Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (20)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
Sie entsprachen dem Antrag auf Freispruch, und bald witzelte man in Damaskus, Nabils Vater sei ein so guter Anwalt gewesen, dass er sogar noch im Sterben einen Prozess gewonnen habe. Für Nabil war der Tod des Vaters eine Befreiung. Er wollte kein Anwalt werden. Er bewarb sich bei der Polizei.
In seinem Büro angekommen, rief Barudi Ali zu sich und schaute sich gemeinsam mit ihm das Material an. Unten rechts im Bild war das Datum der Videoaufnahme eingeblendet sowie die Uhrzeit. Nach zwei Stunden packte er die Beweise zusammen, diktierte den Abschlussbericht und bat Ali, das Ganze zu Frau Malik zu bringen. Sie sollte den Anwalt des Verdächtigen und den Staatsanwalt informieren. Er bat Ali, zu Salim Sabuni zu gehen und ihm unter vier Augen mitzuteilen, dass der Beweis seiner Unschuld gesichert war. Barudi stockte mitten im Satz. „Und vergiss nicht, bevor du das Ganze zu unserem Chef nach oben bringst, noch Kopien von dem
Material zu machen. Wenn du das erledigt hast, kannst du heute und morgen freinehmen. Du hast genügend Überstunden gemacht.“
Ali lächelte müde. „Dir ist auch kein Trick fremd, um mich zum Kopieren zu bewegen“, sagte er und ging.
Barudi freute sich für den armen Salim Sabuni. Außerdem war er den Fall nun los. Hier zogen Kriminelle und Offiziere die Fäden, und es ging um Waffenhandel. Er war sicher, in ein paar Tagen würde der Geheimdienst die Sache an sich reißen. Ein, zwei Kriminelle, die zu viel wussten, würden mit dem Leben bezahlen, so dass die hohen Offiziere für den kriminellen Handel, ob mit Drogen oder Waffen, nur vom Geheimdienst erpressbar blieben. So war es stets, wenn hohe Offiziere in irgendetwas verwickelt waren. Aber es bedeutete nicht, dass der Geheimdienst sie immer deckte. Hin und wieder ließ er Minister oder Offiziere auch ohne Prozess hinrichten. Offiziell hieß es, XY habe
Selbstmord begangen. Und der Fall wurde ad acta gelegt. Schukri, der große Zyniker, flüsterte dann: „Selbstmord mit sechs Kugeln.“
Barudi ging rasch noch einmal seine Notizen durch, bevor er seinen zweiten Assistenten anrief. Nabil war sofort am Apparat, und Barudi legte los „Der katholische Bischof Tabbich hat den Kardinal aufgesucht und mit ihm gesprochen. Er ist derzeit verreist und kommt erst in einer Woche zurück. Ruf in seinem Sekretariat an und lass dir einen Termin geben. Kennst du den Bischof persönlich?“Barudi hörte zu, was Nabil zu sagen hatte. Dann lachte er. „Wie konnte ich bloß auf den dummen Gedanken kommen, dass du irgendjemanden in dieser Stadt nicht kennst? Dann also viel Glück … Wie? Nein, das soll weder eine Vernehmung noch ein Verhör sein. Es ist ein Gespräch … Ich weiß nicht, wie sehr ihr Alawiten eure Religionsmänner schätzt, sei höflich ihm gegenüber, mein Junge. Er ist der Bischof von Damaskus … Nein, viel erwarte ich mir nicht, aber jede Information kann uns helfen.“
8. Die missglückte Adoption Kommissar Barudis Tagebuch Heute habe ich frei. Ich nehme mir viel Zeit und will über die schönste Zeit meines Lebens und deren tragisches Ende schreiben: über die Jahre mit Basma. Vielleicht werden meine Trauer und meine Schuldgefühle dann etwas weniger.
Ich bin schuld an der übergroßen Enttäuschung, die meine geliebte Frau Basma zu erleiden hatte, die Enttäuschung machte sie hoffnungslos und schwach. So konnte der Krebs seinen unheilvollen Marsch durch ihren Körper antreten.
