Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Unsere Stadt würde untergehen“
Wenn Us-präsident Trump wirklich seine Truppen abzieht, wird das Vilseck in der Oberpfalz hart treffen. Der Ort lebt von den Amerikanern. Busunternehmer fahren ihre Kinder zur Schule, Veronika Varga frisiert ihre Haustiere. Ohne Soldaten sieht sie schwarz
Vilseck Nebel liegt an diesem Morgen über Vilseck, die Stadt wirkt friedlich. Doch kurz nach acht Uhr wird dieser Frieden getrübt. Dumpf dröhnen Schüsse durch die Nebeldecke. Aber in Vilseck schrecken sie niemanden auf. Erst wenn sie einmal nicht mehr zu hören sind, wird es gefährlich. Für den Ort geht es dann um die Existenz.
Vilseck im Landkreis Ambergsulzbach in der Oberpfalz: Wer in den Stadtkern will, muss durch die Stadttore hindurch, am Ortsende steht eine Burg. An vielen Ecken der Stadt gibt es Spuren, die auf die Anwesenheit der Amerikaner hinweisen. Vor dem Supermarkt zeigt ein Schild, dass die Menschen gerne mit amerikanischen Dollars zahlen dürfen, drinnen ist die Auswahl an Barbecue-soßen, Ketchup und Senf vielleicht ein bisschen größer als andernorts. Im Hotel in der Ortsmitte liegen Flyer von Lieferdiensten aus, alle auf Englisch. In Vilseck sind mehrere tausend amerikanische Soldaten stationiert, es ist eine Stadt, die von den Amerikanern lebt. Doch die Frage ist, wie lange das noch gut gehen wird.
Nach den ersten Plänen der Usamerikanischen Regierung sollen von den rund 36000 Soldaten auf deutschem Boden etwa 12000 die Bundesrepublik verlassen. Präsident Donald Trump findet, dass Deutschland zu wenig Geld für die Verteidigung ausgibt. Vilseck mit seinen 6200 Einwohnern – ohne Amerikaner – könnte einer der am stärksten vom Truppenabzug betroffenen Orte sein. Das dort stationierte 2nd Cavalry Regiment, eine Einheit mit knapp 4500 Soldaten, soll zurück in die Vereinigten Staaten. Das ist ein Großteil des in Vilseck stationierten Militärs. Der Nachbarstandort Grafenwöhr, wo auch der mehr als 230 Quadratkilometer große Truppenübungsplatz liegt, scheint nach ersten Erkenntnissen nicht ganz so stark betroffen.
Die Abzugspläne sind das nächste Kapitel im Streit um die deutschen Verteidigungsausgaben. Der Uspräsident bezeichnet Deutschland als „säumig“in Bezug auf die vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, auch wenn die Bundesrepublik eigentlich noch ein paar Jahre Zeit hat, um das Ziel zu erreichen. Immer wieder kritisiert Trump Deutschland dafür. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen, sie gleichen einer Baustelle.
