Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ausnahmswe­ise kein Depp

In letzter Sekunde schafft der 1. FC Nürnberg den Klassenerh­alt in der 2. Bundesliga. Danach kochen die Emotionen hoch. Beim FC Ingolstadt fühlt man sich unfair behandelt und findet im Schiedsric­hter den Buhmann

- VON BENJAMIN SIGMUND

Ingolstadt Tränen sind an diesem Abend reichlich geflossen. Bei den einen aus Erleichter­ung und Glückselig­keit, bei den anderen aus Frust und Enttäuschu­ng. Sieger und Besiegte waren fix und fertig, als die Entscheidu­ng stand und das Drama seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Mit 0:3 lag der 1. FC Nürnberg im Relegation­srückspiel beim FC Ingolstadt zurück, der Sturz in die Drittklass­igkeit war trotz des 2:0-Erfolgs im ersten Aufeinande­rtreffen nur wenige Augenblick­e entfernt. Es lief bereits die sechste Minute der Nachspielz­eit, als Fabian Schleusene­r einem mit Verzweiflu­ng in den Strafraum geschlagen­en Ball hinterher grätschte und zum 1:3 über die Linie bugsierte. Während die Ingolstädt­er schockiert zusammensa­ckten, setzten die Nürnberger zum einem Jubel-lauf an, der in einer Menschentr­aube aus Spielern und Verantwort­lichen endete. Der

Fall von der ersten in die dritte Liga war unmittelba­r vor dem Aufprall in letzter Sekunde gestoppt worden.

„Das sind riesige Emotionen. Wir können uns beim Fußballgot­t bedanken, dass er uns noch mal die Hand gereicht hat“, sagte Nürnbergs Trainer Michael Wiesinger mit feuchten Augen. Es war zu sehen, welche Last von seinen Schultern gefallen ist. Für den 1. FC Nürnberg sei der Klassenerh­alt in der 2. Liga „eminent wichtig“. Ihn freue es „am meisten für die kleinen Leute im Verein“, die ein Abstieg besonders getroffen hätte.

Wiesinger, der gemeinsam mit Club-legende Marek Mintal die Profis nach einer verkorkste­n Saison vor den beiden Relegation­sspielen übernommen hatte, sieht seine Aufgabe nun als beendet an und verkündete, wieder als Leiter des Nachwuchsl­eistungsze­ntrums tätig sein zu wollen. „Es war ein Spiel mit dem Feuer. Nun muss diese Saison bewertet werden, was nicht mehr meine Aufgabe ist.“Von Emotionen überrannt waren auch seine Spieler. „Die Legende lebt!“, sagte der weinende Fcn-torwart Christian Mathenia. „Ausnahmswe­ise ist der Club kein Depp“, meinte Kapitän Hanno Behrens.

Während die Gewinner nach einem dramatisch­en Relegation­sspiel ihrer Freude freien Lauf ließen, waren die Verlierer nicht weit entfernt. Die Ingolstädt­er fluchten, weinten, traten Getränkeki­sten durch die Gegend. „Mir fällt es schwer, Nürnberg zu gratuliere­n, weil wir es absolut verdient gehabt hätten“, sagte Ingolstadt­s geknickter Trainer Tomas Oral. Auch er mit Tränen in den Augen. Seine Mannschaft habe „Unglaublic­hes geleistet“und das „Wunder“, von dem er im Vorfeld gesprochen hatte, beinahe vollbracht. Denn der FCI drehte nach einer ereignislo­sen ersten Halbzeit nach dem Seitenwech­sel auf und kam binnen 13 Minuten zu drei Tofreie ren. Stefan Kutschke (53.), Tobias Schröck (62.) und Robin Krauße (66.) trafen jeweils nach Freistößen von Marcel Gaus. Mit großer Leidenscha­ft und letzter Kraft versuchten die Oberbayern, das Resultat irgendwie über die Zeit zu bringen. Als es fast geschafft war, traf Schleusene­r und riss sie aus all ihren Träumen.

Nach dem Krimi fand Ingolstadt den Buhmann in Schiedsric­hter Christian Dingert, der länger als die angezeigte­n fünf Minuten nachspiele­n ließ und ein Foul von Michael Frey an Nico Antonitsch unmittelba­r vor Schleusene­rs Tor übersah und nicht selbst ansah, sondern dem Video-assistente­n vertraute.

Es folgten Pöbeleien, Beschimpfu­ngen und erhobene Fäuste. Die Nerven gingen auch ohne Fans bei einigen Akteuren durch. Die Gemüter ließen sich nach gegenseiti­gen Provokatio­nen kaum beruhigen. „Komm hier rein und sei ein Mann“, schrie etwa Fci-kapitän

Stefan Kutschke vor dem Kabinentra­kt Richtung Wiesinger und musste von Betreuern zurückgeha­lten werden. Der Frust der Ingolstädt­er war allzu verständli­ch. Schon am letzten Drittliga-spieltag, an dem sie selbst gewonnen hatten, war ihnen der Aufstieg von den Würzburger Kickers entrissen worden, die in der Nachspielz­eit einen fragwürdig­en Elfmeter erhielten und verwandelt­en. „Ich weiß nicht, was wir verbrochen haben“, haderte Fci-torwart Marco Knaller. „Mir fehlen die Worte, da ist nur Leere. So bestraft zu werden, ist brutal“, stammelte Oral.

Gelöst war hingegen die Laune beim Club, der in Nürnberg von zahlreiche­n Anhängern empfangen wurde. Wiesinger heulte erneut und formuliert­e drastisch: „Mit unserem Club, unserem 1. FC Nürnberg, in der 96. Minute den Sarg noch mal zu öffnen, herauszust­eigen und die 2. Liga zu sichern, hat mich sehr bewegt.“

 ?? Foto: Roland Geier ?? Kaum zu halten war Ingolstadt­s Kapitän Stefan Kutschke (2. v. links) nach dem Schlusspfi­ff. Und auch Filip Bilbija (4. von links) gab Nürnbergs Fabian Nürnberger noch ein paar nette Worte mit.
Foto: Roland Geier Kaum zu halten war Ingolstadt­s Kapitän Stefan Kutschke (2. v. links) nach dem Schlusspfi­ff. Und auch Filip Bilbija (4. von links) gab Nürnbergs Fabian Nürnberger noch ein paar nette Worte mit.

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