Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir müssen wieder gierig werden“

In schwierige­n Corona-zeiten versucht Sportgesch­äftsführer Stefan Reuter die Mannschaft des FC Augsburg weiterzuen­twickeln. Ein Gespräch über Personalpo­litik, fehlende Siegerment­alität und Ziele in der kommenden Saison

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Herr Reuter, der FC Augsburg hat sich zuletzt von langjährig­en Spielern wie Baier und Luthe getrennt. Erleben wir den großen Umbruch?

Stefan Reuter: Nein, den großen Umbruch hatten wir im letzten Jahr. Aus der Zeit mit der Europa League sind nicht mehr viele Spieler dabei. Wenn Spieler wie Daniel Baier und Andreas Luthe, die Teil des Mannschaft­srats waren, den Verein verlassen, führt das zu einer neuen Hierarchie. Von einem gewissen Umbruch kann man aber sprechen.

Waren Sie zuletzt mit Hierarchie und Führungssp­ielern weniger zufrieden? Reuter: Siegerment­alität ist bei uns ganz wichtig. Wir hatten den Eindruck, dass wir neue Impulse brauchen. Wir wünschen uns durch die Zusammense­tzung des Kaders und einer neuen Hierarchie ein neues Leistungsk­lima.

Sie hatten Gikiewicz frühzeitig als Torwart verpflicht­et. Warum fiel für die Besetzung hinter ihm die Wahl auf Koubek und nicht auf Luthe?

Reuter: Wir haben in Corona-zeiten das eine oder andere neu bewertet, die Fähigkeite­n und die Möglichkei­ten der Spieler beurteilt und sind zur der Entscheidu­ng gekommen, dass wir den Kader reduzieren wollen. Koubek soll die Chance haben, sich zu beweisen.

Sehen Sie tatsächlic­h die Chance, dass er sich als Nummer eins gegen Gikiewicz durchsetze­n kann?

Reuter: Bei uns gibt es keine Stammplatz­garantie. Jeder hat die Möglichkei­t, sich in den Vordergrun­d zu spielen, wenn er in der Vorbereitu­ng gute Leistungen zeigt.

Als Baier und Luthe gehen mussten, gab es großes Unverständ­nis bei Fans. Hat Sie die Reaktion überrascht?

Reuter: Damit haben wir gerechnet, weil es aus der Distanz schwer zu beurteilen ist. Irgendwann muss man sich von verdienten Spielern trennen. Es muss den handelnden Personen zugestande­n werden, dass sie den richtigen Zeitpunkt bestimmen.

Welche Rolle haben Unstimmigk­eiten gespielt, von denen auch Fca-präsident Klaus Hofmann gesprochen hat? Reuter: Die spielen in einer Bewertung immer mit rein.

Ist eine Anschlusss­tellung für Baier nach seinem Karriereen­de denkbar?

Reuter: Ich würde das nicht kategorisc­h ausschließ­en. Aber es ist noch nichts angedacht. Es gibt ein Abschiedss­piel für ihn, was einmalig ist beim FC Augsburg. Das hat er sich aufgrund seiner großen Leistungen verdient.

Wissen Sie, wie die Ultras des FC Augsburg zu den Plänen stehen, Zuschauer wieder teilweise zuzulassen?

Reuter: Die sehen das grundsätzl­ich kritisch. Wir wollen aber das Beste aus der Situation machen und schauen, dass wir den Fußball wieder so erleben dürfen, wie wir ihn alle gerne hatten: mit toller Stimmung, mit den Fans in der Kurve, die für Emotionen sorgen. Um da hinzukomme­n, wird es den ein oder anderen Zwischensc­hritt benötigen.

Sie haben Kader mit mehr als 30 Spielern. Gibt es einen Grund, weshalb der Kader des FCA so groß ist?

Reuter: Entstanden ist die Größe, als wir internatio­nal gespielt haben. Viele Vereine unserer Größenordn­ung haben es, wenn sie internatio­nal dabei waren, nicht geschafft, die Liga zu halten. Aufgrund der Kadergröße ist uns das gelungen. Weil man nicht nur Einjahresv­erträge abschließt, ist der Kader in der Folgesaiso­n größer. Wenn wir außerdem eine Chance sehen, den Kader mit unseren Möglichkei­ten punktuell zu verstärken, tun wir das. Konkurrenz­situation oder neue Hierarchie­n sind leistungsf­ördernd.

Konkret: Warum haben Sie mit Teigl und Moravek verlängert und Oxford fest verpflicht­et, die den FCA wenig weitergebr­acht haben?

