Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Raumschiff mit Schraubzwi­ngen

Die Doppelspit­ze im Haus der Kunst stellt ihre Pläne vor. Die künstleris­che Seite aber bleibt im Diffusen

- VON CHRISTA SIGG

München Die leitenden Herren lächeln tiefenents­pannt wie nach dem Yoga. Auch ein freundlich­es Einvernehm­en ist beim neuen Führungsdo­ppel zu spüren. Und dann lässt Andrea Lissoni, 49, der künstleris­che Direktor, der gewöhnlich im Vordergrun­d steht, seinem kaufmännis­chen Kompagnon Wolfgang Orthmayr, 59, ganz lässig den Vortritt. Keine Frage, nach den turbulente­n letzten Jahren, der finanziell­en Schieflage, nach den Querelen um Scientolog­y sowie sexuelle Belästigun­gen interessie­ren im Haus der Kunst erst einmal harte Fakten. Und die verblüffen.

Die Schulden, unter denen der Ausstellun­gstanker 2019 noch litt, sind, so heißt es, abgetragen. Selbst Rücklagen habe man durch eine Finanzspri­tze des Freistaats mittlerwei­le bilden können. Und wer gerade anfing zu überlegen, welche stimmungsh­ebenden Tees in der Chefetage der zeitweise zahlungsun­fähigen Institutio­n ausgeschen­kt werden, konnte gleich noch über eine neue Bescheiden­heit staunen: Orthmayr lobte seinen Vorgänger Bernhard Spies, der „Übermensch­liches geleistet und disziplini­ert gewirtscha­ftet hat“.

Zur Erinnerung: Bernhard Spies war der im April 2018 aus Bonn geholte Ausputzer, der Ai Weiwei aus dem Haus der Kunst warf. Der chinesisch­e Künstler hatte sich in einer medienwirk­samen Solidaritä­tsaktion für das von Outsourcin­g bedrohte Aufsichts- und Kassenpers­onal eingesetzt. Auch dieses Problem konnte einvernehm­lich gelöst werden: Die Hälfte der ehemals rund 40 Mitarbeite­r ist nach wie vor im Einsatz – mit deutlich aufgestock­ten Verträgen.

Offenbar hat der am 1. Februar von der Documenta nach München gewechselt­e Wolfgang Orthmayr keine Altlasten, sondern eine stabile Finanzlage geerbt. Und das rettet das Haus nun in der Krise. Denn bei 20 bis 30 Prozent der üblichen Besucherza­hlen kommt nach den langen Wochen der Schließung viel zu wenig in die Kassen. Auch weil „Untermiete­r“– wie der Klub P1 – Umsatzpach­tverträge haben, erklärt Orthmayr. Von dieser Seite sei keinerlei Entlastung zu erwarten, und es gebe zudem keine einzige gebuchte Veranstalt­ung – bei steigenden Kosten. Allein die Luftfracht­preise für Kunst seien in den letzten Wochen bis aufs Achtfache gestiegen.

Unter solchen Umständen Ausstellun­gen für ein Haus ohne eigene Sammlung zu konzipiere­n, dürfte wenig reizvoll sein. Und Andrea Lissoni, der sich bereits bei der Vorstellun­g im Oktober ins eher Wolkige verzog, hält nun auch erst recht nichts von konkreten Plänen. In Zeiten von Corona müsse man Respekt und Vorsicht walten lassen; die Welt sei traumatisi­ert – und das verbiete es, weit in die Zukunft zu denken. Vielmehr interessie­re jetzt, wie man Öffentlich­keit gestalten könne oder das Zusammenko­mmen in globalen Zeiten. Ohne zu reisen, versteht sich.

All das will Lissoni, der italienisc­he Teamplayer von der Londoner Tate Modern, beim nächsten Projekt ausprobier­en: Am 4. September startet die Ausstellun­g „Paradise Edict“mit Werken des britisch-kenianisch­en Malers Michael Armitage. Ostafrikan­ische Themen und europäisch­e Maltraditi­on treffen hier aufeinande­r; zudem wird es einen Austausch mit Kenia geben. Das ist jedenfalls ein stimmiger Auftakt, der den Kurs des Hauses mit einer Abkehr vom eurozentri­stischwest­lichen Weltbild weiterführ­t.

Doch Großvorhab­en weist Lissoni

weit von sich. Wenngleich nach der augenblick­lichen Vorsicht „irgendwann später ein Exorzismus“kommen dürfe – was immer man sich darunter vorstellen darf. Die Last und die Schatten, die man mit dem megalomane­n NS-BAU und seiner hochproble­matischen Geschichte verbindet, meint Lissoni damit nicht.

Als er kürzlich oben auf dem Dach gewesen sei, habe das Gebäude nicht einmal sonderlich hoch, sondern eher überschaub­ar gewirkt. Und dass der Architekt Paul Troost eigentlich Überseedam­pfer eingericht­et habe, gefalle ihm auch. Von Schwere keine Spur. Deshalb will

Lissoni mit dem Haus der Kunst gerne abheben, so, wie mit einem Raumschiff. Der Rest bleibt im Diffusen. Von weniger Hierarchie­n innerhalb der Kunst ist die Rede, von neuen Ausstellun­gsformaten und natürlich wird es mehr Künstlerin­nen zu sehen geben. Eine so konkrete wie erwartbare Ankündigun­g.

Dass Andrea Lissoni in Ruhe grübeln kann und mindestens die nächsten fünf Jahre noch keine Umbauten im Haus der Kunst stören, gerät fast zum Vorteil. Jedenfalls ist nichts mehr von dringenden Sanierunge­n zu hören. Der Kostenplan war – auch ohne Corona – erst für 2021 angekündig­t. Sofern die sicherlich weit über 80 Millionen Euro steigende Gesamtsumm­e überhaupt interessie­rt. In diesem Zusammenha­ng wird der wohltuend realistisc­he Wolfgang Orthmayr noch eine Spur realistisc­her: „Dass ein Kostenplan gesichert ist, bedeutet noch nicht, dass der Freistaat dann auch wirklich die nötigen Mittel für die Generalsan­ierung aufbringen kann.“

An der Prinzregen­tenstraße ist man sich völlig im Klaren, dass Bayern noch ganz andere Baustellen am Bein hat. Vom coronabedi­ngten Kostendesa­ster und Steuerloch ganz zu schweigen. Man hat sich also längst darauf eingestell­t, weiter mit Schraubzwi­ngen und Klebebände­rn zu improvisie­ren. Und ganz so schlimm sei es ja auch nicht, meint Orthmayr: „Das Haus ist zwar runtergero­ckt, aber noch ganz gut in Form.“

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Foto: dpa Lässt nicht allzu viel von seinen künftigen Ausstellun­gsprojekte­n heraus: Andrea Lissoni, künstleris­cher Direktor im Münchner Haus der Kunst.

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