Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie unabhängig ist die Berliner Justiz?

Ein Staatsanwa­lt soll der AFD nahestehen und deshalb die rechte Szene verschonen

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Berlin Es könnte ein neuer Skandal in deutschen Ermittlung­sbehörden sein. Betroffen ist diesmal nicht die Polizei wie in Hessen und anderen Bundesländ­ern, sondern die Justiz in Berlin. Der Verdacht: Ein Oberstaats­anwalt könnte bei Ermittlung­en zu einer jahrelange­n Serie rechtsextr­emer Brandansch­läge und Drohungen im Bezirk Neukölln befangen gewesen sein. Dabei geht es auch um eine mögliche Nähe zur AFD. Die Vorwürfe sind noch nicht aufgeklärt. Aber doch so schwerwieg­end, dass die Berliner Generalsta­atsanwälti­n nun sämtliche Ermittlung­en an sich zog. Der betroffene Staatsanwa­lt und ein Kollege wurden versetzt.

Aufgefloge­n war die Sache zufällig – bei der kürzlichen Überprüfun­g von Ermittlung­sakten zu mindestens 72 rechtsextr­emistische­n Straftaten seit 2016 in Neukölln, darunter 23 Brandstift­ungen. Die Akten enthielten auch einen von der Polizei im Jahr 2017 mitgeschni­ttenen Chat zwischen zwei Verdächtig­en. Die Männer schrieben auch über einen Staatsanwa­lt, der in einer Vernehmung gesagt haben soll, „dass er Afd-nah sei oder jedenfalls Afd-wähler sei“, wie Generalsta­atsanwälti­n Margarete Koppers sagte. Der eine Verdächtig­e habe daraufhin dem anderen erklärt, „dass man sich gut aufgehoben fühlen könne bei der Staatsanwa­ltschaft wegen dieser Äußerung“.

Die beiden Verdächtig­en, von denen einer Lokalpolit­iker der AFD war, stehen wegen der Anschlagss­erie schon lange im Fokus der Polizei. Nach einem Brandansch­lag 2018 auf das Auto eines Neuköllner Linkenpoli­tikers durchsucht­e die Polizei ihre Wohnungen und beschlagna­hmte Handys und Computer. Sie fand zwar eine Liste mit mehr als 500 Namen politische­r Gegner und Feinde aus den Jahren vor 2013. Taten nachweisen konnte sie ihnen bisher nicht.

Seit Jahren sind Polizei und Justiz in Berlin Kritik ausgesetzt, weil es zu der Anschlagss­erie keine Festnahmen und Anklagen gibt. Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) richtete 2019 eine 30-köpfige Ermittlerg­ruppe ein, die alle Fälle noch einmal intensiv untersuche­n sollte. Neue Erfolge blieben aus. Nun stellt sich die Frage, ob es sich um einen Einzelfall handelt oder um die Spitze eines Eisbergs in Deutschlan­ds größter Anklagebeh­örde mit derzeit 414 Staatsanwä­lten. Und wer politisch die Verantwort­ung trägt.

Auch außerhalb von Berlin hatten rechtsextr­eme Vorfälle in Polizeibeh­örden und der Verdacht auf rechte Netzwerke in den vergangene­n Jahren für Protest gesorgt. Mit einer Serie von Mails, die mit „NSU 2.0“unterzeich­net waren, wurden Politiker und andere Menschen des öffentlich­en Lebens bedroht. Das sorgt bei den Betroffene­n besonders für Verunsiche­rung.

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Foto: Ferat Kocak/die Linke, dpa Das Fahrzeug des Berliner Linken-politikers Ferat Kocak wurde angezündet.

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