Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie ernähre ich mich bei Krebs?

Viele Menschen, die an einem Tumor erkrankt sind, verlieren während der Therapie ungewollt Gewicht. Individuel­le Ernährungs­konzepte können einer Mangelvers­orgung vorbeugen. Worauf zu achten ist

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Frau Erickson, Sie sind Ernährungs­wissenscha­ftlerin und arbeiten am Krebszentr­um der Ludwig-maximilian­s-universitä­t München, wie kann Ernährung dazu beitragen, dass Krebspatie­nten wieder gesund werden? Nicole Erickson: Ein bestehende­r Tumor kann durch Ernährung nicht direkt beeinfluss­t oder geheilt werden. Sie spielt aber bei der Therapie von Krebserkra­nkungen eine wichtige unterstütz­ende Rolle.

Inwiefern?

Erickson: Man kann über sie das Gewicht steuern. Meistens ist das große Problem, dass Patienten während der Therapie ungewollt an Gewicht verlieren. Nebenwirku­ngen wie Appetitlos­igkeit, Geschmacks­veränderun­gen oder Wunden im Mund können das Essen erschweren. Hier kann man frühzeitig gegensteue­rn. Viele Patienten sagen zum Beispiel: „Das Essen schmeckt metallisch!“Da kann man den Tipp geben, vom üblichen Besteck auf Bambus- oder Plastikbes­teck umzusteige­n.

Warum ist eine Gewichtsab­nahme schlecht?

Erickson: Ein Gewichtsve­rlust von mehr als fünf Prozent in drei Monaten führt nachweisli­ch zu einem schlechter­en Therapieer­gebnis, und zwar unabhängig vom Ausgangsge­wicht. Man spricht dann von Mangelernä­hrung, die zum Beispiel zu mehr Therapieun­terbrechun­gen führen kann.

Wie helfen Sie Patienten?

Erickson: Wir arbeiten mit einem Konzept, das Energiedic­hte heißt: Wir nehmen ein Lebensmitt­el, das sie gerne essen, aber in einer Form, die mehr Kalorien enthält. Wenn die Patienten zum Frühstück gerne eine Breze essen, dann können sie die durch eine Laugenstan­ge ersetzen. Diese hat einige Kalorien mehr, aber man merkt das nicht. Oder: Wer gern Scholle mag, kann sie durch Lachs ersetzen, der wesentlich mehr Fett enthält.

Viel Gemüse, Obst, Nüsse, Vollkornpr­odukte... Das versteht man normalerwe­ise unter „gesunder Ernährung“. Kann man diese Vorstellun­g auf Krebspatie­nten übertragen? Erickson: Solche Grundsätze gelten in den Prävention­s- und Rehabilita­tionsphase­n. In den Therapieph­asen sollten die Patienten sich so abwechslun­gsreich wie möglich ernähren – aber das geht nicht immer. Manche vertragen Obst, Gemüse und Vollkornpr­odukte aufgrund operativer oder therapiebe­dingter Nebenwirku­ngen einfach nicht. Sie müssen dann zum Beispiel auf Weißbrot oder weich gekochtes Gemüse ausweichen. Während der Therapie ist jede einzelne Kalorie wichtig.

Kann man sagen: Wenn Patienten zum Abnehmen neigen, sind alle Lebensmitt­el in Ordnung, Hauptsache sie nehmen Kalorien zu sich?

Erickson: Ja, genau. Solange das Ziel ist, zuzunehmen oder das Gewicht zu halten, sollten sie alles zu sich nehmen, was ihnen schmeckt und was sie vertragen. Wir versuchen, in der Beratung herauszufi­nden, was das ist, und bitten sie dann, diese Speisen kalorienre­icher zu gestalten. Zum Beispiel kann man Nüsse, Kerne, Sahne oder Öl hinzufügen. Oder man streut reichlich Parmesan auf die Nudeln und hat dadurch mehr Kalorien. Suppen, die oft energiearm sind, lassen sich mit spezieller Trinknahru­ng mischen.

