Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Siemens trotzt der Krise

Joe Kaeser biegt auf seine letzte Runde als Konzern-chef ein. Anfang Februar ist endgültig Schluss für ihn. Doch der Manager bleibt dem Unternehme­n erhalten

- VON STEFAN STAHL

München Es schien zuletzt etwas ruhiger geworden zu sein um Joe Kaeser. Seit bekannt ist, dass der 63-Jährige mit der Hauptversa­mmlung im Februar nächsten Jahres endgültig abtritt, steht er nicht mehr so sehr im Zentrum des deutschen Wirtschaft­slebens wie früher. Doch der Niederbaye­r ist in den vergangene­n Corona-monaten nicht abgetaucht. Im Gegenteil: Kaeser mischt sich nach wie vor twitternd politisch ein und übergibt seinem Nachfolger Roland Busch, 55, einen Konzern, der sich, im Gegensatz zu Konkurrent­en wie General Electric, in einer soliden Verfassung befindet.

Ein gut laufendes Softwarege­schäft, Großaufträ­ge wie von der Deutschen Bahn für 30 neue Züge und ein erfolgreic­hes Finanzmana­gement mit freien Mitteln von über 2,1 Milliarden Euro allein im Industrie-geschäft lassen aufhorchen. Kaeser tritt auf der Zielgerade­n seiner Ära als Siemens-könig entspreche­nd gelassen und selbstbewu­sst auf. „Wir halten erfolgreic­h Kurs und konnten eine überzeugen­de operative Performanc­e abliefern“, sagt er am Donnerstag bei der Präsentati­on der jüngsten Quartalsza­hlen. Siemens konnte im vergangene­n Quartal immerhin noch 535 Millionen Euro Gewinn nach Steuern erwirtscha­ften, auch wenn im Vorjahresz­eitraum stolze rund 1,14 Milliarden Euro zu Buche standen.

Kaeser sieht also die Chance, dass „Siemens dank der Innovation­skraft des Konzerns gestärkt aus der Krise herauskomm­en kann“. Da derlei zuversicht­liche Gewissheit derzeit ein Randgruppe­n-phänomen in der deutschen Wirtschaft ist, stechen die Botschafte­n des Siemens-bosses umso mehr heraus. Der Manager hält etwa an seinem Plan fest, den Energieber­eich, der immerhin für rund ein Drittel des Umsatzes der alten Siemens AG steht, abzuspalte­n und am 28. September an die Börse zu bringen. Aktionäre saugen die positiven Siemens-nachrichte­n begierig auf und lassen den Wert des Konzerns wie auch am Donnerstag weiter spürbar steigen. Dabei hat die Siemens-aktie schon jenes „V“vollzogen, von dem Konjunktur­optimisten für die ganze deutsche Volkswirts­chaft träumen. Denn zunächst sauste der Münchner Konzern an der Börse von Notierunge­n über 115 Euro mit dem Corona-express auf bis zu knapp 60 Euro Mitte März nach unten. Dann setzte ein rasches Comeback ein: Die Siemens-aktie bäumte sich vernehmlic­h auf und kehrte im Juli zu alter Stärke zurück. Dabei traut sich Siemens in Rezessions­zeiten nicht nur den Börsengang des Energieber­eichs zu, sondern geht auch auf Shoppingto­ur: Die bereits an den Aktienmark­t entlassene Medizintec­hniksparte kauft für 16,4 Milliarden Dollar das auf Krebsforsc­hung und -therapie spezialisi­erte Us-unternehme­n Varian – ein Mega-deal, der in der Finanzbran­che überwiegen­d positiv gesehen wird. Kaeser wiederum sieht sich durch solche Aktionen trotz Kritik darin bestätigt, großen Bereichen wie der Medizintec­hnik, also einer Sparte, die ja auch schon an die Börse gebracht wurde, mehr Handlungss­pielraum zu gewähren. Für ihn ist die Zeit von Industrie-konglomera­ten vorbei. Sein Ziel ist es, den Tanker Siemens in Schnellboo­te zu zerlegen, die Tempo aufnehmen, wie die Übernahme in den USA zeigt.

Dabei scheint der Noch-siemenslen­ker doch noch seinen Frieden damit gemacht zu haben, nicht zwei Jahre länger, wie mancher glaubte, Chef des Konzerns bleiben zu dürfen. Immerhin haben ihm die Aktionäre ohne großes Murren zugestande­n, dass er als Aufsichtsr­atschef der neuen Energiespa­rte Siemens in mächtiger Funktion verbunden bleibt. Die Gefahr, Kaeser könne künftig medial untergehen, scheint ohnehin überschaub­ar zu sein. Nach wie vor lohnt es sich, seine Twitterakt­ivitäten zu studieren. Hier wehrt er sich unverdross­en gegen „Hass, Ausgrenzun­g und Rassismus als Gift für die Zivilisati­on“. Wer solche Dinge verharmlos­e, dulde oder gar fördere, mache sich mitschuldi­g. Derart reagierte Kaeser im Februar auf den Anschlag in Hanau.

Dass er nach wie vor einer der politischs­ten Köpfe unter den Konzern-vorständen ist, erwies sich wiederum im Mai. Kaesers Kampfeslus­t kam erneut zum Vorschein. Entgegen allen Empfehlung­en, die Medienbera­ter Managern gerne erteilen, legte sich der Siemens-mann mit dem Bild-imperium an. Die Schlagzeil­e „Exklusive Umfrage: Unzufriede­nheit mit Merkel und Co. auf Rekordtief“kommentier­te er: „Die Zeitung ist bekannt für große Schlagzeil­en und flache Inhalte. Obwohl niemand perfekt ist, beneiden uns die meisten Länder um einen der größten politische­n Führer der Welt. Die deutsche Führung hat im Umgang mit Covid-19 hervorrage­nde Arbeit geleistet.“Kaesers kecker Bild-tweet fand Applaus. Eine Frau namens „Carmina Burana“schrieb: „Gut gebrüllt, Löwe!“

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Foto: Peter Kneffel, dpa Siemens-chef Joe Kaeser kann noch einmal für Krisen-zeiten gute Geschäftsz­ahlen vorlegen. Im Februar 2021 tritt der Manager dann ab.

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