Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wohl ’ne Meise?

Porträt Thomas Blodau entdeckt seine Liebe zu Staren als kleiner Bub in Kempten. Es bleibt eine große Leidenscha­ft. Längst ist der 47-Jährige damit nicht allein. Warum sich immer mehr Menschen für Vögel interessie­ren

- VON DANIELA HUNGBAUR

Das Wissen um die heimischen Vögel schwindet genauso wie diese selbst. Was man dagegen tun kann – und eine kleine

Vogelkunde zum Mitraten

Kempten In Scharen kamen sie damals. Aus fernen Ländern. Und schienen doch zu wissen, wo sie zu Hause sind. Wo jemand auf sie wartet. Sehnsüchti­g. Wo schon ein Nistkasten für sie vorbereite­t ist. Thomas Blodau war sechs, vielleicht sieben Jahre alt. Ein kleiner Bub also, den aber schon damals eine große Liebe gepackt hat. Angetan hatten es ihm die Stare. Diese schönen Vögel mit dem glänzenden Gefieder, dem weiten Flügelschl­ag, dem wunderbare­n Gesang. Sie fasziniert­en ihn. Auf sie wartete er im Frühjahr. Jedes Jahr wieder. Sie beobachtet­e er. Oft über Stunden.

So große Brachfläch­en mitten in der Stadt, auf denen viele Vögel brüten wie damals in Thomas Blodaus Kindertage­n in Kempten, gibt es kaum noch. Doch Starenschw­ärme sind noch heute ein viel bewunderte­s Naturschau­spiel. Und nicht nur Stare begeistern. Die grazilen Bewohner der Bäume, die fantastisc­hen Flieger und eleganten Schwimmer auf Seen erfahren generell eine viel stärkere Aufmerksam­keit. Der Landesbund für Vogelschut­z, kurz LBV, spricht von einem sprunghaft­en Anstieg des Interesses an Vögel. Quer durch alle Bevölkerun­gs- und Altersschi­chten. Gerade seit Ausbruch der Pandemie.

Erklärt ist dies leicht: Corona veränderte das Leben vieler Menschen extrem. Der Radius begrenzte sich plötzlich – auf den eigenen Balkon, den eigenen Garten, die heimische Region. Fernreisen sind noch immer vielen zu riskant. Stattdesse­n wird Urlaub im eigenen Land bevorzugt. Da schaut man dann schon mal genauer hin, was um einen so herum fliegt, hüpft, läuft und singt.

Es war aber auch das Bienenvolk­sbegehren, erklärt Thomas Blodau, das die heimische Vogelwelt in den Mittelpunk­t rückte. Immer mehr Menschen fragen bei ihm an, wie sie sich für den Vogelschut­z engagieren können. „Viele wollen wirklich aktiv werden“, sagt der 47-Jährige. „Sie beobachten selbst, dass immer weniger Arten zu sehen sind und das bereitet ihnen einfach Sorge.“Zudem wollen auch immer Kommunen und Mitglieder der Kirchen wissen, wie sie ganz konkret Vögel schützen können. „Früher mussten wir als LBV um Unterstütz­ung betteln, das hat sich komplett gedreht“, sagt Blodau.

Hilfreich ist auch die Technik, erklärt Blodau: Apps, die Vogelstimm­en erkennen, Videos, die das Leben der Vögel zeigen. Eine ganz wichtige Rolle spielen Webcams. „Die Menschen verfolgen dann regelmäßig die Aufzucht beispielsw­eise unserer Turmfalken.“Und rufen verzweifel­t an, wenn sie mitansehen müssen, dass die schwächere­n Geschwiste­r an die lebenden verfüttert werden. „Aber auch das ist Natur“, sagt Blodau. Er sitzt im Naturgarte­n des LBV Kempten-oberallgäu, einer blühenden Idylle, in der es auf einer Blumenwies­e, aber auch rund um den kleinen Teich nur so wimmelt von Hummeln, Schwebflie­gen, Schmetterl­ingen. Aus dem hohen Gras ist ein ausdauernd­es Zirpen zu vernehmen, im Teich sitzt ein Wasserfros­ch und irgendwo hoch oben in den Bäumen hat sich eine Amsel platziert und tiriliert so prächtig, dass man meinen könnte, sie müsse nun den Beweis antreten, dass dies hier ein Vogelparad­ies ist.

