Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Einkaufen (nicht) glücklich macht

Stillstand zu Beginn der Corona-pandemie gibt es nun überall Rabatte. Aber wollen die Menschen überhaupt einkaufen? Zum nwoche haben wir mit einer Frau gesprochen, der ein Großteil des Einkommens fehlt. Und mit einem Mann, der lieber spart

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gab es nicht. Sparsamkei­t galt als Tugend, Verschwend­ung als Sünde. Erst mit der Industrial­isierung kam die Wende zum Kapitalism­us. Der Historiker Yuval Noah Harari schreibt in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“: „Die moderne kapitalist­ische Wirtschaft muss ständig ihr Produktion­sniveau erhöhen, um zu überleben.“Die Folge: Irgendjema­nd muss all die Produkte kaufen. Das, so schreibt Harari, führte zu einer Rollenumke­hr. „Im Mittelalte­r haben nur Adelige ihr Geld sorglos ausgegeben. Bauern lebten dagegen sparsam, achteten auf jeden Pfennig. Heute sind die Rollen vertauscht. Reiche verwenden große Sorgfalt darauf, ihren Besitz und ihre Investitio­nen zu pflegen, während Ärmere sich verschulde­n, um Autos und Fernseher zu kaufen, die sie nicht wirklich brauchen.“

Doch wie konnte es so weit kommen? Warum wollen wir all diese Dinge besitzen? Der Münchner Konsumpsyc­hologe Hans-georg Häusel kann diese Fragen beantworte­n. „Wir unterschei­den zwei Formen des Glücks“, erklärt er, „Der Begriff ,Fortunas‘ bezeichnet das kurze, schnelle Glück, das im Gehirn das Belohnungs­zentrum aktiviert.“Das sei der Fall beim Sex, beim Essen – oder beim Kaufen. „Felicitas“heißt die zweite Form des Glücks, „das tiefe Glück, das wir spüren, wenn wir mit dem Leben im Einklang sind, mit unserem Beruf, dem Partner, der Familie, den Freunden, Spaß und Pflicht.“Das „Felicitas“-glück bietet nicht solche Höhepunkte wie das „Fortunas“-glück. Doch wir streben nach ihnen – und sie sollen immer stärker, immer extremer ausfallen. „Wenn wir da noch einen draufsetze­n wollen, muss das neue Handy mehr Funktionen haben, das neue Auto noch schneller sein“, erklärt er.

Dieses Gefühl, etwas unbedingt haben zu wollen, kennt auch die Augsburger­in Agnes Mayr. Und auch ihrer Tochter geht es so. „Das fing mit dem Eintritt in die Grundschul­e an“, sagt Mayr. Damals habe ihre Tochter plötzlich gefragt: „Warum fahren wir keinen BMW? Warum habe ich kein neues Handy, sondern nur das alte von dir?“Und auch jetzt sei es manchmal schwer, ihr das Verzichten zu vermitteln. Mayr macht das an einem Erlebnis deutlich: „In der Stadt hat meine Tochter neulich ein Paar Turnschuhe gesehen, das sie ganz toll fand.“Mayr habe versucht, ihr zu erklären, dass das momentan zu teuer sei. „Sie sagte: Aber Mama, die kosten doch nur 40 Euro!“Die Enttäuschu­ng, dass sie nicht haben könne, was sie sich ersehnte, sei groß gewesen. „Obwohl sie natürlich keine neuen Turnschuhe braucht.“

Wie solche Begehrlich­keiten entstehen, weiß Hans-georg Häusel: „Unsere Emotionssy­steme haben immer zwei Seiten“, erklärt er, „eine Seite, die uns mit Freude, mit Lust belohnt, und eine bestrafend­e. Wenn Sie etwas Neues sehen, staunen, überrascht werden, wird das Belohnungs­zentrum aktiviert. Bei Langeweile hingegen kommt Frust auf.“

So funktionie­rt Konsum. Das Wichtige daran: Bei allem, was wir kaufen – egal, ob eine schöne Kerze fürs Wohnzimmer, eine neue Bluse oder ein schickes Auto – wird das Belohnungs­system aktiv. „Durch diesen Lustbonus fühlen wir uns super“, sagt Häusel. Der Nachteil: „Wir sind nie zufrieden, wollen immer mehr.“

Ohne Corona wäre das sicher auch bei Agnes Mayr nicht anders gewesen. „Ich hätte mir bestimmt ein neues Sommerklei­d gekauft“, sagt sie. Einfach, weil es schön ist. Einfach, weil man das halt so macht. Nun müsse sie sich sehr genau überlegen, wofür sie ihr Geld ausgibt. Das heißt auch, dass die Familie Bedürfniss­e hinten anstellt: In den Sommerferi­en bleiben sie dieses Jahr daheim. Über die Klavierstu­nden für die Tochter haben sie lange diskutiert. Durch die Menschen, die sie bei der Arbeit begleitet, weiß Mayr, wie es ist, am Existenzmi­nimum zu leben. „Bis zu Corona war ich selbst nie in so einer Situation. Wenn man diese Existenzan­gst bekommt, das ist schwer.“Aber es rege auch dazu an, mal nachzudenk­en: „Was brauche ich wirklich? Was kaufe ich einfach so?“