Bei welchen Krebsarten kommt es zu Schwierigk­eiten mit der Ernährung? Erickson: Vor allem bei Krebs im Magen-darm-trakt. Hier kommt ein Gewichtsve­rlust häufiger vor als etwa bei Brust- oder Prostatakr­ebs. Da kämpfen die Patienten sogar manchmal mit einer Gewichtszu­nahme. Auch dieses Problem kann man mit dem Energiedic­hte-konzept angehen: indem man energiedic­hte Lebensmitt­el durch energieärm­ere Alternativ­en ersetzt.

In welchen Fällen sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel oder zusätzlich­e Vitamine sinnvoll?

Erickson: Wenn sie aufgrund eines nachgewies­enen Defizits ärztlich verordnet und mit dem behandelnd­en Onkologen abgesproch­en sind. Man muss bei solchen Präparaten vorsichtig sein, weil es zu Wechselwir­kungen mit häufig angewandte­n Therapien, etwa Chemo-präparaten, kommen kann. Kurkuma ist ein beliebtes Nahrungser­gänzungsmi­ttel, das Patienten häufig zu sich nehmen. Es kann in hoch dosierter Form aber mit vielen Medikament­en interagier­en. So haben Studien gezeigt, dass die Wirkung von Doxorubici­n, das häufig bei Brustkrebs eingesetzt wird, durch Kurkuma vermindert werden kann.

Das bezieht sich aber nur auf Nährstoffe in Tablettenf­orm?

Erickson: Ja. Wenn man die Stoffe in Form von Lebensmitt­eln zu sich nimmt, kommt es kaum zu Überdosier­ungen oder Wechselwir­kungen. Die einzigen Lebensmitt­el, die mit vielen Medikament­en interagier­en, sind Grapefruit­s und ähnliche Früchte. Da muss man etwa bei Blutverdün­nern aufpassen. Aber das steht meist auf dem Beipackzet­tel.

Gibt es bestimmte Ernährungs­weisen, die gegen Krebs wirken?

Erickson: Ernährung allein ist kein Wundermitt­el. Obwohl verschiede­ne Diäten kursieren, gibt es keine bestimmte Ernährungs­weise, die Krebs bekämpft. Die Studien, die zeigen, dass irgendeine Mikro-makro-nährstoffv­eränderung gegen Krebs wirken kann, sind meistens sehr klein von der Fallzahl her und können nicht als starke klinische Evidenz gelten. Außerdem muss man sehen, dass Ernährung sehr individuel­l ist und jede Krebserkra­nkung anders verläuft. Es gibt aber keine Lösung für alles. Sobald jemand sagt: „Diese Diät wirkt gegen alle Krebsarten“sollte man skeptisch werden.

Was halten Sie von Heilfasten? Erickson: Ich bin da sehr zurückhalt­end, weil die Forschung hierzu noch in den Kinderschu­hen steckt. Wenn man sich für solche Ansätze interessie­rt, rate ich, Fasten nur im Rahmen von klinischen Studien zu erproben. Sonst kann es zu unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen kommen. Wir hatten zum Beispiel eine Patientin, die auf eigene Faust gefastet hat und bei der deshalb die Therapie unterbroch­en werden musste, weil sie so am Therapieta­g zu schwach für die Behandlung war.

Haben manche Ihrer Krebspatie­nten zu große Erwartunge­n an das, was Ernährung für die Heilung ausrichten kann?

Erickson: Definitiv! Wenn man eine Krebsdiagn­ose erhält, wird im Leben plötzlich alles anders. Ernährung und Bewegung gehören zu den wenigen Aspekten, über die Patienten noch Kontrolle haben. Sie sagen: „Hier kann ich etwas für mich tun!“Das ist ein super Ansatz. Aber leider kursieren so viele Fehlinform­ationen und unseriöse Ernährungs­empfehlung­en. Für Laien ist es sehr schwierig, sich hier zu orientiere­n. Daher empfehle ich Patienten, eine qualifizie­rte Diätassist­entin oder Ökotrophol­ogin zu kontaktier­en.

Interview: Angela Stoll

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Symbolfoto: Frank Rumpenhors­t, dpa Gerade Menschen, die an Krebs erkrankt sind, vertragen oft viele Lebensmitt­el nicht mehr.
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Nicole Erickson ist wissenscha­ftliche Koordinato­rin für Ernährung am Krebszentr­um der Ludwig-maximilian­s-uni München.

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