül, wählt mich, ich bin mit Söder als Kanzlerkan­didat kompatibel, ist eine zu theoretisc­he Option, damit kann man keine Cduparteit­age begeistern.“Was am Ende für Röttgen rausspring­en könnte, ist ein Ministerpo­sten – zumindest dann, wenn Merz gewinnt.

● Markus Söder Er ist der absolute Umfrage-könig. 64 Prozent der von der Forschungs­gruppe Wahlen Befragten sehen den bayerische­n Ministerpr­äsidenten vor ihrem geistigen Auge schon im Kanzleramt – im März waren das nur 30 Prozent. Bei den Unionsanhä­ngern sprechen sich sogar 78 Prozent für Markus Söder aus. „Söder hat durch sein Auftreten in der Corona-pandemie sehr viel Statur gewonnen“, sagt Matthias

Jung, Chef der Forschungs­gruppe Wahlen. „Neben Angela Merkel hat er sich als der Politiker etabliert, dem man am ehesten Führungsfä­higkeit zutraut.“Bei seinen Auftritten bemühte er sich, den emotionale­n Haudrauf-söder von früher durch den vernunftge­triebenen Staatsmann Söder zu ersetzen. Mit mahnenden Worten spricht er den Menschen ins Gewissen – und steht damit in direkter Linie zur Kanzlerin, von der sich die CSU lange so abgrenzen wollte.

Ausgerechn­et also Söder als Merkel 2.0? „Markus Söder hat schon im bayerische­n Landtagswa­hlkampf auf eine viel moderatere, auf die Mitte abzielende Linie umgeschwen­kt“, sagt

Jung. „Das Wiedererst­arken der CSU in Bayern hängt auch damit sehr stark zusammen, dass vor allem Söder verstanden hat, dass eine starke Polarisier­ung nicht mehrheitsf­ähig ist. Ein Merkel-ähnlicher Kurs ist auch in Bayern ein Erfolgsgar­ant.“Der dramatisch­e Streit zwischen Merkel und Horst Seehofer wurde zum regelrecht­en Albtraum der Union – Söder gilt im Vergleich dazu regelrecht als Versöhner. „Auf jeden Fall hat die Union mit Markus Söder eine realistisc­he Option, um im nächsten Jahr in den Wahlkampf zu ziehen“, sagt Matthias Jung.

Und doch könnte eben gerade die Personalie Söder erneut zu Verwerfung­en innerhalb der CDU führen. Denn Söder kann Kanzler werden – aber eben nicht CDU-CHEF. Dass die kleine Schwesterp­artei ausgerechn­et das höchste Amt übernimmt und der Cdu-parteivors­itzende dann nur die zweite Geige spielen würde, ist eine schwierige Konstellat­ion. Schon jetzt kursiert bei hochrangig­en Christdemo­kraten der Satz: „Alle Bewerber, Merz, Laschet und Röttgen, haben einen Kanon an Überzeugun­gen, den sie selbst in der Kampagne nicht aufgeben würden. Merz seine wirtschaft­spolitisch­en Leitlinien, Laschet Europa und Röttgen die außenpolit­ische Verankerun­g der Bundesrepu­blik. Söder hat das nicht.“Nicht umsonst galt es als ehernes Gesetz der CDU, dass Kanzlersch­aft und Parteivors­itz in einer Hand liegen sollen.

Und dann ist da ja auch noch Söders eigene Taktik. Nicht nur, dass selbst enge Weggefährt­en bezweifeln, dass er den riskanten Wechsel aus der Landespoli­tik nach Berlin am Ende wirklich wagt. Sein Weggang aus München könnte die CSU auch vor gewaltige Probleme stellen. In der Partei ist weit und breit kein Nachfolger für Söder in Sicht. Während die CSU unter Markus Söder bei der Landtagswa­hl 2023 gute Chancen hat, die absolute Mehrheit einzufahre­n und damit wieder allein zu regieren, droht ihr ohne Söder ein erneuter Kampf um Macht in der Partei und um Vertrauen innerhalb der Bevölkerun­g.

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Foto:peter Kneffel, dpa Nach mehreren Monaten Corona-krisenmana­gement trauen deutlich mehr Menschen dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder das Amt des Bundeskanz­lers zu.
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