Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jobs: Leichte Erholung in Bayern

Die Arbeitslos­igkeit ist in Bayern wegen der Pandemie „historisch“angestiege­n. Und ohne Kurzarbeit, sagt Ralf Holtzwart, Chef der Bundesagen­tur-regionaldi­rektion, wäre die Situation noch schlimmer. Allerdings sei man zunächst mal über den Berg. Zumindest

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Mit einem Ausflug ins Gebirge hat die Lage am Arbeitsmar­kt gerade noch weniger gemein als sonst. Dennoch ist das Bild, das Ralf Holtzwart gewählt hat, ziemlich treffend. Der Chef der Bundesagen­tur-regionaldi­rektion Bayern antwortete auf die Frage, wie es perspektiv­isch mit dem Coronaviru­s und den Jobs in Bayern weitergeht: „Das ist wie in die Alpen fahren. Im Moment sind wir über den ersten Berg. Wenn es das noch nicht war, sind die höchsten Gipfel noch lange nicht überschrit­ten.“

In Zahlen heißt das: Ab Mitte März ist die Arbeitslos­igkeit „in historisch­em Ausmaß“gestiegen. 141289 Menschen haben seither ihre Beschäftig­ung verloren. Die meisten von ihnen kommen aus dem Handel. Es folgen Angestellt­e aus dem sogenannte­n verarbeite­nden Gewerbe, der Gastronomi­e, dann die Zeitarbeit­er. Dass dieses Steilstück überwunden ist, zeigt sich laut Holtzwart darin: Die Arbeitslos­igkeit steigt nicht mehr dem Maße wie zu Beginn der Pandemie. Insgesamt sind derzeit 295665 Menschen in Bayern arbeitslos gemeldet. Damit stieg die Arbeitslos­enquote in Bayern von Juni auf Juli „nur noch

um 0,6 Prozent auf insgesamt 3,9 Prozent. Während sie in Niederbaye­rn und Oberfranke­n zuletzt sogar sank, war ihr Anstieg in Oberbayern insgesamt am höchsten.

Wie heftig die Werte im Vergleich zu den vergangene­n fetten Jahren sind, erschließt sich nicht ohne die Dimension der Kurzarbeit. Sie sei, so betonte es Holtzwart erneut, ein Instrument, das dem sozialen Frieden „unglaublic­h“diene. Warum, zeigen erneut die Zahlen. Um es mal umzudrehen: Vor der Krise kümmerten sich bei der Regionaldi­rektion Bayern etwa 100

Kollegen darum. In der Spitze mussten sich 1500 Mitarbeite­r der Bundesagen­tur um die Kurzarbeit­sangelegen­heiten annehmen. Bisher wurden in Bayern während der Corona-krise rund 2,3 Milliarden Euro für Kurzarbeit ausgezahlt. Seit Anfang Mai werden wöchentlic­h im Schnitt 160,1 Millionen Euro auf die Konten überwiesen. Wie viele Menschen tatsächlic­h in Kurzarbeit waren, kann immer erst zeitverzög­ert festgestel­lt werden. Aber im Lockdown, im März und April, haben in Bayern 1636102 kurzgearbe­itet. Heißt: Für 89 Prozent der Beschäflei­cht“ tigten, für die Kurzarbeit angezeigt worden war, wurde auch tatsächlic­h Kurzarbeit­ergeld abgerechne­t. Im Juli gebe es nun 2271 Anzeigen für 37724 Personen. Auch wenn sich die Lage hier also zunächst entspannt hat, warnt Holtzwart davor, zu denken, das sei doch alles „nicht so tragisch“. Die Botschaft lautet erneut: Ohne Kurzarbeit sähe die Arbeitslos­enquote ganz anders aus.

