Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unverwechs­elbar am Piano

Das Joachim Kühn Trio im Botanische­n Garten

- VON REINHARD KÖCHL

Eigentlich passt er perfekt hierher. Ein Flügel, dazu noch ein Bass, ein Schlagzeug, 450 begeistert­e Zuhörer und ein Ambiente, das ihn an sein Refugium auf Ibiza erinnert. Auch Joachim Kühn hat, wie nahezu alle Kolleginne­n und Kollegen, Heißhunger auf Konzerte, nach fünfmonati­ger Nulldiät. Also abermals eine Win-win-situation – für diejenigen, die im Botanische­n Garten ein wahlweise stürmische­s, melancholi­sches, verspielte­s und am Schluss sogar euphorisch­es Konzerterl­ebnis zum Höhepunkt und gleichzeit­ig Ende dieses kurzen, intensiven und Piano-lastigen 28. Internatio­nalen Augsburger Jazzsommer­s geboten bekommen, wie auch für den Solitär des modernen deutschen Jazzklavie­rs samt seinen jungen Begleitern.

An Joachim, mit 76 immerhin der Jüngere der beiden erfolgreic­hen Kühn-brüder, scheint die Pandemie spurlos vorübergeg­angen zu sein. Was soll man von einem erwarten, der dem Leben seit Jahrzehnte­n seinen Stempel aufdrückt? Genauso, wie er es immer wieder schafft, den mechanisch­en Limitierun­gen seines Instrument­es zu entfliehen und einen abstrakten Ansatz für das Vexierspie­l mit den 88 Tasten zu finden. Der gebürtige Leipziger scheint stets eine Tür zu seinen Stücken zu suchen, er gräbt sich förmlich von unten in jedes Thema hinein, indem er über die pausenlose Kommunikat­ion mit dem Bassisten Chris Jennings und dem Schlagzeug­er Eric Schaefer zunächst ruhig, dann häufig repetitiv seine farbigen Ideencolla­gen in Töne transformi­ert. Die Läufe scheinen sich dabei zu überschlag­en, die Harmonik ist im allerbeste­n Wortsinn „kühn“. Die kühn’sche Wildheit muss zumindest am Anfang dem Wiederbegi­nn nach Corona Platz machen. Allmählich bricht sich aber doch sein unverwechs­elbarer Stil Bahn, der die Geschichte des Jazz vom Bebop über die Avantgarde bis hin zum Freejazz mit Sprengseln von Folklore, klassische­n Einflüssen und Rock in zehn Fingern vereint.

Das Einstiegsm­edley mit drei eigenen Titeln wirkt wie ein Auffrische­n des verschütte­ten Vokabulars. Eine neue Facette des Genies decken die beiden Doors-klassiker „The End“und „Crystal Ship“auf: Joachim Kühn, der einsame Wolf. Dank Jennings und Schaefer, die ihn vor einigen Jahren behutsam in dieses Territoriu­m schubsten, gibt es eine Reihe von verfrickel­ten Improritte­n. Die beiden Jungspunde erweisen sich dabei als absolute Meister ihres Metiers. Aber wer mit dieser sympathisc­h dahin nuschelnde­n Galionsfig­ur des europäisch­en Jazz mithalten will, der muss sowieso in den Fingern genauso flink sein wie im Kopf und auch etwas wirklich Eigenes beitragen können. Vor sieben Jahren war Joachim Kühn zuletzt beim Augsburger Jazzsommer zu Gast. In spätestens sieben Jahren würde er gerne wiederkomm­en, betont er verschwitz­t. Dann wäre er 83. Sein ebenfalls noch aktiver Bruder Rolf, der gleich mitkommen könnte, 97. Eine tolle Idee!

 ?? Foto: Herbert Heim ?? Joachim Kühn beim Jazzsommer im Botanische­n Garten.
Foto: Herbert Heim Joachim Kühn beim Jazzsommer im Botanische­n Garten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany