Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der heimliche Beobachter des Kettenkaru­ssells

Der neue Standort birgt für Rudi Eberhardt eine Überraschu­ng. Warum er täglich mit der Nationalhy­mne startet

- VON INA MARKS

Das Kettenkaru­ssell stiehlt dem Rathaus seit gut einer Woche die Show. Passanten bleiben stehen, um das imposante Fahrgeschä­ft vor historisch­er Kulisse zu fotografie­ren und zu filmen. Täglich lassen sich Menschen in dem Fahrgeschä­ft durch die Luft wirbeln. Karussellb­etreiber Rudi Eberhardt, der jeden Tag mit einem ungewöhnli­chen Ritual beginnt, ist überrascht.

Fast könnte man die Uhr am Perlachtur­m danach stellen. Punkt 11 Uhr vormittags ertönt die deutsche Nationalhy­mne auf dem Rathauspla­tz. Dann startet die erste Fahrt des Kettenkaru­ssells. Es ist eine Leerfahrt, wie der 40 Jahre alte Betreiber erklärt. Rudi Eberhardt testet dann, ob alles funktionie­rt, achtet sogar auf die Geräusche. Dass er zu Beginn jedes Arbeitstag­es die Nationalhy­mne vom Band abspielt, ist für den Augsburger Schaustell­er ein Ritual. Er pflegt es seit Jahren.

„Das hat etwas mit Aberglaube zu tun und ist so eine Art Glücksbrin­ger.

Etwas Nationalst­olz kann man doch zeigen.“Der Karussellb­esitzer hat ein weiteres Ritual: Er spuckt auf die erste Tageseinna­hme. „Das bringt Glück für die Einnahmen für den ganzen Tag. Das ist ein alter Brauch von Handelsleu­ten.“

Nach Spucken ist Arnold Zörgiebel und seiner Frau Inge nicht zumute, als sie aus dem Kettenkaru­ssell aussteigen. Beide strahlen. Dem 65-Jährigen sei lediglich ein wenig schwindlig, verrät er. Das Ehepaar aus Südhessen, das einen Besuch in Augsburg verbringt, stieß bei einem Stadtbumme­l zufällig auf das Kettenkaru­ssell. Sie freuen sich wie Kinder. „Wir sind die letzten 30

Jahre kein Kettenkaru­ssell mehr gefahren. Jetzt wollten wir es noch mal wissen und sind begeistert“, sagen sie und lachen. Schaustell­er Eberhardt ist von den vielen positiven Reaktionen, die er seit gut einer Woche erhält, überrascht.

Oft werde kritisiert, wenn sich Schaustell­er auf öffentlich­en Plätzen niederließ­en. „Manche finden dann, dass Plätze verschande­lt werden.“Hier auf dem Rathauspla­tz aber sei die Stimmung bislang durchweg positiv. „Alle sagen, dass das Kettenkaru­ssell optisch gut reinpasst.“3,5 Minuten dauert eine Fahrt für 3,50 Euro. Vier Fahrten gibt es für zwölf Euro. Immer wieder kommt es laut Eberhardt vor, dass Besucher gleich mehrmals hintereina­nder fahren wollen.

„Meist sind das dann Kinder, die ihren Spaß haben, während die Eltern nebenan im Café sitzen.“Auch die Großen haben ihre Freude an den Umdrehunge­n in luftiger Höhe. Neben Passanten würden aus den umliegende­n Büros und Geschäften Männer und Frauen die Mittagspau­se

nutzen, um im ihre Runden zu drehen.

„Eine Dame von meiner Bank wollte die Tage auch mit der Belegschaf­t vorbeikomm­en“, berichtet der Schaustell­er. Abends kämen eher die Jugendlich­en. Auch Rollstuhlf­ahrer können ins Kettenkaru­ssell über eine Rampe zusteigen. Bis Mitte September sind der Wellenflug und die anderen Fahrgeschä­fte im Zentrum zu finden. Sie sind täglich von 11 bis 20 Uhr in Betrieb. Freitags und samstags geht es bis 22 Uhr. Übrigens arbeitet nicht nur Rudi Eberhardt an dem Fahrgeschä­ft. Was wohl kaum einer weiß: Im Korpus des Karussells sitzt im Verborgene­n einer der Mitarbeite­r.

Niemand kann die „heimlichen Beobachter“sehen. Sie wiederum können durch die nur von innen transparen­ten Wände das Geschehen draußen verfolgen. Dann bemerken sie sicherlich auch, wie viel Freude das Karussell den Fahrgästen bereitet. Die meisten steigen mit einem Lachen aus den Sitzen.

Wellenflug

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Schaustell­er Rudi Eberhardt kommt mit seinem Karussell Wellenflug auf dem Rathauspla­tz in Augsburg gut an.
Foto: Ulrich Wagner Schaustell­er Rudi Eberhardt kommt mit seinem Karussell Wellenflug auf dem Rathauspla­tz in Augsburg gut an.

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