Es war ein bösartiger Darmkrebs, sehr schwer zu erkennen. Man dachte zuerst an eine Magenverstimmung, später an ein Magengeschwür oder eine Leberentzündung, beide können zu Blut im Stuhl führen. Erst ein Facharzt erkannte den Übeltäter, aber da war es bereits zu spät. Der Tod hatte es eilig mit Basma.
Der Facharzt war ihr gegenüber ganz offen. Eine Chemotherapie sei möglich, aber sehr belastend und kaum aussichtsreich. Sie nahm die Nachricht von ihrem baldigen Tod mutig auf und behielt ihre stolze Haltung. Zu einem Heiler oder einer Heilerin wollte sie, trotz meiner Bitten, nicht gehen.
Zwischen der endgültigen Diagnose und ihrem Tod lagen lediglich achtundzwanzig Novembertage.
Ich war am Boden zerstört. Nicht nur, weil ich meine große Liebe so schnell verloren hatte. Ich fühlte mich überdies auch schuldig.
Seit der ersten Begegnung mit Basma lebte ich wie im Paradies. Sie war intelligent, begabt und zärtlich. Doch ihr entscheidendes Merkmal war ihr Lachen. Sie lachte gern und laut. „Lachen ist die Musik des Herzens“, sagte sie immer, und dass sie so herzlich erst lachen konnte, seit sie sich in mich verliebt habe. Genauso war es bei mir, erst mit ihr schmeckte ich das gemeinsame Lachen der Liebenden. Eines Tages verriet Basma mir ein Geheimnis, das sie seit langem mit sich herumtrug. Nach einer Liebesaffäre im Jahr ihres Abiturs war sie keine Jungfrau mehr. „Es war eine kurze dumme Beziehung. Seitdem wollte ich nicht mehr heiraten, weil ich mich vor dem Moment fürchtete, in dem es rauskommt. Mein ältester Bruder hätte mich umgebracht, er ist ein Idiot. Für den Ehrenmord hätte er gerade mal zwei Jahre Gefängnis gekriegt und wäre auch noch wie ein Held gefeiert worden.“
„Meine liebe Basma“, sagte ich zu ihr, „diese Rückständigkeit ist ein großes Problem. Die Männer suchen ihre Ehre nicht in der Forschung, im Philosophieren, in Kunst und Literatur, im Sport oder in der Verteidigung der Heimat, sondern sie deponieren die Ehre bei der Frau, und zwar in dem Körperteil, wo sie pinkelt. Und danach riecht diese Ehre.“
Basma lachte Tränen und küsste mich und weinte vor Freude und Erleichterung.
1980 heirateten wir. Sie war fünfundzwanzig, ich fünfunddreißig. Sie liebte mich so, wie mich kein Mensch vor oder nach ihr je geliebt hat, und sie genoss das Leben mit mir, soweit die Arbeit eines Kriminalbeamten dies erlaubte. Wenn ich nach Hause kam, wusste ich, dass Basma ein ganzes Programm für den Abend vorbereitet hatte, an dessen Ende ich glücklich und erfüllt einschlief. Sie war eine Lebenskünstlerin, von der ich viel gelernt habe. Sie hatte die Fähigkeit, wirklich abzuschalten.
Kaum hatte sie die Zentrale für Telekommunikation verlassen, wo sie Abteilungsleiterin war, wurde sie zu einer Abenteurerin, zu einer lebenshungrigen Frau. Ich ging oft mit meiner Arbeit ins Bett. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf, schrieb Notizen auf einen Zettel und schlief wieder ein. Heft und Kugelschreiber lagen auf dem Nachttisch. Basma beobachtete das alles ganz ruhig, und als ich eines Nachts wieder einmal aufwachte, war sie zur Stelle, umarmte mich und schleuderte Heft und Kugelschreiber in die Ecke. „Komm in meine Arme, du brauchst den Schlaf“, flüsterte sie.