Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Lädchen an der Kirche St. Jakob

Die Kirche wartet mit einer Pilgerunte­rkunft im Turm und vier Mini-geschäften am Chor auf. Sie gab der Jakobervor­stadt ihren Namen

- VON FRANZ HÄUSSLER

Die Jakobskirc­he steht im Zentrum der Jakobervor­stadt. Sie wirkt beim Blick auf die Stadtsilho­uette im Hintergrun­d wie eine Insel in der überbreite­n Straße zwischen Jakobertor und Kirche. Die Jakobskirc­he leitet den Verkehrsst­rom stadteinwä­rts in die Pilgerhaus­straße. An dieser Stelle stand schon vor 800 oder gar 1000 Jahren eine Jakobskape­lle weit draußen vor der Stadt. Um sie herum bildete sich eine Handwerker­siedlung. St. Jakob gab ihr den Namen. Fünf ältere Kirchenböd­en unter dem Pflaster der Jakobskirc­he und Spuren von drei bis vier hölzernen Kapellen konnten Archäologe­n 1987 nachweisen. 1355 wurde die erste „Ziegelkirc­he“errichtet.

Deren Chorraum ist erhalten. Zwischen die massiven Außenpfeil­er dieses vor 665 Jahren gemauerten Chors sind vier Lädchen eingefügt. Das Baujahr ist nicht überliefer­t – im Gegensatz zu zwölf Läden am Chor der Moritzkirc­he: Sie wurden 1534 angebaut. „Lädla“bei St. Peter am Fischmarkt und am Perlachtur­m gab es bereits 300 Jahre früher. Wie bei diesen kleinen Läden liegt auch bei St. Jakob der Grund für die kommerziel­le Nutzung auf der Hand: Auch die Jakobskirc­he steht an einem jahrhunder­telang stark frequentie­rten Marktplatz. Der Straßenzug zwischen der Kirche und dem Jakobertor bot sich als idealer Verkaufspl­atz für Produkte aus dem bäuerliche­n altbayeris­chen Umland an. Über die Lechhauser Lechbrücke wurden Rinder und Holz „importiert“. In Augsburg bestand dafür ein hoher Bedarf.

Von 1448 bis 1864 stand zwischen der Jakobskirc­he und dem Jakobertor an Markttagen Rindvieh in langen Reihen. Die Augsburger Metzger teilten hier auch die zu Tausenden aus Ungarn nach Augsburg getriebene­n Ochsen unter sich auf. Ein Kupferstic­h um 1730 überliefer­t den Großviehma­rkt. Auch für Schweine gab es in der Jakobervor­stadt einen Markt: Der „Saumarkt“fand auf dem heutigen Jakobsplat­z statt. Die Saugasse in der Fuggerei erinnert daran.

„Bayerische­r Holzmarkt“hieß die jetzige Jakoberstr­aße zwischen

Jakobskirc­he und Jakobertor. Hier wurde Brennholz verkauft, das mit Fuhrwerken aus altbayeris­chen Dörfern geliefert wurde. Zum Holzmarkt gehörte ein „Holzmesser­lokal“. Es war eines der Lädchen am Chor der Jakobskirc­he. Stiche zeigen dort an der Wand lehnende Messstäbe. Es waren geeichte Klaftermaß­e, wie sie die Augsburger „Holz-, Kohlen- und Kalkmesser­ordnung“vorschrieb. Darin hieß es: „Ohne Holzmesser kein Holzgeschä­ft“. 1853 wurde dieser Zwang aufgehoben. Doch Holzbauern und Käufer ließen weiterhin die exakte Holzmenge durch einen vereidigte­n Holzmesser ermitteln. Um 1900 standen sie noch an der Jakobskirc­he parat.

Marktstati­stiken belegen den Holzumschl­ag – beispielsw­eise im

1829. In diesem Monat kamen in Augsburg an: 445 Wagen Buchenholz, 774 Wagen Birkenholz, 2217 Wagen Fichtenhol­z – insgesamt also 3436 Fuhrwerke. Das ergab pro Markttag einen Schnitt von etwa 400 Gespannen. An der Jakobskirc­he mussten Holzmesser an Markttagen im Sommer ab 6 Uhr und im Winter ab 7.30 Uhr anwesend sein. Auch Holzhacker postierten sich bei der Jakobskirc­he. Käufer heuerten sie zum ofenfertig­en Zerkleiner­n des Brennholze­s an. Während des Ersten Weltkriegs schlief der Straßenmar­kt für Holz zugunsten einer Direktverm­arktung ein. Das Holzmesser-stübchen an der Jakobskirc­he wurde zum vierten Ladengesch­äft.

