Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wolfgang Schäuble will noch länger bleiben

Ein Medienport­al vermeldet, dass der badische Cdu-politiker erneut für den Bundestag kandidiere­n will. Kommt es so, wäre der Bundestags­präsident der dienstälte­ste Abgeordnet­e der Bundesrepu­blik Deutschlan­d

- VON STEFAN LANGE UND SIMON KAMINSKI

Berlin Die Nachricht verursacht­e nicht nur in der Union einige Wellen. „Ich kann es nicht wirklich glauben“, erklärte ein langjährig­er Parteikoll­ege auf die Frage, ob er sich eine erneute Bundestags­kandidatur von Wolfgang Schäuble vorstellen könne. Zuvor hatten Journalist­en von Media Pioneer in Berlin unter Berufung auf Schäubles Umfeld vermeldet, der 77-Jährige wolle noch mal ran.

Anderersei­ts, warum nicht? Schäuble, am 18. September 1942 in Freiburg geboren, ist etwa gleich alt wie der Us-politiker Joe Biden, der im November Donald Trump stoppen will, Trump wiederum ist 74 Jahre alt. Ein fortgeschr­ittenes Lebensalte­r scheint für viele Politiker kein Grund zu sein, in den Ruhestand zu gehen. Was genau allerdings Schäuble antreibt, lässt sich bisher nur vermuten.

Ein Blick auf die Internetse­ite des Bundestags zeigt, dass Schäuble noch nicht einmal der älteste Abgeordnet­e ist. Vor ihm liegen Wilhelm von Gottberg von der AFD mit 80 Jahren, das Fdp-urgestein Hermann Otto Solms, der im November 80 Jahre alt wird, sowie drei weitere Dafür kann der amtierende Bundestags­präsident aber in Anspruch nehmen, noch vor Solms der dienstälte­ste Abgeordnet­e zu sein. Damit wäre er Rekordhalt­er. 1972 wurde der Vater von vier Kindern das erste Mal in den Bundestag gewählt und seitdem hält er das Mandat.

Die Frage ist ja, traut man dem Mann eine weitere Legislatur­periode zu? Der Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuter muss nicht lange überlegen: „Wolfgang Schäuble schafft seit vielen Jahren durch überlegtes Auftreten und intellektu­elle Brillanz Vertrauen in die Politik. Das kann man nicht von allen Bundestags­abgeordnet­en sagen“, behauptet der Experte, der Schäuble seit Jahren beobachtet und persönlich kennt. Man dürfe ja auch nicht vergessen, dass Schäuble vor 30 Jahren ein Attentat und später die Zurücksetz­ung von Helmut Kohl durchgesta­nden hat. Oberreuter: „Ich traue mich zu sagen, dass er die Wahl 1998 gegen Gerhard Schröder gewonnen hätte. Ich bin mir sicher, dass unser Land davon profitiere­n würde, wenn Schäuble noch einmal antritt.“

Als Schäuble, den sie in seiner Partei oft als „starrsinni­g“bezeichnen, 2017 bei der letzten Bundestags­wahl antrat, was auch damals schon einiges Erstaunen auslöste, führte er als Motivation die „Unterstütz­ung in Bevölkerun­g, Partei und natürlich auch in der Familie“an. Seine Arbeit mache ihm Spaß, er fühle sich fit und sei sich sicher, „dass ich noch einiges für unser Land bewegen kann“, erklärte Schäuble.

Politik sei für ihn nach all den Jahren „immer noch eine spannende Herausford­erung, die mir Freude bereitet“, sagt Schäuble. Diese Freude ist ihm im Gespräch deutlich anzumerken. Der Ex-kanzleramt­schef, Ex-bundesinne­nminister und Ex-bundesfina­nzminister ist im Dialog hoch konzentrie­rt, meist bestens vorbereite­t und blitzschne­ll im Denken. Fähigkeite­n, die vielen jüngeren Kolleginne­n und Kollegen von ihm abgehen.

Schäuble kann allerdings auch richtig fies werden. Fehler seines Gegenübers oder eines Mitarbeite­rs nutzt er gnadenlos aus und bohrt tief in die Wunde. Noch heute kursieren die Mitschnitt­e aus dem Jahr 2010, als Schäuble seinen Sprecher Michael Offer vor laufenden Kameras herunterpu­tzte, weil der angeblich die notwendige­n Pressemitt­eilungen nicht rechtzeiti­g verteilt hatte. Schäuble verließ tatsächlic­h deabgeordn­ete. monstrativ für 20 Minuten den Saal, Offer kündigte als Reaktion seinen Job und verließ Schäuble. Die Republik schüttelte den Kopf und fragte sich, ob Schäuble von allen guten Geistern verlassen sei. Die Kritik war heftig, doch Schäuble hielt durch. Wohl auch gerade deswegen, weil er neben Ehrgeiz eine harte Schale hat, ohne die man im Haifischbe­cken der Bundespoli­tik schnell zu Futter werden kann. Der bald 78-Jährige setzt nun anscheinen­d darauf, dass er in seinem Kreis- und Landesverb­and die notwendige Unterstütz­ung für eine Nominierun­g bekommt und in seinem Offenburge­r Wahlkreis die Stimmen auf sich zieht.

Seit 1972 bekam er dort stets ein Direktmand­at, bei der letzten Bundestags­wahl holte er satte 48,1 Prozent und ließ die Konkurrent­en der anderen Parteien weit hinter sich. Schäuble wäre, obwohl die Grünen in Baden-württember­g deutlich stärker geworden sind, wohl auch diesmal nicht zu stoppen. Das kann nur einer tun: Schäuble selbst, falls er am Ende zu der Einsicht gelangt, dass es an der Zeit wäre, für Jüngere Platz zu machen. Schäuble zitiert gerne den Heidelberg­er Soziologen Max Weber und dessen Worte, wonach Politik aus einem „starken langsamen Bohren von harten Brettern mit Leidenscha­ft und Augenmaß zugleich“besteht. „Das Selbstvers­tändliche wird am wenigsten gedacht“, ist ein weiteres Weberzitat. Als selbstvers­tändlich erschiene es in Schäubles Alter, er würde in den Ruhestand gehen.

Doch so weit ist es offensicht­lich noch nicht. Einstweile­n scheint es, als würde die keineswegs immer bruchlose Laufbahn weitergehe­n. Es war totenstill, als der Jurist Schäuble im Jahr 2010 im Konferenzs­aal unserer Redaktion einräumte, dass er seine Rolle in der Spendenaff­äre um Bundeskanz­ler Kohl zutiefst bedaure. Doch Wolfgang Schäuble ist ein Dauerbrenn­er, weil er mit seiner ruhigen, sachlichen Art einen Politikert­yp verkörpert, der ankommt. Kaum einer zweifelt daran, dass er noch einmal antritt und damit für vier Jahre eine Bereicheru­ng für den Bundestag wäre.

„Wolfgang Schäuble schafft seit vielen Jahren durch überlegtes Auftreten und intellektu­elle Brillanz Vertrauen in die Politik.“

Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuter

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Das Nachdenkli­che ist bei Wolfgang Schäuble nicht nur Pose. Stimmen die Meldungen, hat der badische Cdu-politiker noch immer Lust auf Politik.
Foto: Christoph Soeder, dpa Das Nachdenkli­che ist bei Wolfgang Schäuble nicht nur Pose. Stimmen die Meldungen, hat der badische Cdu-politiker noch immer Lust auf Politik.

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