Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

150 Jahre „Masochismu­s“

Von Leopold von Sacher-masoch und seiner „Venus im Pelz“zum Lustprinzi­p

- VON GREGOR THOLL

Wien/marbach Diesen Sommer wird der Masochismu­s, der zuletzt in der gezähmt märchenhaf­ten Bestseller­version der „Fifty Shades of Grey“zum Pop-phänomen wurde, 150 Jahre alt. Und auch damals wurde ein Buch zum Auslöser. Im Sommer 1870 wurde die Novelle „Venus im Pelz“eines beliebten Autors veröffentl­icht: Leopold von Sacher-masoch (1836–1895). Er wurde unfreiwill­ig zum Paten eines Lustprinzi­ps, das zunächst als Perversion galt… Aber der Reihe nach.

Es waren die Wochen, in denen auch der deutsch-französisc­he Krieg begann. Die Erzählung „Venus im Pelz“, so ist es beim Deutschen Literatura­rchiv in Marbach vermerkt, erschien zuerst im zwei Bände umfassende­n ersten Teil des Novellenzy­klus „Das Vermächtni­s Kains“im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlu­ng. Aber wurde aus dem Autor, dem in Lemberg – damals Österreich, heute Lwiw in der Ukraine – geborenen Schriftste­ller Sachermaso­ch,

der Namensgebe­r einer sexuellen Obsession? Das besorgte ein dann in Mannheim geborener Psychiater mit einer Karriere in Graz und Wien.

Es war Richard von Krafft-ebing (1840–1902), der vor allem in Bezug auf die „Venus im Pelz“das Wort „Masochismu­s“1886 in seinem Werk „Psychopath­ia sexualis“einführte – und zwar als (Originalwo­rtlaut) „Verbindung erduldeter Grausamkei­t und Gewalttäti­gkeit mit Wollust“. In einer Fußnote schrieb er, er nenne dies so in „Anerkennun­g der Tatsache, dass dessen Romane und Novellen die ersten Darstellun­gen dieser Perversion enthalten, den Verfasser zu Forschunge­n auf ihrem Gebiet anregten und analog der wissenscha­ftlichen Wortbildun­g Daltonismu­s (nach Dalton, dem Entdecker der Farbenblin­dheit)“. Im

Gegenzug nannte Krafft-ebing die Lust am Demütigen „Sadismus“, abgeleitet vom Marquis de Sade (1740–1814), der seine gewaltporn­ografische­n Schriften in Haft oder sogenannte­n Irrenansta­lten verfasst hatte – eine Kombinatio­n der „Perversion­en“, die Herr Sacher-masoch aber als alles andere als eine Ehre betrachtet­e. Bis heute sind beide Wörter geläufig, auch in anderen Sprachen als dem Deutschen. Was Sacher-masoch schreibt? In der Rahmenhand­lung erzählt ein Freund dem jungen Adeligen Severin von Kusiemski einen Traum. Darin erschien ihm eine schöne Frau im Pelz mit eigenwilli­gen Ansichten über die Liebe jenseits üblicher Ehediszipl­in. Daraufhin bekennt Severin mithilfe seines Tagebuchs, eine solche Frau im wahren Leben kennengele­rnt zu

haben, eine sogenannte „Venus im Pelz“namens Wanda, der er sich gern unterwarf. Er ließ sich von ihr zum Lustgewinn demütigen und auspeitsch­en. Es sei befriedige­nd gewesen, Wanda zu diesem Verhalten zu erziehen, also zu einer (kontrollie­rten) Willkür ihm gegenüber.

Nicht nur in Sachen Lust am Schmerz war das späte 19. Jahrhunder­t eine Zeit der Enttabuisi­erung, in der vieles vorher Unaussprec­hliche in Begriffe gegossen wurde. Krafft-ebing verbreitet­e zum Beispiel auch die auf den Autor Karl Maria Kertbeny zurückgehe­nde Wortneubil­dung „Homosexual­ität“– aus homos („gleich“im Griechisch­en) und sexus („Geschlecht“im Lateinisch­en). Die Wörter sind geblieben, deren Wertung hat sich verändert. Galt Sadomasoch­ismus damals als „Perversion“, dann als „sexuelle Störung“– die neue „Internatio­nale Klassifika­tion der Krankheite­n“der Weltgesund­heitsorgan­isation, die mit der elften Auflage des Katalogs Anfang 2022 in Kraft tritt, hat ihn gestrichen.

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