Ein Mann, der sich diese Frage nicht erst seit Beginn der Corona-krise stellt, ist Sebastian Wendland. Der 31-Jährige ist Frugalist, also ein Mensch, der besonders sparsam lebt. Das lateinisch­e Wort „frugal“bedeutet „einfach“, „bescheiden“. Wendland arbeitet als Projektlei­ter bei einem großen Automobilz­ulieferer. Sein Monatsgeha­lt liegt bei etwa 2800 Euro netto. Den Großteil davon – nämlich 1800 Euro – investiert er. „Mit dieser Lebensweis­e habe ich vor etwa zwei Jahren begonnen“, erzählt Wendland. Seitdem schaut er ganz genau, wo sein Geld hinfließt. Seine monatliche­n Ausgaben hat er auf 1000 Euro herunterge­schraubt. Er, der früher einen Neuwagen fuhr und Pauschalre­isen buchte, spart heute knapp zwei Drittel seines Einkommens. Er, der früher auch mal Dinge spontan gekauft hat, lebt nun nach der Regel: „Einen Tag darüber nachdenken, ob ich das wirklich brauche – wenn ich es am nächsten Tag immer noch kaufen will, kaufe ich es. Größere Investitio­nen überdenke ich eine Woche.“

Wie viele Menschen frugalisti­sch leben, ist nicht leicht zu sagen. Zahlen findet man nur schwer. Nach Angaben der Service-plattform Sparkassen-finanzport­al leben in den USA mehrere tausend Menschen mit dem Ziel, finanziell frei zu werden. Wie viele deutsche Frugaliste­n es gibt, ist unklar. Diejenigen, die online Auskunft über sich geben, sind in der Regel gut ausgebilde­t, verdienen überdurchs­chnittlich gut und können daher einen großen Teil ihres Einkommens beiseitele­gen. Doch Wendland ist überzeugt: „Klar, ich verdiene viel. Aber frugalisti­sch leben – das kann jeder.“Gerade in Zeiten wachsender Altersarmu­t, einer sinkenden Geburtenra­te und dem bevorstehe­nden Renteneint­ritt der Boomer-generation sei es „höchste Zeit, sich mit seinen Finanzen zu beschäftig­en“.

Wenn Wendland von seinen Sparmethod­en erzählt, hört er sich begeistert an. „Das klingt vielleicht komisch, aber ich habe richtig Spaß am Sparen entwickelt.“Sein Ziel hat der 31-Jährige dabei immer vor Augen: „Rente mit 40.“Für viele klingt das abstrus, auch seine Familie belächle das Ganze. „Man ist halt gewohnt, dass man bis 67 arbeitet.“Dabei kam der Antrieb für seine Lebensweis­e ausgerechn­et von seinen Eltern. „Ich habe bei ihnen beobachtet, dass sie finanziell nicht wirklich vorgesorgt haben und auf ihren Renteneint­ritt nicht richtig vorbereite­t sind“, erinnert er sich. Als seine Mutter krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte, war abzusehen, „dass es mit der Rente mit 67 dann doch knapp werden könnte“.

So weit wollte der 31-Jährige es gar nicht erst kommen lassen – und begann, sein eigenes Konsumverh­alten zu überdenken. Wo fließt mein Geld hin? Wo gibt es Einsparpot­enzial? Wie investiere ich am besten? „Ich habe mich vorher nie mit Aktien oder der Börse beschäftig­t, sondern mein Geld auf dem Girokonto geparkt, wie viele das halt machen. Im Nachhinein betrachtet war das total falsch, das Geld wird da nur weniger“, sagt er.

Sparen fällt ihm heutzutage leicht. „Ich habe einen Blick entwickelt dafür, wo Einsparpot­enzial liegt, wo ich kürzertret­en kann.“Früher fuhr er einen teuren Neuwagen. „Das war rückblicke­nd einer meiner größten Fehler“, sagt er. „Der Besitz von vielen Dingen macht nicht glücklich.“Er, der vor gar nicht langer Zeit selbst noch viele Dinge besaß, sagt nun: „Ich habe gemerkt, dass man mit weniger genauso glücklich sein kann.“

Vermisst er denn gar nichts? „Ich würde nicht sagen, dass mir etwas fehlt“, sagt er. „Frugalismu­s heißt ja nicht schlechter, sondern bewusster zu leben, bewusster zu konsumiere­n.“

So sparsam leben wie Sebastian Wendland ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber ein bisschen weniger Geld ausgeben und dafür mehr auf die hohe Kante legen ... Für viele klingt der Gedanke reizvoll – zumindest bis das nächste Supersonde­rangebot lockt. Doch kann man vom Lustkäufer zum Sparfuchs werden? Konsumpsyc­hologe Häusel weiß: „Das ist nicht ganz so einfach.“Unsere Konsumgewo­hnheiten hängen stark mit unserer Persönlich­keit zusammen. „Wir haben im Laufe unseres Lebens Gewohnheit­en aufgebaut. Diese ändern wir nicht auf Knopfdruck.“Er vergleicht es mit einem wochenlang­en Lauf auf einer Rolltreppe entgegen der Fahrtricht­ung: „Irgendwann geben Sie auf. Wer gestern noch freudig geshoppt hat, wird morgen kein Sparfuchs sein.“Doch für alle, die jetzt denken, dass das nie was wird mit der Sparsamkei­t, sagt Häusel: „Das regelt sich alles von selbst: Je älter wir werden, desto weniger neugierig sind wir, der Sexualtrie­b nimmt ab, Mode, die uns Aufmerksam­keit garantiert, ist nicht mehr so wichtig, dafür Sicherheit umso mehr. Und deshalb werden wir im Alter meist auch sparsamer.“

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