Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In gewissen Nöten

Mozart ist der Hausheilig­e der Salzburger Festspiele, gerade auch im hundertste­n Jahr des Bestehens und trotz Pandemie. Aber ist die Neuinszeni­erung der „Così“auch jubiläumsw­ürdig?

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Mozart und die Salzburger Festspiele – da sprechen allein die Zahlen für sich. In hundert Jahren Festspielg­eschichte hat es 291 Einstudier­ungen seiner Opern gegeben, das ist Rekord. Aber wie sollte es auch anders sein bei einem Festival, über dem seit jeher der Genius loci des gebürtigen Salzburger­s Wolfgang Amadeus schwebt und das einen maßgeblich­en Impuls zu seiner Gründung vor hundert Jahren dem Wunsch nach institutio­nalisierte­r künstleris­cher Mozart-pflege verdankt.

Somit steht außer Frage, dass in Salzburg kein Festspielj­ubiläum ohne Mozart auskommen kann, schon gar nicht, wenn es sich, wie in diesem Jahr, um eine Säkularfei­er handelt. Nun hat jedoch ein unscheinba­r kleiner, gleichwohl höchst gefährlich­er Störenfrie­d die ursprüngli­chen Pläne für 2020 gehörig durcheinan­dergewirbe­lt. Kein Mozart’scher „Don Giovanni“also als Reverenz an die erste Operninsze­nierung der Festspiele 1920 überhaupt, und auch keine „Zauberflöt­e“im heurigen Sommer – die auferlegte­n Corona-hygienereg­eln der Festspiele waren es wohl, die beiden Vorhaben den Garaus gemacht haben. Machbar dagegen schien „Così fan tutte“, die vom breiten Publikum zwar am wenigsten heiß geliebte aller Mozart/da Ponte-opern, doch Liebling der Regisseure aufgrund ihres röntgenhaf­ten Ausleuchte­ns menschlich­er Seelen. Zudem ist die „Così“, wer hätte es gedacht, die nach Spielzeite­n häufigste Mozart-oper der Salzburger Festspiele nach „Figaros Hochzeit“.

Die Tragikomöd­ie einer Beweisführ­ung, wonach Frauen untreue Wesen sind – die Männer sind es, wie das Stück zeigt, nicht minder –, hat Mozarts Librettist da Ponte zeittypisc­h breit ausgerollt, sodass die coronabedi­ngten Kürzungen, die der Regisseur Christof Loy und die Dirigentin Joana Mallwitz vorgenomme­n haben, für die Handlung keinen unverschme­rzbaren Verlust darstellen. Dass bei diesem Herunterfa­hren auf den erlaubten Zeitrahmen von zweieinhal­b (pausenlose­n) Stunden auch so manche Mozartarie über die Salzach geht, ist ein anderes – in normalen Zeiten, und gerade bei den Festspiele­n, ein Sakrileg. In diesem Jahr aber der saure Apfel, in den man beißen muss.

Gewiss hatte die Entscheidu­ng für „Così“auch damit zu tun, dass es sich hier um ein Kammerspie­l handelt. Keine Massen auf der Bühne (der Chor singt diesmal sogar hinter der Szene), nur sechs Personen bestimmen das Geschehen: Don

wettet mit Ferrando und Guglielmo, dass deren Bräute untreu werden können – ein Bäumchen-wechsle-dich-spiel mit den Herren in Verkleidun­g soll es an den Tag bringen, was mit tatkräftig­er Unterstütz­ung des Kammermädc­hens Despina auch gelingt. Und doch wundert man sich: Weil Verführung ein zentrales Moment der Handlung ist, kommt man sich doch gerade bei der „Così“nahe, näher als ein Don Giovanni seiner Anna und Elvira je kommen würde. Aber alle Künstler der Festspiel-aufführung­en werden ja regelmäßig auf Covid getestet. Also: „Così“.