Eine solche gibt es auch in der Bahnhofstraße in Vilseck, es wird gebaggert und der Boden aufgerissen. An diesem Werktagsmorgen ist eine der amerikanischen Kirchen, die New Testament Christian Church, geschlossen. Erst am Tag darauf findet um 19.30 Uhr ein Gottesdienst statt. Nebenan hat Veronika Varga ihren Hundesalon geöffnet. Sie ärgert sich über die Baustelle, die Kunden könnten nicht parken. Auch hier ein Hinweis auf die Soldaten aus den Staaten. Ein weißpinker Aufkleber am Fenster wirbt: „Call us for an appointment“, auf Deutsch: „Rufen Sie uns für einen
Termin an.“Rund 70 Prozent von Vargas Kunden sind Amerikaner. Im Salon strahlen die Wände in Rosa und Lila, auf einem Regal stehen Glasbehälter. Viele bunte Kleinigkeiten liegen darin, auf den ersten Blick sehen sie nach Süßwaren aus, doch es sind Schleifchen für das Hundefell. Gestreift, gepunktet, einfarbig oder mit Perlen. Das Geschäft läuft gut. „Normalerweise hat hier jede amerikanische Familie einen Hund. Ich glaube, das gehört zum amerikanischen Traum.“Dass der Großteil der Soldaten gehen wird, glaubt Varga nicht. Seit Jahren werde gesagt, dass die Truppen gehen. Doch in den vergangenen Jahren hätten die Amerikaner viel Geld in den Übungsplatz investiert. Aber was ist, wenn der Truppenabzug doch kommt? „Dann würde unsere Stadt untergehen.“
Als die Abzugspläne vergangene Woche verkündet wurden, war auch von strategischen Punkten die Rede. Über Jahrzehnte war Deutschland ein zentraler Standort für die Ustruppen. Für Richard Reisinger, Csu-landrat im Kreis Ambergsulzbach, ist die Entscheidung aus strategischer Sicht nicht erklärbar. „Auch wenn wir nicht mehr den Eisernen Vorhang haben, ist es doch der modernste Truppenübungsplatz in Europa. Wir haben bei Konflikt
in der Welt gesehen, dass der Standort den Amerikanern erlaubt, schnell und operativ Truppen zu bewegen“, sagt Reisinger. Es sei naheliegend, dass es eine politische Entscheidung sei. Man könnte auch sagen: reine Symbolpolitik. Der Bürgermeister von Vilseck, Hansmartin Schertl, ging noch weiter und sagte zu Zeit Online: „Wir sind zum Spielball der Mächte geworden.“Das sieht Reisinger ähnlich. „Immer wieder“habe es Umstrukturierungen bei den Truppen gegeben, Reduzierungen. Doch dass der jetzt geplante Rückzug nicht allein auf militärstrategischen Überlegungen basiere, sei enttäuschend. Der Landrat setzt auf die guten Beziehungen, die im Laufe der Jahre zum Militär entstanden sind. Hofft, dass Militärexperten Einfluss auf die Pläne nehmen können. Noch muss der Us-kongress dem Abzug zustimmen. Schertl hofft, dass es vielleicht gar nicht so dramatisch wird. Und so werden die Vilsecker in den kommenden Wochen genau nach Washington D.C. schauen. Denn wie die Politiker dort abstimmen, entscheidet über die Existenz vieler Bewohner.
Für Lampert Willax geht es um sein Lebenswerk, ein Busunternehmen. Willax steht vor seinem Haus, raucht eine Zigarette und unterhält sich mit einem Bekannten. Am Anfang der Straße weist ein Schild auf eine Kfz-werkstatt hin: „Car Parts Point. Kfz-teile u. Zubehör“. Die Werkstatt gehört zum Busunternehmen, das Willax aufgebaut hat. In den 60er Jahren fing er an. Heute leiten seine Söhne das Unternehmen, das Transporte für die Us-armee fährt. Laut Willax gibt es allein 25 Buslinien, die die Kinder der Amerikaner zu den Schulen fahren. Verstehen kann er die Abzugspläne nicht. „Die haben Milliarden investiert, ganze Siedlungen gebaut. Und der Amerikaner hat vielen hier Wohlstand gebracht“, schildert Willax, wie die Menschen vor Ort von den Truppen profitiert haben, nicht zuletzt auch seine Firma. „Der Amerikaner“– es ist eine Verallgemeinerung, wie sie Bewohner der Stadt häufig verwenden. Willax drückt seine Zigarette aus, stützt sich am Gartenzaun ab. „Die Pläne haben mich schon frustriert“, meint der Rentner, der ebenfalls auf den Kongress hofft. Über den Us-präsidenten sagt er nur voller Ironie: „Trump ist hier sehr beliebt.“
Die Folgen eines Abzugs wären für Vilseck, aber auch für den knapp eine halbe Stunde entfernten Standort Grafenwöhr, auf dem der Truppenübungsplatz liegt, dramatisch. Wolfgang Dagner, bei der Gewerkschaft Verdi für die Stationierungsstreitkräfte im Süden Deutschlands zuständig, sagt: „Die Städte sind aufgrund der Präsenz der Amerikaner in den letzten 70 Jahren wirtschaftlich nicht besonders stark aufgestellt.“Viel Infrastruktur gibt es sonst nicht. Dass Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer Hilfe für die betroffenen Regionen angekündigt hat und die Bundeswehr zur Unterstützung einsetzen will, sieht er nur bedingt als hilfreich an: „Das kann die Bundeslagen wehr nicht auffangen. Das sind schwere Einschnitte, nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für künftige Generationen.“Viele junge Menschen müssten die Region im Falle einer Truppenreduzierung verlassen, „das wird eine Spirale in Kraft setzen, die nicht gut ausgehen wird“. Denn die Us-armee ist ein großer Arbeitgeber und hat in der Region eine Wirtschaftskraft von rund 700 Millionen Euro pro Jahr.
