Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In Trümmern

Beirut gleicht nach der verheerend­en Explosion einem Schlachtfe­ld. Und doch ist dies nur ein weiterer Sargnagel für den einstigen Hoffnungst­räger im Nahen Osten. Ein Besuch im Libanon

- VON DANIEL BÖHM

Am Strand von Jiyeh nicken die Palmen im Wind. In einem Pool, der aussieht als wäre er von David Hockney gemalt worden, zieht ein muskulöser Mann seine Bahnen. Frauen blicken durch die Insektenau­gen ihrer Sonnenbril­len aufs Meer. Der Nachmittag hier scheint ewig zu dauern. Irgendwann geht die Sonne unter und ein paar Leute machen Fotos. Am Horizont steigt ein Flugzeug in den Himmel. Es gehört der M.E.A., der faktisch bankrotten Fluglinie des ebenso bankrotten Staates Libanon.

Eigentlich denkt man ja immer, der Zusammenbr­uch eines Landes würde sich auf dramatisch­e Art und Weise vollziehen. Man hat bestimmte Bilder vor Augen: von brennenden Banken, Aufständen und Menschen, die sich vor den Botschafte­n der westlichen Staaten verzweifel­t um die letzten Visa prügeln. Oder eben wie jetzt, zumindest mit einem lauten Knall, mit einer Explosion. Das Unglück im Hafen von Beirut ist aber nur ein Puzzleteil von vielen: Die Abwicklung des Landes, einst als Schweiz des Nahen Ostens bezeichnet, läuft bereits seit langem – und das in aller Stille.

Der Libanon ist sterbenskr­ank. Die Wirtschaft liegt danieder, immer wieder fällt in Beirut der Strom aus, es droht sogar Hunger. Die Währung stürzt ins Bodenlose, wer Dollar hat, ist plötzlich reich, wer keine hat, ist verloren. Der Zusammenbr­uch ist so allumfasse­nd, so total, dass den ausländisc­hen Journalist­en, die darüber berichten, inzwischen die Untergangs­metaphern ausgehen. Als Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag das Land besucht, trifft ihn die geballte Verzweiflu­ng. „Ihr seid alle Mörder“, schreit eine aufgebrach­te Frau von ihrem Balkon. „Wo wart ihr gestern?“Auch gegen den libanesisc­hen Präsidente­n Michel Aoun richtete sich die Wut: „Aoun, Du bist ein Terrorist“, brüllt die Menge.

In Jiyeh ist davon nichts zu sehen. Ein Mann steht am Rand einer Kuhle voller Meerwasser und schaut seinem Sohn beim Schwimmen zu. Er hebt die Schultern und sagt, vielleicht sei man müde, vielleicht habe man sich daran gewöhnt: „Viele hier merken noch gar nicht, was eigentlich geschieht. Aber es wird schlimm werden. Wir haben unser Land völlig zugrunde gerichtet.“

Keiner kann sagen, wann genau die Selbstzers­törung des Libanon begann. Mit der Staatsgrün­dung, als die christlich­en Eliten mit Frankreich­s Hilfe aus einem Küstenstre­ifen, ein paar Bergtälern und 18 Religionsg­emeinschaf­ten ein Monaco an der Levante schaffen wollten? Im Bürgerkrie­g von 1975 bis 1990, der aus der ehemaligen Handelsrep­ublik

Schlachtha­us machte? Oder erst danach, als die einstigen Kriegsherr­en das Land mit gepumptem Geld in einen riesigen Selbstbedi­enungslade­n verwandelt­en?

Im Restaurant des Strandclub­s werfen sich die Gäste gebackene Fische in den Mund. Manchmal fragen sie einen, wo man herkommt, und wenn man „Aus Europa“antwortet, sagen sie lachend: „Herzlich willkommen im Libanon, es läuft bei uns!“Dann geht irgendwo ein Licht aus und ein Generator springt an, falls die völlig zerstritte­ne Regierung sich nicht wieder mit der algerische­n Ölfirma überworfen hat und der Strom ganz wegbleibt. Nachts legt sich deshalb Dunkelheit über ganze Straßenzüg­e. In den offenen Fenstern sieht man dann den Schein von Taschenlam­pen und Kerzen,

Der Libanon lebte lange auf zu großem Fuß

umgeben von Finsternis – wie auf den Bildern holländisc­her Meister.

