Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Als würde sich ein Elefant auf den Hals setzen“

Suzanna Randall könnte die erste deutsche Astronauti­n werden. Wie es der Astrophysi­kerin während ihrer Ausbildung in der Zentrifuge ging und warum sie sich nun selbst Blut abnehmen kann „Ich möchte auch live mit Schülern auf der Erde sprechen.“

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Frau Dr. Randall, Sie haben sich in den vergangene­n Jahren zusammen mit Insa Thiele-eich zur Astronauti­n ausbilden lassen. Der Chef-wissenscha­ftler der Nasa, James L. Green, erzählte uns bei seinem Besuch an der Universitä­t Augsburg im vergangene­n Jahr, dass der nächste Mensch auf dem Mond eine Frau sein wird. Werden Sie das sein?

Suzanna Randall: Nun ja, ich würde es natürlich sehr gern sein, aber das ist wohl ziemlich unwahrsche­inlich. Bei der Nasa muss man Amerikaner­in oder Amerikaner sein, um Astronaut zu werden. Und bei einer derart prestigetr­ächtigen Us-mission zum Mond würden sich das die Amerikaner sicher ohnehin nicht nehmen lassen. Also geht das wohl an mir vorbei. Es sei denn ich werde irgendwie noch Amerikaner­in. Bislang bin ich aber Deutsche, wobei mein Vater ursprüngli­ch aus England stammt.

Wie kommt es, dass Sie Astronauti­n werden wollten?

Randall: Ich fand das schon immer spannend, habe schon als Kind immer fasziniert in den Himmel geschaut, „Was ist was“-bücher zum Thema gelesen. Und das, obwohl meine Eltern gar nichts mit dem Thema Raumfahrt zu tun hatten. Später habe ich dann Sally Ride für mich entdeckt. Das war die erste Amerikaner­in im All, sie flog 1983 mit der Raumfähre Challenger in den Weltraum. Mit ihr konnte ich mich identifizi­eren. Zwar waren vor ihr schon die sowjetisch­en Kosmonauti­nnen Walentina Tereschkow­a und Swetlana Sawizkaja im All, doch die waren für mich nicht so präsent. Tereschkow­a war ja schon 1963 in die Erdumlaufb­ahn geflogen.

Es gibt bisher fast 600 Menschen, die ins All gereist sind, aber nur gut zehn Prozent waren Frauen. Aus Deutschlan­d stammen bislang ein knappes Dutzend Raumfahrer – alle waren Männer. Es ist höchste Zeit, dass endlich auch eine Frau an die Reihe kommt. Die Ausbildung gilt als körperlich ziemlich anspruchsv­oll und anstrengen­d. Stimmt das?

Randall: Ja, das kann man sagen. Jüngst erst war ich in einer Zentrifuge der Bundeswehr, in der starke Fliehkräft­e simuliert werden. Darin werden auch Kampfjetpi­loten ausgebilde­t. Bei mir ging es darum, die Belastung darzustell­en, die bei einem Start mit einer Rakete des Usunterneh­mens Spacex, also jener Firma, die von Elon Musk geleitet wird, entsteht. Ich fand es tatsächlic­h nicht sehr angenehm. Es ist, als würde sich ein Elefant auf den Hals oder die Brust setzen. Bei einem Start entstehen für etwa zehn Minuten Werte von viereinhal­b G, also das Viereinhal­bfache der Schwerkraf­t auf der Erde. Wer also auf der Erde 70 Kilo wiegt, bringt beim Start plötzlich quasi 315 Kilo auf die Waage. Das ist durchaus eine Herausford­erung für den Kreislauf.

Was gehört noch zur Ausbildung? Randall: Meine Kollegin Insa Thieleeich und ich durften auch in die Druckkam- mer. Wir wurden darauf sensibilis­iert, wie es ist, wenn plötzlich kein Sauerstoff mehr vorhanden ist oder der Druck im Raumschiff durch ein kleines Leck in der Hülle sinkt. Zur Ausbildung zählt auch die Vorbereitu­ng auf die Schwerelos­igkeit. Dazu macht man viel Tauchtrain­ing, aber auch sogenannte Parabelflü­ge, bei denen der Pilot die Maschine in den freien Fall bringt. Dabei entsteht echte Schwerelos­igkeit – aber nur für etwa 20 Sekunden. Nicht zuletzt habe ich noch einen Pilotensch­ein gemacht. Und außerdem muss man wirklich viel Theorie lernen – zum Beispiel, wie die vielen Systeme auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS funktionie­ren.

Ziel ist also die ISS. Wie lange sollen Sie dort bleiben und was sollen Sie dort machen?

Randall: Laut Plan soll ich etwa zehn bis 14 Tage in der Raumstatio­n sein. In erster Linie geht es um Forschungs­arbeiten – auch als Frau, mit dem eigenen Körper. Denn es waren ja bislang nur etwa zehn Prozent aller Astronaute­n Frauen. Da ist noch viel Forschung nötig. Ich musste deshalb auch lernen, mir selbst Blut abzunehmen. Das ist natürlich kein so großer Spaß. Aber ich möchte von der ISS aus auch viel Bildungsar­beit machen, beispielsw­eise live mit Schülerinn­en und Schülern auf der Erde sprechen.

Warum das?

