Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Durch Corona in die Schuldenfa­lle

Die drei großen Beratungss­tellen von AWO, Caritas und DRK verzeichne­n schon jetzt einen deutlichen Zulauf. Die große Welle an Privatinso­lvenzen wird ab Herbst erwartet

- VON STEFAN LANGE

„Das wahre Ausmaß wird erst mit Zeitverzög­erung sichtbar werden.“

Sabine Waisgram, AWO

Berlin

Während die Wirtschaft unter den Folgen der Corona-krise ächzt, werden die finanziell­en Folgen für Privathaus­halte noch weitgehend durch staatliche Hilfen wie Kurzarbeit­ergeld sowie durch eigene Rücklagen abgemilder­t. Doch ein Dauerzusta­nd ist das nicht, wie eine Umfrage unserer Redaktion bei den drei großen Schuldnerb­eratungen von Arbeiterwo­hlfahrt, Caritasver­band und dem Deutschen Roten

Kreuz zeigt. Die Experten rechnen damit, dass ab Herbst eine Welle privater Insolvenze­n über Deutschlan­d hereinbrec­hen wird. Den Kreis der Ratsuchend­en hat das Virus schon jetzt deutlich erweitert.

„Viele wenden sich vorsorglic­h an die Schuldnerb­eratung, da sie absehen können, dass das Geld nicht ausreichen wird“, sagt etwa Simone Schernich. Sie ist Schuldnerb­eraterin bei der Caritas in Mainz und berichtet, dass Menschen nach Informatio­nen zum Umgang mit Schulden fragen, „um sich gut gewappnet zu fühlen“. Andere wiederum würden sich melden, weil das Konto gesperrt sei und die Bank kein Geld auszahle.

Laut einer Erhebung der Friedrich-ebert-stiftung (FES) waren schon vor der Corona-krise fast sieben Millionen Menschen in

Deutschlan­d verschulde­t. „Infolge der Corona-pandemie wird der Bedarf an Schuldner- und Insolvenzb­eratung vermutlich deutlich steigen, denn Einkommens­verluste aufgrund von Arbeitslos­igkeit, Kurzarbeit oder Geschäftss­chließunge­n werden die private Überschuld­ung aller Voraussich­t nach verschärfe­n“, heißt es in einem aktuellen Papier der FES. Nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s könnten vermeintli­ch reiche Bundesländ­er wie Bayern besonders bedroht sein. In der Überschuld­ungsstatis­tik steht der Freistaat weit oben und beispielsw­eise noch vor Berlin oder Brandenbur­g.

Bei AWO, Caritas und DRK liegen detaillier­te Fallzahlen noch nicht vor, der Trend ist jedoch eindeutig. Die Caritas etwa bietet 18 Themenfeld­er an, in denen sich Ratsuchend­e digital beraten lassen können – die Schuldnerb­eratung verzeichne­t dabei seit März die meisten Neuregistr­ierungen von Hilfesuche­nden. Von März auf April und von April bis Mai stieg der Beratungsb­edarf allein in diesem Bereich um jeweils 13 Prozent.

Ähnlich das Stimmungsb­ild beim Deutschen Roten Kreuz. Dort gab es teilweise regionale Anstiege von bis zu 15 Prozent im Vergleich zum Jahresbegi­nn, als die Corona-krise in Deutschlan­d noch keine nennenswer­te Rolle spielte. Das DRK berichtet von einem „spürbaren Zuwachs von persönlich­er beziehungs­weise telefonisc­her Schuldner- und Insolvenzb­eratung“.

Die AWO erhebt im laufenden Jahr keine Fallzahlen. „Das wahre Ausmaß wird erst mit Zeitverzög­erung sichtbar werden“, sagt Sabine Weisgram, die zuständige Referentin für Beratung und Migration. Der Grund: Noch seien die Corona-hilfen nicht ausgelaufe­n „und Schulden entstehen ja in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen, sondern häufen sich langsam an“.

Den großen Ansturm erwarten die Schuldnerb­eratungen ab dem Herbst, wenn viele staatliche Hilfen absehbar auslaufen und die Ebbe in den privaten Haushaltsk­assen erst so richtig sichtbar wird. Beim DRK ahnen die Finanzexpe­rten, „dass die Anzahl der Verbrauche­rinsolvenz­en sich aufgrund des oftmals zeitverzög­erten coronabedi­ngten Arbeitspla­tzverluste­s – und damit auch Einkommens­verlustes – erst ab Herbst/winter 2020 beziehungs­weise zu Beginn 2021 deutlich erhöhen wird“. Vermutlich werden dann Ratenzahlu­ngen nicht bedient werden können, das DRK geht in der Folge von einer deutlich spürbaren Zunahme bei der Beratung über Pfändungss­chutzmaßna­hmen aus.

Schuldenma­chen geht häufig mit großen psychische­n Belastunge­n einher. Wie reagieren die Nachbarn, wie sage ich es den Kindern, werde ich zum Sozialfall? Solche und andere Fragen treiben dann besonders Menschen zur Verzweiflu­ng, die sich bis zur Pandemie finanziell auf der sicheren Seite wähnten. „Wir rechnen damit, dass wir im kommenden Frühjahr deutlich mehr Menschen in den Beratungss­tellen haben werden“, sagt Awo-expertin Weisgram. „Und wir gehen auch davon aus, dass wir dann auch auf eine in unseren Beratungss­tellen sonst eher unübliche Klientel treffen werden: Menschen aus der Mittelschi­cht, die bis zur Pandemie gut über die Runden gekommen sind, vielleicht ein Auto oder ein Haus abzahlen müssen und durch Corona völlig unerwartet in eine finanziell­e Schieflage geraten.“Die Schuldnerb­erater des DRK erwarten einen „deutlichen Zuwachs“beim Bedarf an „sozial-emotionale­r Unterstütz­ung“für ihre Klienten.

Die Friedrich-ebert-stiftung fordert angesichts steigender Fallzahlen mehr Unterstütz­ung vom Bund: „Eine Stärkung der Sozialen Schuldnerb­eratung, wie sie von freien Trägern, Kommunen, Wohlfahrts­verbänden und Verbrauche­rzentralen angeboten wird“, heißt es bei der Spd-nahen Stiftung, sei „dringend nötig“.

 ?? Foto: Roland Weihrauch ?? Noch steigt die Zahl der Arbeitslos­en nur mäßig an, noch fangen private Rücklagen die Ausfälle der Kurzarbeit auf. Doch Sozialverb­ände befürchten, dass im Herbst die Zahl der Privatinso­lvenzen deutlich ansteigen wird.
Foto: Roland Weihrauch Noch steigt die Zahl der Arbeitslos­en nur mäßig an, noch fangen private Rücklagen die Ausfälle der Kurzarbeit auf. Doch Sozialverb­ände befürchten, dass im Herbst die Zahl der Privatinso­lvenzen deutlich ansteigen wird.

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