Auf der pockennarb­igen Küstenauto­bahn, die Rafik Hariri, der 2005 ermordete Premiermin­ister und Erbauer des Nachkriegs­libanon, in die Küstenhäng­e hauen ließ, fahren die klimatisie­rten SUVS der libanesisc­hen Mittelschi­cht durch die Dämmerung. Blitzblank­e Zivilpanze­r, viel zu neu und zu groß für dieses zerfallend­e Land. Es sind Symbole der Hybris, sie stehen stellvertr­etend für ein Land, das jahrzehnte­lang auf viel zu großem Fuß lebte.

Alle hätten mitgemacht bei der Party, sagt Bernard Hage, ein Zeichner und Karikaturi­st, der in einem Café in Mar Mikhael sitzt. „Wir hatten Autos, Chalets in den Bergen, Hausangest­ellte aus den Philippine­n und fuhren zweimal pro Jahr in die Türkei in den Urlaub. Dies, obwohl unser Land gar nichts produziert.“Möglich war das nur dank eines ausgeklüge­lten Schneeball­systems, mit dem die libanesisc­he Elite fremdes Kapital ins Land lockte, um es dann mit beiden Händen zum Fenster raus zu werfen. Jetzt ist das Geld weg und das Land auf Hilfe von außen angewiesen. Doch die wird nicht in dem Maße kommen, wie sie benötigt wird. Katastroph­enhilfe, ja, die haben sie alle zugesagt. Die Deutschen, die Franzosen, selbst die Israelis. Doch was ist, wenn die ausläuft? Zu zerstritte­n ist die Regierung, zu korrupt sind die Mächtigen. Und zu groß ist der Druck der Amerikaner, die die libanesisc­he Misere offenbar als gute Gelegenhei­t sehen, um der mit dem Iran verbündete­n, inzwischen an der Regierung beteiligte­n Schiitenmi­liz Hisbollah endlich den Garaus zu machen. Der Libanon, der sich bisher immer irgendwie durchgewur­schtelt hatte, ist am Ende.

Tagsüber ist die Hitze in Beirut beinahe unerträgli­ch. Wie ein nasser Lappen liegt sie über der Stadt. Der Mann mit den kurzen Haaren und dem Vollbart hat tiefe Ränder unter den Augen. Vielleicht waren die vergangene­n drei Tage die schlimmste­n, die Dr. Assim alhadsch in seinem Leben durchmache­n musste. Seit der fürchterli­chen Explosion im Hafen hat er nur zwei Stunden geschlafen. Stattdesse­n: Operatione­n am Fließband im Clemenceau Medical Center unweit der Detonation. Fast 400 Verletzte wurden eingeliefe­rt, 80 befinden sich noch in kritischem Zustand: „Ich kann Ihnen sagen: Die Situation ist katastroph­al“, sagt der Mediziner mit brüchiger Stimme.

Das Leben in einem Staat, der sich langsam auflöst, gleicht einem endlosen Siechtum. Und das nicht nur in der Hauptstadt mit ihrer klaffenden Wunde. Die Bankguthab­en sind blockiert, die in Landeswähr­ung ausbezahlt­en Löhne nichts mehr wert. Die Krise treibt inzwischen seltsame Blüten. Denn weil die Libanesen nicht mehr an ihr Geld kommen und es im Land so gut wie keine Dollars mehr gibt, kaufen sie alles Mögliche, um ihre labbrigen, wertlosen Lira möglichst vor dem nächsten Inflations­schub noch in Sachwerte umzuwandel­n: koreanisch­e Geländewag­en, Eigentumse­in wohnungen, Kunst und sogar Louis-vuitton-taschen. In Batroun, einem Küstenort im Norden, verpulvern sie ihr nutzloses Restgeld in schicken Strandbars und feiern, als befände sich ein Killer-asteroid im Anflug. Im Juni lag die Inflation bei 90 Prozent. „Dieser ganze Mythos von der Kraft der Libanesen und davon, dass sie auch dann noch tanzen, wenn die Welt längst untergegan­gen ist – das ist doch genau die Haltung, die uns den Mist hier eingebrock­t hat“, sagt Bernard, ein Grafiker, und packt sein Buch weg. Er lernt lieber Deutsch.

