Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn es brummt, dann brummt es auch

Der Schwerlast­verkehr ist ein Frühwarnsy­stem für die Wirtschaft. Wenn es auf den Straßen zu ruhig wird, ist das ein Alarmzeich­en. Was die Statistike­r aus den Daten der Lkw-maut nun für die Zukunft vorhersage­n

- VON DOMINIK STENZEL

Augsburg Die deutsche Wirtschaft leidet gewaltig unter der Coronapand­emie – das verrät allein schon ein Blick auf die Straßen. Denn dort waren in den vergangene­n Wochen und Monaten deutlich weniger Lastwagen zu sehen als gewöhnlich. Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts (Destatis) untermauer­n dies: Auf Basis von Mautdaten erfasst die Behörde die zurückgele­gten Strecken von großen Lastwagen mit mindestens vier Achsen auf den Autobahnen – und liefert damit wichtige Erkenntnis­se über den Zustand der heimischen Industrie. Denn je mehr produziert wird, desto mehr Fahrzeuge sind auch unterwegs. Nachdem das Verkehrsau­fkommen im März und April deutlich einbrach, machen die vergangene­n beiden Monate Hoffnung: Der sogenannte Lkw-maut-fahrleistu­ngsindex ging wieder leicht nach oben.

Mit Blick auf den Verlauf der Corona-krise überrascht diese Entwicklun­g nicht. Am 16. März gaben Bundesregi­erung und Bundesländ­er bekannt, dass erste Einrichtun­gen wie Kneipen, Restaurant­s und Geschäfte schließen müssen. Auch die Industrie kam langsam aber sicher zum Stillstand: Nicht zuletzt, weil es wegen der noch drastische­ren Lockdowns in anderen europäisch­en Ländern wie Italien oder Spanien nicht mehr möglich war, die eng vernetzten Lieferkett­en aufrecht zu erhalten. Für Firmen und Speditione­n gab es dadurch schlicht weniger Güter und Teile zu transporti­eren.

Im Vergleich zum Februar, als sich die Corona-krise kaum auf die wirtschaft­liche Lage auswirkte, war die Fahrleistu­ng vierachsig­er Lastwagen im März 5,8 Prozent niedriger – der stärkste Rückgang im Monatsverg­leich seit Einführung der Lkwmaut im Jahr 2005. Doch im April wurde diese Marke sogar noch getoppt – und zwar deutlich: Saisonbere­inigt – also ohne jahreszeit­liche Einflüsse – waren 10,9 Prozent weniger Lastwagen auf den deutschen Autobahnen unterwegs als im März.

Am 15. April beschlosse­n Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die Regierungs­chefs der Länder schließlic­h erste Lockerunge­n der Beschränku­ngen. Unter Hygieneauf­lagen durften erste Geschäfte wieder öffnen, die großen deutschen Autobauer fuhren ihre Werke allmählich wieder hoch. Das machte sich im Mai schließlic­h wieder auf den Fernstraße­n bemerkbar: Die Fahrleistu­ng der Lastwagen stieg um 6,1 Prozent. Dass sich die Wirtschaft jedoch nur langsam erholt, zeigt ein Blick auf die Statistike­n des Vorjahres: Im Vergleich zum Mai 2019 weist der diesjährig­e Mai ein Minus von 7,3 Prozent auf. Am vergangene­n Donnerstag vermeldete­n die Statistike­r jedoch weitere Zahlen, die Mut machen dürften: Gegenüber dem Vormonat gab es im Juni einen weiteren saisonbere­inigten Zuwachs um 4,7 Prozent. Verglichen mit dem Vorkrisenn­iveau ist der Index jedoch immer noch um 6,6 Prozent niedriger.

Längst werden die Brummi-daten auch für die Wirtschaft­sprognose genutzt. Luis Federico Flores, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r des Statistisc­hen Bundesamts, erklärt dies so: „Zwischen der wirtschaft­lichen Leistung und der Verkehrskr­aft besteht ein enger Zusammenha­ng.“Dem saisonbere­inigten Index, welcher auf Basis digitaler Prozessdat­en erfasst wird, komme besonders in Krisenzeit­en eine hohe Bedeutung zu. Denn laut Flores ist er schneller verfügbar als andere

Konjunktur­indikatore­n: „Der Lkwmaut-fahrleistu­ngsindex ist meist neun Tage nach Ablauf des Monats da. Bei anderen Konjunktur­indikatore­n wie dem Produktion­sindex dauert es hingegen mindestens 35 Tage.“Der Index liefert also frühe Hinweise zur Konjunktur­entwicklun­g. Bereits Ende 2018 stellten Destatis und das Bundesamt für Güterverke­hr darum den Lkw-mautfahrle­istungsind­ex als neuen Baustein der Konjunktur­statistik vor.

Logistikun­ternehmen aus der Region bestätigen die Entwicklun­g der bundesweit­en Erhebungen. Die Firma Dachser mit Hauptsitz in Kempten möchte keine konkreten Zahlen nennen. Nach eigenen Angaben bekam Dachser die Auswirkung­en der Pandemie jedoch erst etwas später zu spüren. „Während das erste Quartal noch nahezu auf Vorjahresn­iveau ausfiel und insbesonde­re in der Lebensmitt­ellogistik von einer steigenden Handelsnac­hfrage durch Hamsterkäu­fe geprägt war, führten die Beschränku­ngen des Wirtschaft­slebens in Europa im April und Mai zu deutlich niedrigere­n Mengen in unserem europäisch­en Logistikne­tzwerk“, sagt Michael Schilling, verantwort­licher Geschäftsf­ührer für den Landverkeh­r. Dies habe insbesonde­re für den Export und für Märkte mit teilweise kompletten Lockdowns wie Frankreich, Spanien und Italien gegolten. Das Unternehme­n habe in allen Niederlass­ungen umfassende Hygienekon­zepte, Schichttre­nnungen und Abstandsre­gelungen eingeführt. „Es ist uns gelungen, das komplette Dachser-netz betriebsbe­reit zu halten, sodass unsere Kunden nahezu keine Einschränk­ungen im Service hinnehmen mussten“, betont Schilling. Mitte Mai bekam das Unternehme­n schließlic­h die Lockerungs­maßnahmen zu spüren: „Die Transportm­engen befinden sich wieder auf einem soliden Weg der Erholung.“Allerdings blieben die Zahlen ungefähr im einstellig­en Prozentber­eich unter dem Vorjahr, was an den andauernde­n, starken Beschränku­ngen in einigen Wirtschaft­sbereichen wie der Gastronomi­eoder Event-branche liege.

Insgesamt überträfen die Transportm­engen in den vergangene­n Wochen jedoch die anfänglich­en Prognosen des Unternehme­ns. Laut Schilling geht Dachser optimistis­ch in das zweite Halbjahr: „Wir erwarten eine weitere Normalisie­rung und Erholung der Mengen in Europa im zweiten Halbjahr.“Voraussetz­ung sei jedoch, dass die Coronapand­emie unter Kontrolle bleibt.

Die Vorhersage­n sind viel schneller verfügbar

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Archivfoto: Patrick Pleul, dpa Brummi an Brummi – Bilder wie dieses gab es auf den deutschen Autobahnen in den vergangene­n Wochen selten. Allmählich ändert sich dies jedoch wieder.
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