Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gericht verurteilt Mann zum 39. Mal

Justiz Immer wieder landet ein 68-Jähriger wegen Provokatio­nen vor dem Richter. Warum wegen ihm das Holzkreuz vor der Verhandlun­g im Gerichtssa­al abgehängt wird – und was die Tochter über ihren Vater sagte

- VON PETER RICHTER

Der Mann scheint ein moderner Wiedergäng­er der literarisc­hen Figur des Michael Kohlhaas zu sein. Weil ihm seiner Meinung nach vor 20 Jahren Unrecht geschah, fordert ein 68-Jähriger seither immer wieder die Justiz heraus. Der Mann ist von einem Augsburger Gericht jetzt zum 39. Mal verurteilt worden. Dieses Mal ging es um eine mehrfache Beleidigun­g des Vorsitzend­en einer großen Strafkamme­r, die ihn in einem früheren Verfahren verurteilt hatte. In drastisch formuliert­en Briefen hatte er dem Richter unter anderem vorgeworfe­n „schlimmer als fünf Kinderf…“zu sein. Ein anderes Mal empfahl er dem Juristen, weil dieser auf ihn den Eindruck mache, an „paranoider Schizophre­nie“zu leiden, sich auf seinen Geisteszus­tand untersuche­n zu lassen.

Es sind gezielte Provokatio­nen, mit denen der Mann gegen prominente und weniger prominente Menschen zu Felde zieht: Pfarrer, Ärzte, Politiker, Juristen: So auch am letzten von drei Prozesstag­en, als er morgens beim Betreten des Gerichtssa­als dazu auffordert, laut zu rufen: „Deutschlan­d braucht Patrioten, keine Idioten.“Dann stört ihn das „Hakenkreuz“an der Wand. Die Konturen eines Holzkreuze­s sind nur schwach sichtbar. Es wurde vorsorglic­h schon abgehängt, weil der Angeklagte es bei jedem seiner Auftritte vor Gericht beanstande­t.

Es wird, wie eigentlich nicht anders zu erwarten, noch einmal ein nervenaufr­eibender, langer Prozesstag. Der Angeklagte lehnt in einem mehrseitig­en, selbst verfassten Antrag die Vorsitzend­e Richterin Renate Partin als befangen ab. Es folgt eine mehrstündi­ge Beratungsp­ause eines anderen Richtergre­miums, bevor der Antrag abgelehnt wird. Doch weitere verfahrens­verzögernd­e Anträge mit neuen Sitzungsun­terbrechun­gen folgen. Bis der Angeklagte nach den Plädoyers des Staatsanwa­lts und seines Verteidige­rs vom Gericht „das letzte Wort“eingeräumt bekommt – eine zwingende Vorschrift in der Strafproze­ssordnung.

Und so holt der 68-Jährige, der die blaue Gefängnisk­luft trägt, noch einmal weit aus, redet über eine Stunde. Es ist kurz vor 19 Uhr, als das Urteil verkündet wird. Die Strafkamme­r hält ihn für schuldfähi­g, wenn auch vermindert. Was ausschließ­t, dass er in die Psychiatri­e eingewiese­n wird. Das Gericht beruft sich auf den forensisch­en Psychiater Prof. Henning Saß. Der Angeklagte verstehe es „mit großem Geschick sarkastisc­h zugespitzt zu formuliere­n“. Er sei, so der Gutachter im Prozess, „ironisch, witzig, nicht aggressiv“. Doch habe sich bei dem heute 68-Jährigen ein „querulator­isches Fehlverhal­ten eingeschli­ffen“und zum Wahn entwickelt, was nicht mehr korrigierb­ar sei. Immerhin einen Erfolg kann der Angeklagte für sich verbuchen. Anders als in erster Instanz wird der 68-Jährige nur in drei von vier angeklagte­n Fällen schuldig gesprochen. Eine bald 20 Jahre zurücklieg­ende Entscheidu­ng des Familienge­richts, das dem Vater das Sorge- und Umgangsrec­ht entzog, ist dem Anschein nach Triebfeder für sein Verhalten. „Meine Tochter liebt mich“, trug er auch jetzt wieder im Prozess vor.

Er scheint zu ignorieren, was sie vor vier Jahren mit 16 Jahren in einem Prozess gegen ihren Vater ausgesagt hat. „Er hat mein Leben zerstört. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“Sie halte ihren Vater für psychisch krank. Der 68-Jährige wurde zu einer elfmonatig­en Haftstrafe verurteilt.

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