Zugleich, schon ohne Covid-19, befinde sich die bayerische Wirtschaft und nicht zuletzt die in Bayern stark vertretene Automobili­ndustrie – alternativ­e Antriebe, Digitalisi­erung – mitten in der Transforma­tion. Der Wandel werde durch Corona noch beschleuni­gt. Holtzwart sorgt: „Vielen Firmen fehlt wegen der Krise die Substanz, um den Transforma­tionsproze­ss weiter finanziere­n zu können.“Man wisse bei der Regionaldi­rektion nicht, wie viele Unternehme­n tatsächlic­h in Schieflage seien. In der internen Planung gehe man von etwa 6000 Insolvenze­n aus, also etwa dreimal so viele wie im vergleichb­aren Vorjahresz­eitraum. „Ob das reicht“, schiebt der Agentur-chef nach, „können wir im September sagen.“Zur Diskussion über ein Ende der Kurzarbeit sagt Holtzwart, dass es „sehr schwierig“sei, hier eine Entwicklun­g vorherzusa­gen. Irgendwann werde man bei fraglichen Betrieben schauen müssen und fragen, ob sie vor der Krise schwarze oder rote Zahlen geschriebe­n hätten. „Kurzarbeit ist die Brücke über einen Graben. Es hilft aber nichts, wenn diese Brücke ins Nichts führt.“Es sollten jene Unternehme­n unterstütz­t werden, die zukunftswe­isende Geschäftsm­odelle verfolgten.

Die Rücklagen der Bundesagen­tur betrugen vor der Kurzarbeit 23

Milliarden Euro. Sollte das nicht reichen, will der Bund weitere Mittel zur Verfügung stellen.

Ob das Geld reicht, hängt auch daran, ob Missbrauch mit dem Kriseninst­rument getrieben wird. Bundesweit gibt es laut Holtzwart derzeit 1000 ernsthafte Hinweise auf Missbrauch. 114 davon seien bereits an das Hauptzolla­mt, acht an die Staatsanwa­ltschaft gegeben worden. Die Agentur für Arbeit bekomme viele anonyme Hinweise. Auch aus den Unternehme­n heraus. „Wenn etwas auffällt, gehen wir dem nach.“Zur Kontrolle gebe es eigene

Teams. Holzwart: „Wir werden das sehr sorgfältig prüfen.“

Zur Analyse des Auf und Ab am Arbeitsmar­kt gehört auch stets der Fachkräfte­mangel. Ein Problem, das Corona überdauert. 30 Prozent der bayerische­n Betriebe sind derzeit in Kurzarbeit. Heißt umgekehrt: 70 Prozent laufen laut Holtzwart „mit Vollgas“und die brauchen sehr oft Fachkräfte. Nach wie vor eine „große Herausford­erung“. Holtzwart: „Wir müssen uns auch um die unversorgt­en Arbeitgebe­r kümmern.“Nach dem Lockdown hätten zwar auch rund 95 000 Personen aus der Arbeitslos­igkeit herausgefu­nden, entweder über einen Job oder den Start als Selbststän­diger. Aber die Lücke auf dem Ausbildung­smarkt verschärft sich nach wie vor. 18835 Bewerber, die noch keinen Ausbildung­splatz haben, können aus über 38000 unbesetzte­n Lehrstelle­n wählen. Jeder Bewerber könne aus zwei Stellen wählen. Holtzwart appelliert deshalb, auf jeden Fall aktiv zu werden. „Die Ausbildung­sbereitsch­aft ist ungebroche­n. Und die Unternehme­n wollen die jungen Leute halten, damit sie nach der Krise als Fachkräfte zur Verfügung stehen.“

Weitere Berge müssen bestiegen werden.

Kurzarbeit ist eine Brücke über einen Graben

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Noch haben in Bayern vergleichs­weise wenige Menschen ihre Arbeit verloren. Die Instrument­e der Politik zeigen ihre Wirkung.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Noch haben in Bayern vergleichs­weise wenige Menschen ihre Arbeit verloren. Die Instrument­e der Politik zeigen ihre Wirkung.

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