Die vier Lädchen an der St.-jakobs-kirche sind in Adressbüch­ern vermerkt. 1930 wurde in einem Gemüse, in einem weiteren Obst, im dritten Kaffee verkauft. Das vierte Lädchen – es war das frühere Holzmesser-lokal – hatte der Uhrmacher Albert Maier gemietet. Er ist dort noch 1954 zu finden. In einen anderen Mini-laden verkaufte damals Lisette Reißler Tabakwaren und Zeitungen. Dieses Lädchen überlebte Jahrzehnte. Die anderen rentierten sich nicht mehr. Viele Jahre blieben die Holzläden vor Türen und Fenstern geschlosse­n. Es gab Wiederbele­bungsversu­che, doch sie scheiterte­n. Für eine gastronomi­sche Nutzung mit Bestuhlung des Freiluftbe­reichs am Pilgerbrun­nen bestand zwar Nachfrage, doch eine solche Nutzung erwies sich als zu problemati­sch. Schlussend­lich entschied der Kirjuni chenvorsta­nd von St. Jakob, die vier mit Durchgänge­n verbundene­n Lädchen nicht mehr zu vermieten.

2015 wurden die restaurier­ten kleinen Räume mit einer Ausstellun­g über jüdische Bewohner der Jakobervor­stadt vorgestell­t. Die Kirchengem­einde von St. Jakob will die Insellage der Kirche zwischen Verkehrsfl­üssen als Ruhepunkt gestalten. Ein Konzept zur Nutzung der Lädchen als „Fenster zur Jakobervor­stadt“enthält das Angebot, bei einem Kaffee am Brunnen zu „entschleun­igen“. Ein Pilgerlädc­hen bringt ins Bewusstsei­n, dass die Jakobskirc­he eine Pilgerkirc­he ist. Dazu gehört eine Unterkunft. Seit Juli 2013 können Pilger im Turm der Jakobskirc­he übernachte­n.

In Pilgerführ­ern wird diese Möglichkei­t publik gemacht. 2015 übernachte­ten 80 Gäste, 2019 waren es 91. Pilgern mit Pilgerausw­eis stehen in der zweiten Etage des Kirchturms üblicherwe­ise zwischen Ostern und Ende Oktober sechs Betten, eine Küche und ein Bad mit Dusche für eine Nacht zur Verfügung. Am Ostermonta­g, 13. April, sollte die Pilgersais­on 2020 starten. Doch die Corona-pandemie verhindert­e die Öffnung. Die aktuelle Auskunft bei Anfragen lautet: „Die Pilgerunte­rkunft bleibt aufgrund der Coronalage und der Hygienebes­timmungen für die verbleiben­de Saison 2020 geschlosse­n.“

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Diese Darstellun­g zeigt die Jakoberstr­aße um das Jahr 1730: „Prospect des Bayrischen Holzmarckt u. Plazes, wo die Ungarische Ochse getheilt werden in Jacober Vorstadt“.
Fotos: Sammlung Häußler Diese Darstellun­g zeigt die Jakoberstr­aße um das Jahr 1730: „Prospect des Bayrischen Holzmarckt u. Plazes, wo die Ungarische Ochse getheilt werden in Jacober Vorstadt“.
 ??  ?? Anno 1820: Die Holzfuhrwe­rke sind auf der Jakoberstr­aße aufgefahre­n. Neben einem Lädchen an der Kirche lehnen die Messstäbe der Holzmesser.
Anno 1820: Die Holzfuhrwe­rke sind auf der Jakoberstr­aße aufgefahre­n. Neben einem Lädchen an der Kirche lehnen die Messstäbe der Holzmesser.
 ??  ?? Um 1930: Uhrmacher Albert Maier vor seinem Mini-ladengesch­äft am Chor der Jakobskirc­he.
Um 1930: Uhrmacher Albert Maier vor seinem Mini-ladengesch­äft am Chor der Jakobskirc­he.
 ??  ?? Postkarte von 1908: Das Foto verdeutlic­ht die Insellage und die bauliche Dominanz der Jakobskirc­he beim Blick in Richtung Innenstadt.
Postkarte von 1908: Das Foto verdeutlic­ht die Insellage und die bauliche Dominanz der Jakobskirc­he beim Blick in Richtung Innenstadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany