Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wohin mit all den Menschen an Seen und auf Bergen?
Vor allem in Südbayern fühlen sich Einheimische vielerorts von Touristenströmen überrannt. Höhere Parkgebühren allein lösen das Problem nicht
Wie unter einem Brennglas führt uns die Coronapandemie Probleme vor Augen, mit denen wir uns schon seit Jahren herumschlagen. Die wir aber vielleicht verdrängt haben, deren Lösung wir aber auf jeden Fall nicht beherzt angegangen sind.
Hier ist jetzt nicht von Schwächen im Gesundheitssystem die Rede, sondern von überfüllten Stränden, von langen Autoschlangen in die Berge und zugeparkten Privatgrundstücken in Bergdörfern. All das gehört zu dem, was neudeutsch gerne als Overtourism bezeichnet wird. Salopp formuliert: Die vielen Touristen gehen den Einheimischen zunehmend auf die Nerven.
Wo aber sollen all die Urlauber und Tagesausflügler hin, die in Corona-zeiten in Deutschlands Erholungsgebiete drängen? Und: Wo sollen die ihr Auto abstellen? Brauchen wir fünfstöckige Parkhäuser an Bergen und Seen für die ohnehin immer größeren SUVS?
Dass es mit dem grenzenlosen Individualverkehr nicht einfach so weitergeht, war schon lange vor dem Corona-lockdown klar. Beispielsweise wurden im Allgäu schon vor der Pandemie die Stimmen derjenigen immer lauter, die eine deutliche Anhebung der Parkgebühren forderten. Und mehr Besucherlenkung, notfalls auch das Sperren von Seitentälern und Wegen für Mountainbiker.
Dann war es in den Urlaubsorten gut zwei Monate lang gespenstisch still. Doch seit Mai scheinen die Touristenströme an Bayerns Bergen und Seen alles zu überlaufen. Das ist ganz einfach damit zu erklären, dass viel mehr Menschen als sonst zu Hause oder aber irgendwo im Inland Urlaub machen.
Können wir uns also zurücklehnen und darauf hoffen, dass das uns alle ungeheuerlich nervende Thema Corona irgendwann einmal beendet sein wird und sich die Situation in den Urlaubsorten wieder halbwegs normalisiert? Nein. Niemand weiß, wann Deutschland und Europa Corona überwunden haben werden. Und kaum jemand glaubt, dass Fernreisen in absehbarer Zeit wieder weitgehend uneingeschränkt möglich sein werden. Also bleibt der Besucherdruck auf deutsche Urlaubsziele groß.
Wer den Ansturm der Tagesausflügler und Urlauber in Bahnen lenken will, der muss den Menschen Alternativen aufzeigen. Allein mit einer Erhöhung oder Verdoppelung der Parkgebühren ist es nicht getan. Dem öffentlichen Nahverkehr kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Aber nur wenn das Angebot gut ist und die Preise akzeptabel sind, werden öffentliche Verkehrsmittel auch angenommen. In Kempten und im Oberallgäu war im vergangenen Jahr oft von einem gemeinsamen 100-Euro-jahresticket für
Bus und Bahn die Rede. Bürger sammelten sogar Unterschriften dafür. Der Oberallgäuer Kreistag beschloss, dieses Ticket noch in der ersten Hälfte dieses Jahres einzuführen. Die Stadt Kempten aber machte nicht mit. Erst einmal ist das Projekt damit vom Tisch. Auch deshalb, weil sich die Deutsche Bahn – wieder einmal – als schwerfälliger Verhandlungspartner erwies. Der Oberallgäuer Kreistag hat jetzt eine Grundlagenstudie für ein Nahverkehrskonzept in Auftrag gegeben. Ein Trauerspiel: Die Untersuchung kostet sage und schreibe fast 2,5 Millionen Euro – und mit einem Ergebnis ist nicht vor Ende 2023 zu rechnen.
Digitale Tourismus-leitsysteme sollen in Zukunft dabei helfen, Besucherströme zu lenken. Doch bis es so weit ist, wird es wohl noch lange dauern. Eine Chance könnte die derzeitige Situation für Regionen sein, die bisher nicht so im Rampenlicht stehen. Es muss nicht immer Oberstdorf oder Füssen sein. Gut wandern lässt es sich beispielsweise auch in den Westlichen Wäldern bei Augsburg oder im Unterallgäu.
Bus und Bahn müssen zu einer Alternative werden