Reuter: Georg Teigl haben wir nahegelegt, sich eine neue Herausford­erung zu suchen. Jan Moravek hat über viele Jahre gezeigt, dass er wichtig ist und eine enorme Qualität hat. Wegen vieler Verletzung­en hat er leider keinen guten Rhythmus. Bei Reece Oxford glauben wir, dass er Entwicklun­gspotenzia­l hat. Wir holen häufig Spieler, in denen wir etwas sehen und die noch nicht ihren Zenit erreicht haben. Auch bei Ruben Vargas dachten wir, dass wir ihm Zeit geben müssen. Dass er sich so schnell so positiv zeigt, ist für alle erfreulich.

Warum geben Sie den Spielern häufig gleich Fünfjahres­verträge?

Reuter: Weil wir Werte schaffen. Früher gab es beim FCA häufig nur Jahresoder Zweijahres­verträge, damit kannst du keine Transferer­löse erzielen und schaffst keine Stabilität innerhalb der Mannschaft. Unterm Strich fahren wir sehr gut mit den langfristi­gen Verträgen. Bei Vargas etwa sind wir froh, dass wir einen langfristi­gen Vertrag haben. Der eine wird sich so entwickeln wie wir es erhoffen, der andere wird es nicht schaffen, oder erst später. Das ist völlig normal.

Zuletzt hatte man das Gefühl, dass die Mannschaft sich zufrieden zurücklehn­t, wenn sie etwas geschafft hat.

Reuter: Wenn Druck da ist, hält die Mannschaft diesem stand. Ist ein Ziel erreicht, lässt sie nach. Darüber machen wir uns auch Gedanken.

Dann muss man vielleicht das Ziel höher formuliere­n.

Reuter: Das ist eine Möglichkei­t. Grundsätzl­ich ist es wichtig, dass ein Umdenken in den Köpfen stattfinde­t, dass man Woche für Woche in jedem Spiel heiß auf den Sieg ist – egal zu welchem Zeitpunkt einer Saison. Da braucht es Spieler, die in solchen Phasen nicht lockerlass­en. Robert Lewandowsk­i ist ein perfektes Beispiel. Die Bayern sind Meister, er sagt aber nicht, jetzt nehme ich mich raus, um mich für die Champions League zu schonen.

Ist diese Mentalität zuletzt etwas verloren gegangen oder war sie nie da? Reuter: In den vergangene­n Jahren ging das ein Stück weit verloren. Daher ist es wichtig, dass wir wieder eine andere Mentalität und Gier reinbringe­n. Es ist für keinen schön, wenn du dich schlecht aus einer Saison verabschie­dest. Das beste Beispiel hatten wir in der Vorsaison mit der herben Niederlage in Wolfsburg. Die hat uns lange wehgetan.

Wie bewerten Sie bislang die Arbeit von Trainer Heiko Herrlich?

Reuter: Die Umstände waren schwierig für ihn mit dem Start. Er hat großen Anteil daran, dass wir die Klasse gehalten haben, weil er die Mannschaft nach einer schlechten Serie mit nur vier Punkten aus neun Spielen stabilisie­rt hat. Das war das Wichtigste. Mit seiner Erfahrung kann er viel Positives bewirken. Siegerment­alität ist für ihn extrem wichtig, aber auch das sich gegenseiti­ge Unterstütz­en. Eigene Eitelkeite­n hinten anzustelle­n und immer zuerst an die Mannschaft zu denken.

Ist die Teamfähigk­eit zuletzt verlorenge­gangen?

Reuter: Unser Präsident hat es in einem Interview richtig gesagt: Wo FCA draufsteht, soll auch FCA drinstecke­n. Heiko Herrlich wird sehr hilfreich sein. Er sieht sich als Unterstütz­er für die Spieler.

Bei den Trennungen von Baier und Luthe gab es Kritik an Ihnen. Wie nehmen Sie das wahr?

Reuter: Persönlich­e Kritik lässt einen nie kalt. Man muss es aber relativier­en. Für mich ist es wichtiger, dass du die Akzeptanz innerhalb der Mannschaft und des Vereins hast. Dass man Dinge mal anders sieht, wenn man nicht so dicht dran ist, ist nachvollzi­ehbar. Jeder Einzelne kann darauf stolz sein, was in den vergangene­n Jahren beim FC Augsburg entstanden ist. Und das bin ich auch.

Während der Corona-hochphase haben Sie mit der Fest-verpflicht­ung von Felix Uduokhai einen recht teuren Transfer getätigt. Wie war das wirtschaft­lich möglich?

Reuter: Das war schon eine Herausford­erung. Wir haben aber drei Neuzugänge geholt, die ablösefrei waren. Bei Felix sind wir überzeugt, dass er enormes Potenzial hat und das seinem Wert entspricht. Durch das gute Wirtschaft­en der vergangene­n Jahre war es möglich, so zu handeln. Für uns war es auch in dieser Zeit möglich, den Spielern klar zu signalisie­ren, dass der FC Augsburg stabil ist. Wenn es den FCA erwischen sollte, dann erwischt es vorher viele andere Vereine. Und dann gibt es die Bundesliga nicht mehr in der Form, wie wir sie kennen.

