Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die SPD: Eine Partei auf kühnem Kurs

Machen Olaf Scholz und Kevin Kühnert gemeinsame Sache? Gut ein Jahr vor der Bundestags­wahl sortiert sich die Sozialdemo­kratie neu. Wieder einmal

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich Gerhard Schröder und seine Partei nicht mehr besonders nahestehen. Doch diese Aussage dürfte selbst wohlgesonn­ene Genossen hart getroffen haben: Egal, wen die SPD als Kanzlerkan­didaten aufstelle – es werde eine schwarz-grüne Regierung geben, schaute der Altkanzler in dieser Woche tief ins Glas seiner Wahrsagerk­ugel. Eine Erklärung für seine Verbitteru­ng wäre, dass er sich 2005 Angela Merkel geschlagen geben musste und der Stachel immer noch tief sitzt. Anderersei­ts ist Schröder trotz teurer Brioni-anzüge und dicker Zigarren immer noch Sozialdemo­krat aus Überzeugun­g und wollte mit seiner Kontrovers­e der Debatte in seiner Partei vielleicht nur neuen Schwung geben. Was ihm dann gelungen wäre.

Denn es mag Zufall sein, dass sich parallel zu Schröder ein weiterer Niedersach­se in der Kandidaten­debatte zu Wort meldete: Spdlandesc­hef Stephan Weil, der auf eine schnelle Klärung der K-frage dringt. Doch Zufälle sind in der Politik eher selten, und es könnte also durchaus Absicht hinter dem Vorgehen der beiden stecken.

Und da kommt Kevin Kühnert ins Spiel, der gerade erst seinen Rückzug als Juso-vorsitzend­er und seine Kandidatur für den Bundestag angekündig­t hat. Auch hier ist die Frage, ob diese Ankündigun­g zu diesem Zeitpunkt Absicht oder Zufall war. So oder so hat Kühnert aber eine Kettenreak­tion in Gang gesetzt, die bemerkensw­ert ist.

Nein, keine Sorge, es geht nicht darum, dass ein 31-Jähriger ohne abgeschlos­sene Berufsausb­ildung nächster Spd-kanzlerkan­didat werden soll. Selbst Kühnert käme nicht auf solch einen kühnen Gedanken. Aber im politische­n Berlin ist sein Schritt mit großer Aufmerksam­keit aufgenomme­n worden. In der Hauptstadt haben die Beobachter schon das Foto vor Augen, das Kühnert und Finanzmini­ster

Olaf Scholz demnächst beim gemeinsame­n Bier zeigt. Heimlich abgelichte­t, „rein zufällig“natürlich. Die Botschaft: Die ehemaligen Kontrahent­en tun sich zusammen, um aus der alten Tante SPD wieder eine flotte Biene zu machen. Scholz als Kanzlerkan­didat, Kühnert als Sekundant mit Aussicht auf einen einflussre­ichen Posten.

Das Bild hätte Charme und könnte bei der Wählerscha­ft ziehen. Der Polit-recke Scholz stünde für die alten Werte der Partei, für die hanseatisc­h-nüchterne Herangehen­sweise. Kühnert – jung, trinkfest, schwul – würde den rebellisch­en Part übernehmen und den Aufbruch verkörpern. Das Duo hätte Chancen, der Union zumindest Stimmen zu stibitzen, denn die hat nach Merkels Abgang noch nicht viel anzubieten. Ob Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert

Röttgen: Sie alle wirken vergleichs­weise blass gegen „Schokü“. Die Nervosität im Unionslage­r jedenfalls steigt. „Scholz? Echt jetzt?“, versuchte ein Christdemo­krat sich über die Personalie lustig zu machen. Schließlic­h habe die SPD 23 Regionalko­nferenzen gebraucht, um sich dann auf Saskia Esken und Walter Norbert-borjans als Parteivors­itzende einzuschie­ßen. Und nun doch wieder Scholz?

Diese Argumentat­ion stimmt zwar, vergisst aber, dass die CDU es nicht viel besser gemacht hat. Auch sie absolviert­e Regionalko­nferenzen, wählte sich dann Annegret Kramp-karrenbaue­r zur Vorsitzend­en – um sie anschließe­nd gleich wieder zu demontiere­n.

Esken und Walter-borjans wissen, dass sie Parteivors­itzende bleiben können, aber nicht Kanzlerkan­didaten werden. Scholz hingegen könnte und will. Viele Wähler wollen das offenbar auch, seine Beliebthei­tswerte sind glänzend. Parteiinte­rn fehlt es Scholz am nötigen Glamour, für den könnte Kühnert sorgen. Der SPD jedenfalls stehen spannende Zeiten bevor.

Der Union geht es nicht viel besser

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