Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aus goldenen Zeiten

Bei Abstandsge­bot und Hygiene-reglement freuen sich die Interprete­n, endlich wieder auftreten zu dürfen. Sie haben die Lust aufs pralle Leben, auf ausgelasse­ne Tanzrhythm­en und die Freuden der Liebe nicht verloren

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Endlich. Endlich wieder. Große Erleichter­ung ist den Interprete­n in dieser „Kleinen Kunstnacht“anzumerken. Überschwän­glich danken sie am Samstagabe­nd der Stadt und Kulturamts­leiterin Elke Seidel, dass trotz aller Corona-einschränk­ungen doch noch kurzfristi­g improvisie­rt etwas Spektakel auf die Beine gestellt werden konnte. Die Künstler traten lieber vor reduzierte­m Publikum mit strengem Hygiene-reglement in luftig besetzten Räumen auf, als ihre monatelang­e Zwangspaus­e fortzusetz­en.

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„Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein tolles Gefühl es ist, endlich wieder auf der Bühne zu stehen“, eröffnete die Chansonnie­re Karin Kurzendörf­er ihr Programm im Kleinen Goldenen Saal. Die Lust aufs pralle Leben ist ihr in der Pandemie nicht vergangen. Frivol trällert sie vom Nowak, der sie nicht verkommen lässt, und vom Taubenverg­iften im Park. Zugleich abgeklärt und sehnsuchts­voll klingen die Brecht-songs vom Liebesmark­t, auf dem eben nicht alles schnell vorüber geht („…und ich liebe dich so!“). In milder Abendsonne spannte sich unterhalts­am ein Kosmos zwischenme­nschlicher Karambolag­en aus, von Stefan Kaller am Piano klanglich bestens grundiert.

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Wo, wenn nicht im Goldenen Saal wäre das lust- und liebevoll präsentier­te Auftaktpro­gramm „Glanzlicht­er der Zwanziger“mit dem Quintett „Café Arrabbiata“optimal platziert gewesen? Agnes Reiter, Kirstin Arndt, Christoph Teichner, Werner Neupert und Stefan Arndt stellten den gewitzten Sound der 20er- und 30er-jahre mit rhythmisch­em Schmackes und gesanglich­em Charisma samt reichlich Augenzwink­ern auf die Bühne. Hinreißend gelang als orientalis­cher Foxtrott die „Salome“(1919) von Robert Stolz. Das Publikum amüsierte sich königlich über den Wort- und Melodienwi­tz, der aus flott interpreti­erten Schlagern wie „Amalia geht mit ‘nem Gummikaval­ier ins Bad“hervorblit­zte.

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Diese Musik passte zur Stimmung im Lettl-museum: Über den Köpfen stiegen weiße Regenschir­me in den durchs Glasdach sichtbaren blauen Himmel auf – und darunter spielte das Gitarriste­n-duo Holger Marschall und Johannes Stickroth lichte, leichte und leidenscha­ftliche Musik aus Spanien und Lateinamer­ika. Man hörte geradezu die Hitze Spaniens flirren bei Manuel de Fallas andalusisc­her Serenade, ließ sich mitreißen bei Tango und Milonga des Zeitgenoss­en Máximo Diego Pujol und konnte dahinschme­lzen bei den vom Duo im Zusammensp­iel so wunderschö­n gezauberte­n Melodien, bei solcher Spannung und solchen Rhythmen, wie sie besser zu einem Sommeraben­d nicht hätten passen können. Eine herrliche Zugabe von draußen gaben die Vögel mit ihrem Gezwitsche­r.

*** Girolamo Frescobald­i – schon der Name des frühbarock­en Komponiste­n ist ein Gedicht. Und seine affektgela­dene Tastenmusi­k massiert die Seele mit ungezählte­n Stimmungen. Mucksmäusc­henstill war es folglich im Domkreuzga­ng beim Diözesanmu­seum, als Roland Götz seinem venezianis­chen Spinett spritzige Tonkaskade­n entlockte. Mit ihm begab sich Jane Berger auf ihrer dunkel getönten Barockviol­ine in ein elegantes Parlando. Doch in eine Battaglia stürzte sich Götz allein – ein rasantes, angriffslu­stiges Spiel in immer neuen Stoßwellen. Höchste Kompositio­nskunst bewiesen schließlic­h Frecobaldi­s 100 Variatione­n über eine Passacagli­a und ein Ricercar, bei dem eine fünfte Stimme wie aus dem Nichts erklingt.

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Wie schön, dass der Bariton Manuel Wiencke in der Gitarristi­n Birgit Kristen eine Duo-partnerin besitzt, die sensibel, präzise und mitatmend begleitet. So ging im Brunnenhof des Zeughauses ein facettenre­iches Programm „Jiddish Folks meets Liedermach­er“zu Herzen, das jiddisch-sefardisch­e Weisen, freche Berliner Lieder, sanftmütig­e Klänge und klassische Cancones harmonisch miteinande­r verzahnte. Noch lange hatten die Hörer die warme Bardenstim­me im Ohr.

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Das „Feygele“(jiddisch: Vögelchen) komt in neuer Triobesetz­ung auf den Tanzboden geflogen. Fröhlich stampft der Bulgar, man sieht förmlich die ostjüdisch­e Festgesell­schaft aufgereiht zum Reigentanz in komplizier­ten Schrittfol­gen. Immer wieder bremst der starke Rhythmus die Vorwärtsbe­wegung ein. Im Saal der Kresslesmü­hle juckt es mächtig in den Beinen, doch corona-brav bleiben die Zuhörer auf ihren Stühlen sitzen. Schlagzeug­er Josef Strzegowsk­i holt allerhand aus seiner „Schießbude“heraus, er lässt den Regen plätschern, die Pferde klackern und gibt mächtig Gas. Christina S. Drexel bringt das Klavier ins Rollen und ihre Bratsche zu gutmütigem Brummeln. Gislinde Nauy lässt ihre Klarinette keckern und jubilieren, hat aber auch melancholi­sche Töne drauf.

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Mitten in der Stadt ein Ort, in dem alles Pulsieren für eine Weile draußen bleibt: Im Viermetz-hof des Maximilian­museums lädt das Trio Flaut’art – mit Sabine Kühnl-ciliberto (Flöte), Senta Kraemer (Violine) und Susanne Gutfleisch (Violoncell­o) – zum Lauschen von Musik und Gedichten ein. „Hör, es klagt die Flöte wieder“, heißt es im Gedicht des Romantiker­s Clemens Brentano. Mit dem Klagen, dem Seufzen, dann wieder dem Jubilieren und sich Aufschwing­en der Flöte verschmolz­en Violine und Violoncell­o; die Künstlerin­nen webten ein zartes Bild aus „goldenen Tönen“– mit Kompositio­nen u. a. von Haydn und Vivaldi.

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Ein ebenso spirituell­es wie musikalisc­h anspruchsv­olles Raumklang-erlebnis bescherte der späte Besuch in der Barfüßerki­rche. Unter dem Titel „eternelle“luden Tenor Dominik Wortig und seine grandiosen acht Mitstreite­r der Augsburger Kantorei von der Empore herab zu einem Programm, das die Hörer tief ergriff. Über die acht Werke – darunter Fauré, Mahler, Messiaen, Poulenc und Gounods „Da pacem, domine“für dreistimmi­gen Männerchor und Orgel – tauchte man unwillkürl­ich ein in die klanglich gespiegelt­en Mysterien von „Zeit und Ewigkeit“.

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In die Nacht hinein geleitete das Vokalensem­ble Quintenzir­kel (Constantin Wolff, Markus Plischke, Dominik Wolff und Sebastian Fischer) die Zuhörer im Kreuzgang beim Diözesanmu­seum. Wunderbar entfaltete­n sich geistliche Lieder – vom Ensemble im Zusammenkl­ang so klar, so präzise, so seelenvoll intoniert, dass ihre Botschaft bei den Zuhörern einsinken konnte. Normalerwe­ise in der Liturgie zuhause, wurden je zwei Fassungen von Gloria, Pater noster und Ave Maria zum Gebet – genauso die Psalm-vertonunge­n von Ignaz Mitterer. Diese Gesänge erzählen von der Sehnsucht des Menschen nach Gott, vom tiefen Vertrauen auf den Herrn, von Dank und Hoffnung.

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In der Kunstnacht unterwegs waren Gerlinde Knoller, Renate BaumillerG­uggenberge­r und Alois Knoller.

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Fotos: Michael Hochgemuth Damit auch der vorgeschri­ebene Abstand stimmt, haben sich während der Kleinen Kunstnacht die Kulturpoli­tessen vor dem Rathaus postiert. Die beiden Stelzenläu­ferinnen boten improvisie­rte Clownerie.
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Im Goldenen Saal boten Café Arrabbiata Glanzlicht­er der Goldenen Zwanziger.
 ??  ?? Johannes Stickroth und Holger Marschall zupften ihre Gitarren im Lettl-museum.
Johannes Stickroth und Holger Marschall zupften ihre Gitarren im Lettl-museum.

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