Die Hälfte der Deutschen ist Dagner zufolge der Meinung, dass die Amerikaner gehen sollten. „Je näher man an die betroffenen Städte hinkommt, ändert sich das.“Es seien nicht nur die Bewohner, die als Zivilisten direkt beim Militär beschäftigt sind. „Auch Handwerker, Gastronomie und Handel leben gut von der amerikanischen Kundschaft.“Unannehmlichkeiten nähmen die Bürger in Kauf: Hubschrauberlärm, Schüsse bis in die Nacht und am Wochenende. „Wenn der Amerikaner der Meinung ist, die Truppen abziehen zu müssen und den Platz nur noch für Übungen zu nutzen, wird die Akzeptanz sinken und der Amerikaner ist kein gern gesehener Gast mehr in der Oberpfalz“, warnt Dagner. Da ist er wieder, „der Amerikaner“.
Noch sind die Bewohner vor allem froh über die Anwesenheit des Amerikaners. Doch die Angst vor dem Abzug und den Folgen schwingt immer mit. Eine Vilseckerin, die anonym bleiben will, klagt: „Der Truppenabzug wäre eine Katastrophe. Es gibt hier ja sonst nichts, keine Industrie.“Der Großteil
der Hotelgäste in Vilseck seien Amerikaner oder wegen der Soldaten da. Sie nimmt die Politik in die Pflicht: „Die da oben müssen was tun. Man kann nicht abwarten und Tee trinken, das wäre falsch. Man muss sich ein zweites Standbein aufbauen, dann kann es uns egal sein, was der Amerikaner macht.“
Das Problem sieht auch Landrat Reisinger. Man müsse versuchen, Betriebe anzusiedeln, es brauche Förderprogramme für die örtliche Wirtschaft: „Aber machen wir uns nichts vor, in der Pandemie-rezession ist das alles andere als einfach, denn der Kurs steht nicht auf Expansion, für niemanden.“Es gab bereits eine Videokonferenz von betroffenen Bürgermeistern und Landräten, unter anderem mit Florian Herrmann, dem Leiter der
Der Bürgermeister fühlt sich wie ein Spielball der Mächte
Bayerische Politiker sind zur Untätigkeit verdammt
Staatskanzlei. Reisinger fordert, dass im Fall der Fälle eine staatliche Behörde in die Region verlegt wird. Derzeit könne die Politik wenig tun: „Wir sind aktuell nicht handlungsfähig, weil wir jetzt noch nicht wissen, ob es uns überhaupt trifft.“
Andere Orte haben einen Truppenabzug der Amerikaner gut überstanden. In Augsburg waren zeitweise bis zu 15000 Soldaten stationiert. 1998 zogen die letzten ab. Auf dem Kasernengelände entstanden Kultureinrichtungen und Wohnungen. Auch in Neu-ulm werden die Standorte neu genutzt, Wohngebiete, Büros, Parkhäuser und eine Grundschule wurden gebaut. Doch das sind Großstädte.
Wohnungen, Schulen, all das braucht Vilseck derzeit nicht. Schon jetzt sind manche Ecken der Stadt leer, etwas heruntergekommen. Neben der katholischen Kirche steht ein Haus, kaputte Außenwände, fehlende Ziegel im Dach, das Gebäude ist mit einem Bauzaun abgesperrt. In anderen Straßenzügen von Vilseck sind die Häuser neu und bunt. Wie sich die Stadt entwickeln wird, weiß jetzt noch keiner. Doch wenn Trump wirklich große Teile der Truppen abzieht, könnten bald noch mehr Häuser verfallen. Es könnte düster werden in Vilseck. Ohne ihn, ohne den Amerikaner.