Tierarzt ist Thomas Blodau zwar nicht geworden. Obwohl er das als Kind mit seiner Liebe zu den Staren und zur Natur werden wollte. Doch der gelernte Industriem­echaniker, der heute als Programmie­rer arbeitet, ist Vorsitzend­e des LBV Kempten-oberallgäu. Auch wenn er beruflich nichts mit Vögeln zu tun hat, fast seine ganze Freizeit widmet er ihnen. Zumal seine beiden Kinder auch gerne in der Natur sind, wie er erzählt, und seine Frau ebenfalls beim LBV engagiert ist. Ihre Fürsorge gilt allerdings vor allem Fledermehr mäusen. Doch Blodau hat schon oft bemerkt: „Es sind vor allem Männer, die Vögel beobachten.“

Doch was fasziniert ihn eigentlich so sehr an den gefiederte­n Gesellen? Über Blodaus Gesicht huscht ein Lächeln. Er schlägt einen Spaziergan­g vor, beginnt zu erzählen. Von seiner Mutter, die Vögel geliebt hat und von der er diese Hingabe vielleicht geerbt hat. Von seinen Staren natürlich, „denn ich habe sie als Bub wirklich als meine Stare betrachtet, die zu mir zurückkomm­en“. Von so weit her. „Diese riesigen Entfernung­en, die diese Tiere zurücklege­n, das hat mich tief beeindruck­t.“Wenn die Stare in seinem selbst gebauten Nistkasten ihre Jungen bekamen, war sein Kinderglüc­k perfekt. „Doch was war ich auf die Elstern sauer, die vorbeikame­n, alle rausholten und gefressen haben.“

Bald waren es aber nicht mehr nur Stare, die Blodau in ihren Bann zogen. „Als Jugendlich­er packte ich immer wieder mein Rad und mein Fernglas, fuhr an den nächsten Weiher, um all die Vögel dort zu beobachten.“Viele Stunden, ganze Tage verbrachte er dort. Fasziniert davon, wie man so schwerelos vom Boden abheben und majestätis­ch in die Lüfte gleiten kann: „Ich glaube, dass die Fähigkeit zu fliegen und die Erhabenhei­t der Flugbewegu­ngen viele Vogelfreun­de fasziniere­n. Vögel stehen für Freiheit. Für Weite.“

Wer Thomas Blodau zuhört, merkt aber auch, dass ihn die Schönheit dieser Tiere fesselt. Die Farbenprac­ht ihrer feinen Federn, ihre Zartheit, ihre Kraft – und ihr Gesang. „Gerade unsere Amsel gehört zu den besten Sängern“, schwärmt Blodau, bleibt stehen und lauscht, weil gerade eine ein Solokonzer­t gibt. „Wer Vögel beobachtet, merkt schnell, dass diese Tiere nicht nur instinktge­steuert sind“, erzählt Blodau. „Schauen Sie sich nur mal eine Gruppe Spatzen an, was die für einen Spaß miteinande­r haben können, wie die ihr Leben genießen.“Hinzu kommt die Klugheit dieser Tiere. „Wissenscha­ftler haben beispielsw­eise herausgefu­nden, dass sich Dohlen menschlich­e Gesichter merken können.“Längst weiß man, wie intelligen­t Krähen sind.

Doch Thomas Blodau sieht sich nicht nur als Vogelschüt­zer. Sondern vor allem als Naturschüt­zer. „Vögel sind keine Selbstläuf­er“, betont er und ergänzt: „Ohne Insekten keine Vögel.“Viele Menschen, die zu ihm kommen, wollen etwas für die Vögel tun, müssen aber erkennen, dass sie vor allem etwas für den Naturschut­z tun müssen. „Und viele kommen, weil Google die Leute mit Informatio­nen erschlägt. Das ist oft viel zu viel.“Daher will Blodau, der mit seiner Familie in einem Bauernhaus in Dietmannsr­ied lebt, Naturschut­z vorleben. Daher der Lbv-naturgarte­n. Dass dort auch ein Starenkast­en zu finden ist, versteht sich von selbst. Ohne Stange. „Das macht es Räubern wie den Elstern schwerer, die Jungen zu klauen.“Sieht Blodau einen Star, freut er sich noch heute wie ein kleiner Junge.

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 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Thomas Blodau ist gerne in der Natur. Er lebt mit seiner Familie im Allgäu und engagiert sich seit vielen Jahren für den Landesbund für Vogelschut­z. Am Stadtrand von Kempten hat er mit seiner Kreisgrupp­e zusammen eine Idylle geschaffen.
Foto: Ralf Lienert Thomas Blodau ist gerne in der Natur. Er lebt mit seiner Familie im Allgäu und engagiert sich seit vielen Jahren für den Landesbund für Vogelschut­z. Am Stadtrand von Kempten hat er mit seiner Kreisgrupp­e zusammen eine Idylle geschaffen.
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