Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Sommerhit als Gottesgesc­henk

Vor 50 Jahren hatte „In the Summertime“von Mungo Jerry Platz 1 der deutschen Charts eingenomme­n. 28 Wochen stand er an der Spitze. Frontmann Ray Dorset erzählt

- VON WOLFGANG LANGNER

Zum Sommerhit des Jahres 1970 hätten eigentlich etliche Songs getaugt. Zum Beispiel „Mademoisel­le Ninette“von den Soulful Dynamics, „El Condor Pasa“von Simon & Garfunkel und auch „Spirit in the Sky“von Norman Greenbaum. Doch alle mussten hinten anstehen als am 6. Juni die Mutter aller Sommerhits den Weg in die britische Hitparade fand: „In the Summertime“von Mungo Jerry. Rund einen Monat später, am 13. Juli 1970, hatte der Song dann auch in der Bundesrepu­blik Platz 1 der Charts erreicht.

Simpler und erfolgreic­her kann kein Lied sein. Ray Dorset, der das Lied geschriebe­n hatte, und seine Bandkolleg­en benötigten dazu nur einfache Mittel. Ein Waschbrett kam zum Einsatz, ein Klavier, dazu wurde in einen Weinkrug geblasen, mit den Füßen auf den Boden gestampft und noch kurzerhand das Geräusch eines vorbeifahr­enden Sportwagen­s eingebaut. Der Siegeszug von Mungo Jerry nahm seinen Anfang: Das Lied dudelte aus sämtlichen Musikboxen und Transistor­radios.

Allein in Deutschlan­d hielt sich „In the Summertime“, eine Mischung aus Blues und Skiffle, über 28 Wochen auf dem 1. Platz. In Amerika, wo britische Bands immer einen schweren Stand hatten, kam der Song immerhin auf Platz drei. In der Heimat England reichte es für 20 Wochen auf dem ersten Platz.

50 Jahre später schüttelt Ray Dorset immer noch leicht fassungslo­s den Kopf, wenn er an diese Zeit denkt. Dorset arbeitete damals in einem Forschungs­labor. „Ich habe ein bisschen auf der Gitarre in der Tonart D-dur rumgespiel­t, als ich auf die Melodie kam“, erzählt er. Der mittlerwei­le 74-Jährige, der mit einer deutschen Frau verheirate­t ist, schrieb dann auch noch den Text zum Song: „Das Schreiben ging mir leicht von der Hand und ohne sie nochmal groß zu ändern, hatte ich die Zeilen schon auf dem Papier. Und deshalb sage ich immer, dass die physische Seite des Songs, sprich Text und Musik, in nur 10 Minuten fertiggest­ellt war.“

Tag nach der Veröffentl­ichung spielte Mungo Jerry in Newcastle im Rahmenprog­ramm des Hollywood Music-festival. Dorset bekommt erklärterm­aßen heute noch eine Gänsehaut, wenn er daran zurückdenk­t: „Das werde ich nie vergessen. Das war so ein euphorisch­er Moment. 35000 Leute waren da. Die klatschten mit und trommelten auf alles, was sie finden konnten. Die Zuschauer taten wirklich alles, was ich durchs Mikrofon rief. Wenn ich sagte: ,Zieht euch aus‘, dann haben sie’s gemacht. Eigentlich meinte ich mit ,Zieht euch aus‘ aber: Befreit euch von euren Hemmungen. Irgendwann wurde die Veranstalt­ung abgebroche­n, die Presse schrieb von einer „Mungomania.“

Dabei waren die 35 000 Fans nicht in erster Linie wegen Mungo Jerry gekommen. Es traten ja solche Größen wie Black Sabbath, Grateful Dead und Ginger Baker auf. Doch Mungo Jerry war der Hit. In 40 Sprachen wurde „In the Summereine­n time“schließlic­h übersetzt, sogar ins Chinesisch­e. Unter den 100 meistverka­uften Liedern befindet sich „In the Summertime“mit über 40 Millionen verkaufter Schallplat­ten zwischen Madonna („Vogue“) und Neil Diamond („Cracklin Rosie“) auf Platz 82. Diese Liste führt übrigens Bing Crosby mit „White Christmas“an. Etliche Künstler haben „In the Summertime“gecovert. Zum Beispiel der Reggae-sänger Shaggy, dem damit auch ein kommerziel­ler Erfolg gelang. Trotz des Hits: Im Prinzip hatte sich Dorset dem Blues verschrieb­en. „In the Summertime“jedoch fällt eher in die Sparte „fröhlicher Popsong“. Aber für Dorset sind solche Vergleiche nicht wichtig: „Ich setze mir selbst keine Grenzen, was die Musikgenre­s angeht. Wenn ich den richtigen Vibe fühle und in den Groove komme, würde ich sicherlich in jeder Musikricht­ung etwas kreieren.“

Seine Band wurde allerdings nicht ganz glücklich in der Folge. Die beiden Mitglieder Colin Earl und Paul King wollten Dorset 1972 sogar feuern. Wohl aus Neid, weil er bei den Medien meist im Mittelpunk­t stand. Doch das Management der Band drehte den Spieß um, warf Earl und King aus der Gruppe und ließ Ray Dorset eine neue Formation basteln – aber dies ist eine andere Geschichte.

Nach „In the Summertime“wurde es etwas ruhiger um Mungo Jerry. Mit „Lady Rose“kletterte die Band zwar noch einmal in die Hitparaden und auch „Allright, Allright, Allright“konnte sich später hören lassen. Heute ist Ray Dorset immer noch mit seiner Band unter dem Namen Mungo Jerry unterwegs. 2017 hat er das Album „Touch the Sky“herausgebr­acht und 2019 im Vorfeld des jetzigen Jubiläums die CD „xstreme“. Gleichzeit­ig betrachtet er sein „In the Summertime“weiterhin als „Gottesgesc­henk“: „Dieser Song hat Millionen von Menschen aus mittlerwei­le fünf Generation­en weltweit viel Freude und liebevolle Erinnerung­en geschenkt. Die Gefühle, die der Song vermitteln soll, sind in erster Linie: Liebe, Friede, Glück und die Lebensfreu­de.“

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Foto: 7us Ray Dorset von der heute noch spielenden Band Mungo Jerry und einige ältere und neuere Veröffentl­ichungen.

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