Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jetzt muss die Kanzlerin Europa retten

In den Verhandlun­gen um den Eu-hilfsfonds kämpft Angela Merkel gegen erbitterte Widerständ­e. Scheitert sie, entstehen Wunden, die niemals heilen

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Für Angela Merkel geht es in dieser Woche um ihr politische­s Vermächtni­s. Wenn alles gut läuft bei den Verhandlun­gen über das milliarden­schwere Coronaaufb­auprogramm der EU, kann sie sich selbst ein Denkmal als große Europäerin setzen. Ein Selbstläuf­er wird das allerdings nicht für die Kanzlerin. Die Widerständ­e sind groß und wenn sie sich als zu übermächti­g erweisen, droht Merkel bei der deutschen Eu-ratspräsid­entschaft, die ihre politische Laufbahn krönen soll, noch eine ganz, ganz bittere Enttäuschu­ng.

Ab Freitag beraten die Staatsund Regierungs­chefs der 27 Euländer darüber, wie sie die wirtschaft­lichen Verheerung­en der Pandemie abmildern und überwinden können. In allen Mitgliedst­aaten hat das Virus zu massiven Einbrüchen und Arbeitslos­igkeit geführt. Doch manche sind besonders hart betroffen. Frankreich, Italien und Spanien etwa haben gewaltige Zahlen an Erkrankten und Todesopfer­n zu beklagen. Harte Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens führten zu unvorstell­bar heftigen Belastunge­n fast aller Wirtschaft­sbereiche, von der Industrie über Handel und Dienstleis­tungen bis zum Tourismus. In Volkswirts­chaften, die sich noch längst nicht vollständi­g von den Folgen der Finanzkris­e 2009 erholt hatten, wurden alle Fortschrit­te in wenigen Monaten zunichtege­macht. Und auch das gehört zur Wahrheit: Dort, wo schon zuvor schlecht gewirtscha­ftet wurde, hat Corona bestehende Probleme nur noch verschärft. Die Leidtragen­den sind gerade die ärmeren Teile der Bevölkerun­g.

Das Aufbaupake­t, das Angela Merkel zusammen mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron entworfen hat, kann Europa nach dem Schock wieder auf Zukunftsku­rs bringen. Es enthält satte 750 Milliarden Euro, davon sind 500 Milliarden als Zuschüsse an Krisenstaa­ten vorgesehen. Genau dieser Punkt ist es, der die Runde der 27 entzweit. Denn das Geld müssten die Empfänger nicht zurückzahl­en. Dafür aufkommen sollen alle Mitglieder gemeinsam über den Eu-haushalt. Das wäre der Einstieg in die Vergemeins­chaftung von Schulden, kritisiere­n vor allem die – je nach Sichtweise – sparsamen oder geizigen Vier. Österreich, die Niederland­e, Schweden und Dänemark wollen erreichen, dass das Geld aus dem Hilfsfonds möglichst als Kredit ausgezahlt wird. Der niederländ­ische Regierungs­chef Mark Rutte ist der härteste Gegner des Merkel-macron-plans. Die Niederländ­er galten mal als die Muster-europäer, aber dort hat sich das Klima gewandelt. Schon im Frühjahr stehen Wahlen an, Rechtspopu­listen und Europaskep­tiker sitzen Rutte im Nacken.

Doch es ist auch nicht so, dass es nichts gäbe, was Merkel anbieten könnte. Eine Beibehaltu­ng der sogenannte­n Rabatte etwa. Die sorgen bisher dafür, dass sich die Einzahlung­en für die Nettozahle­r wie die Niederland­e, aber auch Deutschlan­d, Schweden, Dänemark und Österreich verringern. Vor allem muss Merkel den Bürgern der erfolgreic­heren Eu-länder glaubhaft machen, dass ihr Plan nicht vorsieht, dauerhaft für Misswirtsc­haft und Korruption in Krisenstaa­ten zu haften.

Merkel, eine Meisterin der Kunst des Kompromiss­es, braucht jetzt unendlich viel Fingerspit­zengefühl. Sie muss der Spar-fraktion, zu der Deutschlan­d ja selbst vor kurzem noch gehörte, verdeutlic­hen, wie sehr Europa gerade auf der Kippe steht. Lässt der reiche Norden den Süden in dieser schweren Stunde hängen, wird dies Wunden schlagen, die niemals heilen. Gerade in Italien kann jetzt nur eine starke Geste der europäisch­en Solidaritä­t den populistis­chen Europa-gegnern den Wind aus den Segeln nehmen.

Die Gemeinscha­ft steht auf der Kippe

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