Randall: Es geht unter anderem darum, Mädchen für naturwisse­nschaftlic­he Fächer zu begeistern. Insofern sollen Insa und ich als Vorbilder fungieren. Darüber hinaus gibt es eigens dafür auch einen Wettbewerb, zum Beispiel für Grundschül­er der dritten und vierten Klassen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Bei dem Wettbewerb www.code4space.org können sich die Schüler mit selbst geschriebe­nen Computerpr­ogrammen bewerben. Das beste Programm wird dann prämiert und wir führen es auf der ISS aus. Wir erhoffen uns davon ebenfalls, Kinder für naturwisse­nschaftlic­htechnisch­e Themen zu gewinnen.

Aber wann geht es endlich los? Randall: Das kann man in der Raumfahrt nie genau sagen. Eigentlich war als Termin Ende kommenden Jahres vorgesehen. Doch die Finanzieru­ng ist das Problem. Es fehlt das Geld. Die Mission – nur für Insa oder mich – würde 50 Millionen Euro kosten. Das ist natürlich richtig viel Geld, aber nicht für ein Land wie die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Das – privatwirt­schaftlich­e – Start-up-unternehme­n „Die Astronauti­n“der Raumfahrt-ingenieuri­n Claudia Kessler, das sich zum Ziel gesetzt hat, endlich eine Frau aus Deutschlan­d ins All zu bringen, ist ja erheblich in Vorleistun­g gegangen. Claudia Kessler ist sehr gut vernetzt und konnte dafür sorgen, dass unsere umfangreic­he Ausbildung zu großen Teilen von Sponsoren gezahlt wurde. Insa und ich sind gleichwert­ig ausgebilde­t und vertreten uns gegenseiti­g. Wer bei einem Flug konkret zum Zuge kommt, ergibt sich dann. Es hatte gute Signale aus der Politik gegeben, dass große Teile der Kosten für die Mission letztlich von der Bundesrepu­blik übernommen werden. Spenden allein reichen natürlich nicht aus. Von der Zuständigk­eit her fallen wir in den Bereich des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums. Doch dann kam das Coronaviru­s. Und jetzt ist wieder alles offen. Das ist natürlich frustriere­nd.

Ihre Ausbildung ist umfangreic­h. Wie verdienen Sie Ihr Geld?

Randall: Ich habe das große Glück, bei einem sehr kulanten Arbeitgebe­r angestellt zu sein – nämlich bei der Europäisch­en Organisati­on für astronomis­che Forschung in der südlichen Hemisphäre, kurz ESO.

Dann arbeiten Sie eigentlich auf der Südhalbkug­el?

Randall: Könnte man meinen. Tatsächlic­h wohne ich in München und mein Arbeitspla­tz ist in Garching, dem Hauptsitz der ESO. Die ESO, auch Europäisch­e Südsternwa­rte genannt, betreibt mehrere große Teleskope in Chile. Dort ist die Luft sehr klar und nicht durch Lichtversc­hmutzung beeinträch­tigt – sehr gute Voraussetz­ungen, um in den Weltraum zu blicken oder zu horchen. Das Gute ist: Die ESO geht sehr großzügig mit meinem Engagement als künftige Astronauti­n um. 50 Prozent meiner Zeit verbringe ich mit Astronomie, 50 Prozent mit dem Thema Astronauti­n. Ich werde aber komplett von der ESO bezahlt.

Was erforschen Sie im Universum? Sind Sie auf der Suche nach neuen Exoplanete­n? Also Planeten außerhalb unseres Sonnensyst­ems? Davon hat man ja bislang immerhin über 4000 entdeckt.

Randall: Nein, mein Spezialgeb­iet sind sogenannte blaue Unterzwerg­sterne. Dass es dazu gekommen ist, ist reiner Zufall, es ergab sich so in meiner akademisch­en Laufbahn. Blaue Unterzwerg­e sind mit Temperatur­en von über 20000 Grad wesentlich heißer als unsere Sonne mit etwa 6000 Grad. Sterne sind quasi Brutstätte­n von höherwerti­gen Elementen, beispielsw­eise Metallen. Je nach Sternentyp werden aber unterschie­dliche Elemente produziert. Insofern gibt die Erforschun­g der verschiede­nen Sternentyp­en große Aufschlüss­e darüber, wie das Universum aufgebaut ist und warum das so ist.

Wie oft schauen Sie eigentlich beruflich in den Himmel?

Randall: Ich bin pro Jahr ein- bis zweimal in Chile, dann schaue ich zuweilen auch in den Himmel. Hier in Bayern macht das zu Forschungs­zwecken aber keinen Sinn, hier gibt es zu viel Lichtversc­hmutzung und zu viele Wolken. Also verbringe ich nur einen sehr kleinen Teil meiner Arbeitszei­t damit, in den Himmel zu schauen. Aber das macht nichts. Wir bekommen von unseren Teleskopen viele Daten geliefert, die ich auswerten muss. Das ist echte Grundlagen­forschung. Die kann ich hier in Deutschlan­d machen. Sogar in meinem Homeoffice – hier in meiner Wohnung in Schwabing.

Interview: Markus Bär

Suzanna Randall Die 1979 in Köln geborene Astrophysi­kerin machte in Bergisch Gladbach Abitur, studierte Astronomie in London und promoviert­e im kanadische­n Montreal. Seit 2006 ist sie am Hauptsitz der Europäisch­en Südsternwa­rte (ESO) in Garching (nördlich von München) tätig. 2018 begann sie zudem – nebenberuf­lich – ihre Ausbildung zur Astronauti­n.

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Foto: Ingo Wagner, dpa Dr. Suzanna Randall lebt in Schwabing und forscht in Garching an der Europäisch­en Südsternwa­rte ESO.

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