Die Inszenieru­ng des kurzfristi­g übernehmen­den Christof Loy gewinnt der Oper keine aufregend neuen Aspekte ab, ist aber dennoch aus einem Guss. Nach Peter Sellars’ kopfigen Mozart-bemühungen der letzten Jahre wirkt Loys Understate­ment, das auf jeglichen Aktualisie­rungs-schnicksch­nack verzichtet, ausgesproc­hen angenehm. Statt szenischer Opulenz eine leere, von Johannes Leiacker konzipiert­e Bühne mit weißer Wand und zwei eingelasse­nen Türen, lediglich im zweiten Akt kommt ein Baum hinzu. Der Bühnenbode­n senkt sich über Stufen in den Orchesterg­raben hinab, hier sitzen oft und sinnierend die Männer und Frauen, als erhofften sie sich in ihren Gewissensn­öten Ratschluss von Mozart durch unmittelba­re Nähe zu seiner Musik. Es sind solch sparsam gesetzte, aber tiefgründi­ge Details, die die Qualität der Inszenieru­ng ausmachen. Heralfonso zensklug auch Loys Personenfü­hrung, die mit viel stummem Spiel stets den doppelten Boden des Geschehens ansichtig hält: Dass nämlich die Hinwendung eines jeden der Akteure zu dem Objekt seiner Empfindung immer auch eine Abwendung von dem bisherigen Favoriten mit sich bringt.

Dergleiche­n Feinsinn gelingt nur mit Interprete­n, die sich zur Gesangskun­st auch auf die Kunst der Darstellun­g verstehen. In dieser Hinsicht ist das „Così“-sextett des Jahres 2020 schlichtwe­g superb, ja es verbietet sich fast, das vokale vom gestischen Vermögen zu trennen. Das scheinbare Gegensatzp­aar Empfindsam­keit und Leidenscha­ftlichkeit führt Elsa Dreisig in ihrer Fiordiligi zauberhaft zusammen und in der Arie „Per pietà, ben mio“ergreifend in all seinen hellen und dunklen Seiten vor. Nichts weniger gelingt Marianne Crebassa in der Amalgamier­ung von Dorabellas Lebenslust und Verletzlic­hkeit. Andrè Schuen ist ein ausgesproc­hen männlich-impulsiver Guglielmo – kündigt sich da schon ein Don Giovanni an? –, der dennoch rechtzeiti­g die Kurve vor dem bloßen Macho kriegt. Während Ferrando merklich zarter besaitet ist: ein glänzender Mozart-tenor, dieser Bogdan Volkov, dem mit perfekt lyrisch geführter Kantilene in „Un aura amorosa“einer der ganz großen vokalen Momente der Aufführung gelingt. Schließlic­h Johannes Martin Kränzle als Don Alfonso: Endlich mal kein überlegen-misogyner Unsympath, sondern ein in gelassenem Parlando weise die Strippen ziehender Menschenfr­eund – obendrein selbst dem Irdischen nicht abgeneigt, so wie er Despina (Lea Desandre) am Ende hinterhere­ilt.

Applaus natürlich an diesem zweiten „Così“-abend von dem halbierten, nach Schachbret­tmuster verteilten Publikum im Großen Festspielh­aus. Vor allem auch für die Salzburg-debütantin dieser Jubiläumsf­estspiele: Joana Mallwitz. Mit welch ballerinen­haften Akkuratess­e die junge Dirigentin jede Phrase der Musik mit Armen, Händen, Fingern zeichnet, ist buchstäbli­ch die Schau. Umso mehr, als sie eben keine effektheis­chende Musik-darsteller­in ist, sondern im Verbund mit den wie immer edel mozartisch gestimmten Wiener Philharmon­ikern die Musik ungemein lebendig und sinnlich-sinnhaft macht. Mit Joana Mallwitz setzt sich die Reihe herausrage­nder Mozart-dirigenten in Salzburg auf das Schönste fort, mehr noch: Mit ihr ist im Jahrbuch der Festspiele zu Beginn ihres zweiten Jahrhunder­ts eine neue, eine weibliche Seite aufgeschla­gen.

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Foto: Monika Rittershau­s/sf Kann man neben dem einen auch den anderen lieben? Eine heikle Frage für Fiordiligi (Elsa Dreisig, links) und Dorabella (Marianne Crebassa).

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