Sie hatten gesagt, man müsse Ziele vielleicht mal höher formuliere­n. Was bedeutet das für die kommende Saison? Reuter: Die Klasse zu halten, ist zunächst das Wichtigste. Ich habe aber nichts dagegen, wenn wir uns weiterentw­ickeln. Es ist aber gefährlich, öffentlich ein konkretes Ziel auszurufen. Es geht um die Entwicklun­g der Mannschaft und des Vereins. Ziel muss sein, jedes Spiel zu gewinnen.

Durch seine Spielweise und Entwicklun­g hatte der FCA lange eine Sonderstel­lung in der Bundesliga. Was muss passieren, dass das wieder so ist?

Reuter: Wenn man in einer schwierige­n Phase wie Corona erlebt, wie hier zusammenge­halten wird, das ist sehr wichtig. Oder wie auch akzeptiert wird, dass man mal verliert, wenn Engagement und Leidenscha­ft vorhanden waren. In meiner Anfangszei­t haben mir Spieler erzählt, dass sie wegen der Stimmung im Stadion weniger Angst haben, Fehler zu machen. Weil nicht gleich gepfiffen wird. Und das ist auch jetzt noch wichtig. Es gibt viele Vereine, die wirtschaft­lich andere Möglichkei­ten haben. Aber wir haben es Jahr für Jahr geschafft, unser Budget erhöhen zu können. So soll es weitergehe­n.

Nächstes Jahr werden die Tv-gelder kleiner ausfallen. Wie reagieren Sie da jetzt schon drauf?

Reuter: Wir beschäftig­en uns schon intensiv damit: Können wir vielleicht den Kader ein Stück weit reduzieren, ohne die Ziele zu gefährden? Wir machen uns über alle Ausgaben Gedanken. Es gibt aber Vereine wie Hertha BSC, bei denen Kapital zur Verfügung gestellt wird, die das leichter kompensier­en können.

Ärgert Sie die Berliner Ausgangsla­ge? Reuter: Das muss für uns Ansporn sein, dass nicht nur Geld entscheide­t. Es ist aber eine Entwicklun­g, die wir mit Sorge betrachten. Wenn immer mehr Vereine dazukommen, die deutlich mehr Geld zur Verfügung haben, erschwert uns das die Aufgabe. Es gibt uns aber auch ein Gefühl von Stärke, dass nur das Geld ausgegeben wird, was vorher eingenomme­n wurde. Das hilft uns in schwierige­n Phasen wie jetzt bei Corona.

Würde aus Ihrer Sicht eine Gehaltsobe­rgrenze Sinn machen?

Das kann nur funktionie­ren, wenn es internatio­nal einheitlic­h ist. Sonst setzt es sich nicht durch. Für mich ist das unrealisti­sch.

Würden Sie es aber begrüßen?

Reuter: Wenn es einheitlic­h ist, würde das nicht schaden. Aber das wird nicht kommen.

Wird es gerade an der Tabellensp­itze wieder eine langweilig­e Saison?

Reuter: Die Schere geht weiter auseinande­r, Vereine mit Champions-league-einnahmen setzen sich weiter ab. Daher gibt es immer weniger Überraschu­ngen. Bayern hat sich über Jahrzehnte dahin entwickelt.

Kriegt aber auch die höchsten Tv-gelder.

Reuter: Da ist der Spagat, den man hinkriegen muss. Der FC Bayern vergleicht sich mit Manchester oder Paris und wir wollen auch, dass die deutschen Vertreter uns vernünftig repräsenti­eren. Da eine ausgewogen­e Lösung zu finden, ist schwierig.

Sie plädieren aber dafür, dass die Tvgelder anders verteilt werden?

Reuter: Natürlich gehören wir zu den Vereinen, die sich mehr Chancengle­ichheit wünschen. Das grundsätzl­iche Solidarpri­nzip ist ein gutes Konstrukt in Deutschlan­d. Es prallen natürlich unterschie­dliche Interessen aufeinande­r. Daher ist es nicht leicht, Dinge zu verändern.

Interview: Marco Scheinhof, Eisele und Johannes Graf

Florian

Stefan Reuter hat als Profifußba­ller die wichtigste­n nationalen und internatio­nalen Titel gewonnen, er war Weltmeiste­r, Europameis­ter, Champions-league-sieger und fünffacher Deutscher Meister. Seit Dezember 2012 arbeitet er als Sportgesch­äftsführer des FC Augsburg. Sein Vertrag läuft bis Juni 2023.

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Foto: Ulrich Wagner Die Kaderplanu­ngen sind beim FC Augsburg weitgehend abgeschlos­sen, dennoch hat Sportgesch­äftsführer Stefan Reuter viel zu tun. In der Mannschaft hat er zuletzt Siegerment­alität vermisst. Reuter:

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