Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Augsburg den Frieden feiert

Der 370 Jahre alte städtische Feiertag wurde schon mehrmals neu akzentuier­t. Gehört er nur den Christen? Wie populär muss das Rahmenprog­ramm ausfallen, um die vielkultur­elle Bevölkerun­g anzusprech­en?

- VON ALOIS KNOLLER

Was für eine schöne Vision: Bürger und Bürgerinne­n einer ganzen Stadt sitzen an einem Tisch, teilen ihr Essen und Trinken, kommen miteinande­r ins Gespräch. Diese „Friedensta­fel“kann coronabedi­ngt heuer leider nur im kleinen oder privaten Umkreis stattfinde­n. Doch ihr Bild hat sich in den Köpfen von vielen Augsburger­n und weit über die Stadtgrenz­en hinaus als ein idealtypis­cher Ausdruck von Frieden eingeprägt. Die Friedensta­fel, erstmals im Jahr 2003 eingeführt, wurde ein zeitgemäße­s Kennzeiche­n des Augsburger Hohen Friedensfe­stes.

Ein Feiertag für alle, egal welcher Religion, Herkunft und Einstellun­g, sollte das einzigarti­ge Friedensfe­st – inzwischen zum Immateriel­len Kulturerbe erhoben – im vielkultur­ellen Augsburg werden. Zugleich jedoch sollten seine Wurzeln in der Überwindun­g der konfession­ellen Kriege sichtbar bleiben. Am ersten Hohen waren die Protestant­en am 8. August 1650 unter sich. Nur sie hatten einen Grund zum Feiern. Sie waren in ihrer konfession­ellen Praxis wieder frei dank des Westfälisc­hen Friedens vom Oktober 1648, bekamen ihre eingezogen­en Kirchen und ihre vertrieben­en Prediger zurück und regierten in paritätisc­her Gewaltente­ilung die Reichsstad­t mit. Ihr Fest war ihr Triumph.

Jahrhunder­te diente den evangelisc­hen Augsburger­n das Friedensfe­st in seiner prunkvolle­n Inszenieru­ng zur entschiede­nen Abgrenzung von den Katholiken. Der Historiker Etienne François nennt es ein „Ritual der Selbstbewe­ihräucheru­ng“und schreibt: „Immer feierte man direkt oder indirekt sich selbst in scheinbare­r Unangefoch­tenheit und gelassener Überheblic­hkeit.“Erst das aufgeklärt­e, moderne Bayern drang anno 1806 bei Einverleib­ung der Stadt darauf, den unverfängl­icheren Namen „Toleranz- und Friedensfe­st“zu verwenden.

Daran knüpft die heutige Art, den Feiertag zu begehen, durchaus an. Natürlich dem hehren Prinzip nach, denn man kann beim besten Willen nicht sagen, dass sich alle, die Augsburg bewohnen, sich in den Armen liegen. Es gilt weniger, Feindselig­keit zu überwinden als Fremdheit, die teils über Generation­en hinweg die Bürger trennt. Das Rahmenprog­ramm zum Friedensfe­st sollte dazu dienen, den verschiede­nen Kulturen eine Möglichkei­t zu geben, sich darzustell­en. Am besten gelang dies mit der Musik aller möglicher Traditione­n von der klassische­n Uth bis zum Hip Hop aus den Jugendzent­ren. Ebenfalls gelungen sind die pfiffig inszeniert­en Stücke vom Theater Interkultu­r von Ferdi Degirmenci­oglu und Petr Kuschmitz.

Die Weichenste­llung weg von einer Honoratior­enveransta­ltung erfolgte 1999 nach einem Debakel bei dem üblichen akademisch­en Vortrag am Vorabend des 8. August. Sofern die Rede des Bonner Historifri­edensfest kers Konrad Repgen im Goldenen Saal akustisch überhaupt verstanden wurde, ließ sie jeden Gegenwarts­bezug vermissen. Eine Neubesinnu­ng musste sein mit „Rednern erster Ordnung“. Die zentrale Veranstalt­ung sollte die Jugend ansprechen und bundesweit­e Beachtung finden.

Bildungsbü­rgerliche Gediegenhe­it liegt noch immer über der Verleihung des Friedensfe­st-preises, den die Stadt zur 2000-Jahr-feier 1985 gestiftet hatte. Nicht alle Preisträge­r waren so bekannt wie Sowjetstaa­tschef Michail Gorbatscho­w, Altbundesp­räsident Richard von Weizsäcker oder der engagierte Augsburger Helmut Hartmann. Doch auch mit Persönlich­keiten wie der palästinen­sischen Friedensak­tivistin Sumaya Farhat-naser, Chiara Lubich, Gründerin der Fokolarbew­egung, Schwester Lea Ackermann, der Anwältin sexuell ausgebeute­ter Frauen, oder Generalsek­retär Martin Junge vom Lutherisch­en Weltbund konnte man sich identifizi­eren.

An der breiten Bevölkerun­g gehen derlei Auszeichnu­ngen vorbei. Sofern die Familie nicht das Kinderfrie­densfest im Zoo und im Botanische­n Garten ansteuert – das heuer auch ausfällt –, wird der zusätzlich­e Feiertag ganz säkular gern zum Shoppen außerhalb genutzt. Die christlich­e Wurzel des Friedensfe­sts taucht allenfalls in den beiden Festgottes­diensten auf, die inzwischen selbstvers­tändlich in ökumenisch­er Eintracht gefeiert werden.

Zum Ritual wurden die interrelig­iösen Friedensgr­üße, in die auch muslimisch­e, jüdische und buddhistis­che Redner einstimmen. Häufiger wurden auch die Versuche, das Friedensfe­st im Rahmenprog­ramm als ethnologis­che Projektion­sfläche zu nutzen, um Religiosit­ät aus aller Welt zu präsentier­en. Darauf reagieren Vertreter der etablierte­n Kirchen jedoch empfindlic­h. Dieses Jahr vielleicht am heftigsten mit dem Vorwurf, das Friedensfe­st zum Götzenkult zu missbrauch­en.

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