Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ist Corona-test gleich Corona-test?
Der Freistaat bietet nun all seinen Bürgern an, sich untersuchen zu lassen. Doch Experten halten das für übertrieben. Zumal es bislang viele Fehlerquellen gibt
München/marburg Nicht unumstritten ist der bayerische Vorstoß, dass sich die gesamte Bevölkerung des Freistaates per Abstrich auf Covid-19 testen lassen kann. Spitzenpolitiker anderer Länder sowie des Bundes halten das für übertrieben. Und dann gibt es auch noch fachliche Skepsis: Sind die Abstrich-ergebnisse überhaupt aussagekräftig? Wir beantworten wichtige Fragen.
Welche Fehlerquellen gibt es beim Abstrich, also beim sogenannten RT-PCR-TEST, um Covid-19-infektionen zu diagnostizieren?
Eine wichtige Fehlerquelle ist nach Angaben des Marburger Labormediziners Professor Harald Renz der Abstrich an sich. „Der Test heißt nicht umsonst Nasen-rachen-abstrich“, sagt der Arzt, der auch Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin ist. Heißt: Der Tupfer muss ganz durch die Nase in den Rachen geschoben werden. „Und das tut weh“, sagt Renz. Darum seien Fehler bei der Abstrichentnahme quasi programmiert. Zwar gibt es bei einer Testung noch einen zweiten Abstrich – den Mundrachen-abstrich. Aber manchmal sitzt das Virus eben genau zwischen Nase und Rachen. Wird der Nasenrachen-abstrich nicht fachgerecht durchgeführt, kann er fehlerhaft sein. Nach Angaben von Renz geht man von 20 Prozent falsch-negativen Testergebnissen aus. Heißt: Ein Fünftel der Infizierten bliebt beim Testen unentdeckt.
Welche Fehlerquellen existieren noch beim RT-PCR-TEST?
Grundsätzlich gibt es dabei zwei Test-arten. Zum einen den hochspezifischen Test, der nur genetisches Material des neuen Coronavirus nachweist. Aber es gibt auch Tests, die auf jedes Virus der Coronafamilie anschlagen. Das kann auch bei einem harmlosen Schnupfen der Fall sein. „Viele – auch Ärzte – interpretieren diese Ergebnisse aber nicht korrekt, sie unterscheiden nicht“, sagt Renz. Es habe schon vielerlei solche Fälle gegeben. Patienten waren dann angeblich an Covid-19 erkrankt, obwohl das gar nicht stimmte.
Macht es Sinn, die ganze bayerische Bevölkerung zu testen?
Nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums waren am 8. Juli 0,37 Prozent der bayerischen Bevölkerung mit dem Virus infiziert. Im Umkehrschluss heißt das für Renz aber, dass beim Testen herauskommt, dass über 99 Prozent nicht infiziert sind. Diese Menschen könnten sich in falscher Sicherheit wiegen. Denn: Die Inkubationszeit beträgt bis zu zwei Wochen, aber das Virus ist erst ein bis zwei Tage vor Ausbruch der Symptome nachweisbar. Beim Testen kann es also sein, das jemand zwar bald Symptome entwickeln wird, zum Testzeitpunkt aber noch einen negativen Test aufweist. Viel sinnvoller sei es, erklärt Renz, den Empfehlungen des Robert-koch-institutes zu folgen und folgende Menschen zu testen: Personen mit Symptomen, Kontaktpersonen, Hochrisikogruppen, medizinisch-pflegerisches Fachpersonal, Mitglieder von Gemeinschaftseinrichtungen, das können auch betroffene Schulen sein – und Epidemieregionen, in denen es mehr als 50 Neuinfektionen pro 100000 Menschen und Woche gibt.
Wie sicher sind Antikörpertests, für die Blut des Patienten entnommen werden muss?
Antikörper ist nicht gleich Antikörper, erläutert Professor Renz. Manche Tests sind gar nicht spezifisch auf Antikörper des neuartigen Coronavirus ausgerichtet, sondern auf alle Corona-antikörper. Also auch auf Antikörper, die sich gegen harmlose Coronaviren richten. Das müsse man als Mediziner auch entsprechend deuten – was aber noch nicht allen Ärzten geläufig sei. Beim Antikörpertest würden deshalb oft zu viele falsch-positive Ergebnisse erzielt. Außerdem gibt es inzwischen sehr viele Tests, die man „für viel Geld“in einer Apotheke kaufen könne. Dazu muss sich der Betreffende in den Finger stechen und einen Tropfen Blut auftragen. „Viele dieser Schnelltests sind aber von der Qualität her nicht ausreichend“, kritisiert Renz. Entsprechende Standards würden eher von großen Herstellern – etwa Roche oder Siemens – erfüllt. Überhaupt noch nicht genau bekannt ist überdies, wie lange man gegen eine Neuinfektion geschützt ist, wenn man die Krankheit hinter sich hat und Antikörper aufweist. Das muss noch genau geklärt werden.
Was müsste sich in Zukunft verbessern?
Renz fordert mehr Transparenz in puncto Aussagekraft sowohl beim Abstrich als auch beim Antikörpertest. „Es muss klar sein, wer testet, dass er richtig testet, dass der Nachweis nach klaren Standards geführt wird – und was dann das Ergebnis genau bedeutet.“Das sei bislang nicht gewährleistet, man stecke – weil die Krankheit noch so neu sei – sozusagen nach wie vor in den Kinderschuhen.
Was kostet der Test die Allgemeinheit?
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern erhält der Arzt für Beratung, das Nehmen des Abstrichs und das Ausstellen der Bescheinigung 16,53 Euro. Dazu kommen noch Laborkosten von 39,40 Euro und Versandkosten, weswegen mit rund 60 Euro pro Test zu rechnen ist. Würden sich alle 13 Millionen Bayern testen lassen, entstünden Kosten in Höhe von 780 Millionen Euro.
Ein Test kostet rund 60 Euro
Gibt es Ideen in der Bayerischen Staatsregierung, auch den Antikörpertest flächendeckend für alle Bayern anzubieten?
„Derzeit ermöglichen Antikörpertests vor allem Erkenntnisse über Ausbildung einer Immunität. Momentan sind diese aber nach Ansicht der Experten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit noch mit großen Unsicherheiten verbunden“, teilte die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Hummel nun unserer Redaktion mit. „Daher werden wir die weitere Entwicklung im Auge behalten. Eine strategische Ausweitung von Antikörpertests wird aktuell geprüft“, betonte die Csu-ministerin.