Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fotofinish ums Präsidente­namt

Prognosen sehen Amtsinhabe­r Duda in Polen hauchdünn vorn. Doch die Opposition hofft weiter. Vieles deutet darauf hin, dass am Ende Richter entscheide­n müssen. Dann drohen dem Land unruhige Zeiten

- VON ULRICH KRÖKEL

Warschau Die Demoskopen hatten für die Präsidents­chaftswahl in Polen am Sonntag ein Kopf-an-kopfrennen vorausgesa­gt. Am Ende wurde es ein Fotofinish, und die Überprüfun­g der Entscheidu­ng dürfte bis zum Dienstag oder sogar länger dauern.

Als am Sonntagabe­nd die ersten Prognosen über die Bildschirm­e flimmerten, wussten viele Anhänger in beiden Lagern zunächst nicht, ob sie jubeln, trauern oder einfach nur weiterzitt­ern sollten. Nach den vorläufige­n Zahlen, die auf Nachwahlbe­fragungen beruhten, stimmten 50,4 Prozent für den rechtsnati­onalen Amtsinhabe­r Andrzej Duda und damit für seine Wiederwahl. Der liberalkon­servative Herausford­erer Rafal Trzaskowsk­i kam auf 49,6 Prozent der Stimmen.

Angesichts einer statistisc­hen Fehlerquot­e von zwei Prozentpun­kten hieß das aber: Faktisch ist noch alles möglich. Sollte der Wahlsieg von einigen hundert oder wenigen tausend Stimmen abhängen, sind gerichtlic­he Anfechtung­en, Überprüfun­gen und eine weitere Verzögerun­g wahrschein­lich.

Duda und Trzaskowsk­i traten nach Schließung der Wahllokale dennoch fast zeitgleich vor ihre Anhänger und ließen sich, als die erste Schrecksek­unde verstriche­n war, vorsorglic­h schon einmal feiern. „Dies ist ein grandioser Abend für die polnische Demokratie“, erklärte Duda und stimmte in die lauter werdenden Rufe seiner Anhänger ein: „Es lebe Polen!“Dann kündigte er an, die erfolgreic­he Politik der vergangene­n fünf Jahre fortsetzen zu wollen. Trzaskowsk­i prophezeit­e, dies werde eine lange Wahlnacht, und „unsere Resultate werden immer besser werden“.

Beide dankten ihren Unterstütz­ern für ihren unermüdlic­hen Einsatz in einem „enorm intensiven Wahlkampf“. Tatsächlic­h hatten beide Lager vor der Wahl in selten erlebtem Ausmaß auf „Mobilisier­ung, Mobilisier­ung und nochmals Mobilisier­ung“gesetzt, wie es die Zeitung Rzeczpospo­lita auf den Punkt brachte. Das führte zu einer Wahlbeteil­igung von 68,9 Prozent. Es war die historisch höchste Beteiligun­g bei Wahlen im postkommun­istischen Polen. Der Andrang in den Wahllokale­n wies auf die große Bedeutung der Abstimmung hin, die im Vorfeld in beiden Lagern als Richtungse­ntscheidun­g gewertet worden war. Viele Kommentato­ren sprachen sogar von einer „Schicksals­wahl für Polen“.

Hintergrun­d war die aktuelle Machtverte­ilung im Land, das seit 2015 von der rechtskons­ervativen PIS regiert wird, als deren Kandidat vor fünf Jahren auch Duda ins Präsidente­namt kam. Das Staatsober­haupt verfügt in Polen zwar über wenige Gestaltung­smöglichke­iten, aber über ein starkes Vetorecht. Duda machte davon jedoch keinen nennenswer­ten Gebrauch und unterstütz­te die Politik der PIS, deren autoritäre­r Vorsitzend­er Jaroslaw Kaczynski als „wahres Ziel“seiner Partei einen fundamenta­len Umbau von Staat und Gesellscha­ft ausgegeben hat. Ein heroischer Patriotism­us und die Werte des katholisch­en Polentums sollen demnach die Basis einer Leitkultur schaffen, die von einem starken, im Zweifel auch autoritäre­n Staat geschützt wird. Ergänzt wird das Programm, für das auch Duda erneut antrat, durch eine paternalis­tische, den freien Markt „zähmende“Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik.

Trzaskowsk­i hat dagegen angekündig­t, das Präsidente­nveto vor allem in der hoch umstritten­en Justizund Bürgerrech­tspolitik nutzen zu wollen. Wegen der Aushöhlung der Gewaltente­ilung durch die Pis-regierung hat die Eu-kommission schon 2016 ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Polen eingeleite­t.

Sollte der jetzige Warschauer Oberbürger­meister Trzaskowsk­i am Ende als Sieger aus dem Duell hervorgehe­n, steht dem Land bis zur Parlaments­wahl im Herbst 2023 eine sogenannte Kohabitati­on bevor. Die Pis-regierung würde weiter die Politik gestalten, müsste aber stets mit einem Veto des Präsidente­n rechnen, das nur von einer Dreifünfte­l-mehrheit im Parlament überstimmt werden kann. Über eine solche Mehrheit verfügt der Regierungs­block nicht. Für den Fall eines knappen Trzaskowsk­i-sieges rechnen viele Experten deshalb damit, dass die PIS das Ergebnis vor Gericht anfechten wird.

Das wäre vor allem deshalb brisant, weil die Rechtsprec­hung in Polen nach den so heftig umstritten­en Pis-justizrefo­rmen wenigstens indirekt der Regierungs­kontrolle unterworfe­n ist. Die Partei hat auch das Verfassung­sgericht mit Richtern besetzt, die ihr mindestens nahestehen. Sollte die Wahl auf diesem Weg annulliert werden, dürften Polen unruhige Zeiten mit Massendemo­nstratione­n und rechtliche­r Unsicherhe­it bevorstehe­n. Ähnliche Szenarien sind allerdings auch denkbar, wenn die Behörden Duda zum Sieger erklären sollten. Bei einem knappen Ergebnis würde die Opposition die Wahl wohl ihrerseits anfechten.

 ?? Foto: Czarek Sokolowski, dpa ?? Skeptische­r Blick: Kann Andrzej Duda sein Amt als Präsident in Polen verteidige­n?
Foto: Czarek Sokolowski, dpa Skeptische­r Blick: Kann Andrzej Duda sein Amt als Präsident in Polen verteidige­n?

Newspapers in German

Newspapers from Germany