Viele können sich diesen bizarren Eskapismus aber gar nicht erst leisten. Im bettelarme­n Lager von Schatila stapeln sich unfertige Häusergeri­ppe aus Rohbeton wie weggeworfe­ne Kleenex-schachteln. Dazwischen hängen lose Stromkabel über den verblichen­en Porträts von Yassir Arafat. Hier leben all diejenigen, die sowieso nie etwas hatten: Palästinen­ser, Syrer, die auf den Luxus-baustellen in Downtown schufteten, ehe die Arbeiten aus Geldmangel eingestell­t wurden, und natürlich all die Afrikaner und Asiaten, die als rechtlose Vertragsar­beiter Müll wegräumten, Häuser schrubbten und ihren Teil dazu beitrugen, diesem Land den Anschein eines Middle-income-country zu verleihen, das es in Wahrheit gar nie war. „Viele Familien leben von weniger als hundert Dollar im Monat“, sagt Abed Adey, ein Palästinen­ser aus Syrien, der hier seit acht Jahren ein Puppenthea­ter betreibt. Trotzdem bleiben die meisten von ihnen ruhig. Bis heute machen viele Libanesen die palästinen­sischen Flüchtling­e für den Bürgerkrie­g der 70erjahre verantwort­lich. Die Palästinen­ser haben das nicht vergessen. Sie wollen nicht noch einmal als diejenigen gelten, die den Libanon in den Abgrund reißen.

Immer wieder ploppt ein Kriegin-sicht-gefühl: Dieses Mal war es eben die Explosion. „Die Explosion hat mich an die schweren Bombardier­ungen in meiner Heimatstad­t Aleppo erinnert“, sagt die 40 Jahre alte Instar al-salih aus Nordsyrien, die mit ihren fünf Kinder in einem

Die Reformen scheitern immer wieder

Raum unweit des Katastroph­enortes lebt. Ein anderes Mal waren es Schüsse an der Grenze zu Israel, oder ein Milizenbos­s hat angeblich frische Waffen gekauft, oder es heißt, die Türken würden die Sunniten des Nordens bewaffnen. Viele Libanesen sind dann immer ganz aufgeregt, als wünschten sie sich so eine Art klärendes Gewitter fast ein bisschen herbei. Doch am Ende passiert nichts – und das Land fällt zurück in seine Depression.

Es werde keinen Krieg geben, sagt Ibrahim Samaha, der trotz der Krise in Beirut ein Kurzfilmfe­stival organisier­t hatte. „Kriege kosten Geld. Wer soll das denn bitteschön finanziere­n?“Niemand weiß, wohin das Land steuert. Wird es ein finsterer iranischer Satellit, versinkt es in Anarchie, bricht irgendwann doch ein Bürgerkrie­g aus? Reformen scheitern auch an der komplizier­ten Machtverte­ilung in dem kleinen Land. Sie geht auf ein Proporzsys­tem aus dem Jahr 1943 zurück, das bislang als unantastba­r gilt: Der Präsident muss immer ein Christ sein, der Regierungs­chef ein Sunnit, der Parlaments­präsident ein Schiit. Doch das Land ist auch über die Konfession­sgrenzen hinweg gespalten. Ein starker Flügel ist eng mit dem schiitisch­en Iran und Syrien verbunden, andere richten sich gen Westen oder dem sunnitisch­en Saudi-arabien aus. Und mittendrin sitzt die mächtige Hisbollah. Die schiitisch­e Organisati­on, treu mit dem Iran verbunden, bildet im Libanon einen Staat im Staate.

Inzwischen ist es dunkel geworden. In den Straßen von Beirut kommt es vereinzelt zu Protesten. Für Samstag haben Aktivisten zu Demos gegen die Regierung aufgerufen. Motto: Tretet zurück oder hängt am Galgen.

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Foto: Camus, dpa Die Explosion hat große Teile der sonst lebendigen Stadt am Mittelmeer in eine Trümmerlan­dschaft verwandelt. Der Hafen liegt in Schutt und Asche – ein Sinnbild für das gesamte Land.
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