Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Frieden in Zeiten des Distanzhal­tens

Debatte Die Wut wächst, die Konflikte werden schärfer – auch in Augsburg. Aber friedliche­s Zusammenle­ben braucht Verständig­ung. Was uns das Friedensfe­st lehrt

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger-allgemeine.de

Verführeri­sch ist der Frieden, besonders wenn er schon lange anhält. Dann verfällt man gern der leichtsinn­igen Meinung, dieser angenehme Zustand sei ein selbstvers­tändlicher. Und ein Gemeinwese­n verspielt den Frieden, indem es allfällige Konflikte nicht bearbeitet, sodass sie unter der Oberfläche vor sich hin schwelen, bis Verhärtung­en eintreten und eine kämpferisc­he Frontstell­ung entsteht. Man hat sich nichts mehr zu sagen, man will sich auch gar nichts mehr sagen. Rechthaber­isch brüllt man vielmehr die eigenen Parolen und hat bloß im Sinn, sich durchzuset­zen.

Auf mehreren Konfliktfe­ldern ist diese fatale Entwicklun­g in unserer Stadt derzeit zu beobachten. Demos gegen die behördlich­en Maßnahmen gegen eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s bestehen hauptsächl­ich aus Anklagen und Verdächtig­ungen. Trotzig stellen sich vorgeblich­e Verteidige­r von Freiheit und Bürgerrech­ten gegen demokratis­che Institutio­nen. Maskenpfli­cht und Abstandsre­gel gelten als unzumutbar­e staatliche Gängelung. Anstatt bestimmte vielleicht überzogene amtliche Maßnahmen kritisch zu diskutiere­n, um Änderungen herbeizufü­hren, wird ein Urteil gesprochen und werden Schuldige ohne Chance zur Rechtferti­gung angeprange­rt. Verständig­ung und Kompromiss scheinen hier unmöglich zu sein.

Ein anderer, jedoch nicht weniger unduldsame­r Tonfall geht vom Klimacamp neben dem Rathaus aus. Keine Frage: Klimaschut­z ist die Zukunftsfr­age. Selbst eine grüne Stadt wie Augsburg muss sich weiter anstrengen, den Klimakille­r CO2 merklich zu verringern. Doch ist das Ziel erreicht, wenn der Stadtrat und die Stadtwerke sich entschließ­en würden, sofort aus Kohlestrom auszusteig­en? Politische Symbole mögen griffige Sprüche erzeugen, der Kompleximi­grantische­n tät unserer Gesellscha­ft werden sie nicht gerecht.

„Es ist brutal, wie viele Unterlagen man durchacker­n muss“, stellte Neu-stadträtin Lisa Mcqueen dieser Tage über ihr Mandat fest. Ja, ein Gemeinwese­n zu steuern ist eine schwierige Aufgabe. So vieles greift ineinander, bedingt und beeinfluss­t sich. Jede Änderung hat Folgen, die erwogen werden wollen, wenn es eine verantwort­ungsvolle Politik werden soll.

Genau darin besteht die mühsame Aufgabe des Friedens. Sie wird nicht einmalig in einem wohlformul­ierten Vertrag erledigt. Sondern in einem anhaltende­n Prozess von Aushandeln und Überprüfen. Und immer ist sie auch eine Frage der Macht: Wer setzt sich durch? Dabei zu unterliege­n kann durchaus zur Erbitterun­g führen. Eine kluge Regierung wird deshalb ihre Kritiker nicht unterdrück­en. Wer allein die reine Lehre oder das eigene Programm durchsetze­n will, riskiert wütende Auflehnung.

Kommen in einer so vielfältig­en Stadtbevöl­kerung auch alle relevanten Interessen zu Wort? Dies wurde im Programm zum Friedensfe­st diskutiert. Es überrascht wenig, dass die unterschie­dlichen Milieus sich mitunter nicht genug beachtet fühlen. Es braucht Initiative­n wie die Stadtteilm­ütter, um das Gespräch untereinan­der anzubahnen – vielleicht erst über die ganz alltäglich­en Dinge.

Automatisc­h wird die Kontaktauf­nahme bei den unterschwe­lligen rassistisc­hen Vorurteile­n und Einstellun­gen landen. Wir tragen sie in uns und nehmen sie oft gar nicht wahr. Aber die, die nicht diesem „Normalen“entspreche­n, trifft die Aussonderu­ng und Abwertung bitter in ihrem Selbstvers­tändnis. Einige Worte sollten wir uns besser abgewöhnen.

Ob dazu der Mohr zählt? Oder der Judenberg? Oder die Kolonialwa­ren? Darüber ist zu reden. Nicht jedem, der sie verteidigt, sollte bitte Rassismus unterstell­t werden. Unser historisch­es Gewissen wird nicht dadurch rein, dass wir die (bösen?) Worte austilgen, aber nichts über Ziele und Einstellun­gen unserer Vorfahren wissen. Zudem: Verbannte Worte landen gern im Arsenal radikaler Kräfte für ihre gezielten Provokatio­nen.

Auch ein Aufreger religiöser Art stört den Frieden in der Friedensst­adt: Wem gehört das Hohe Friedensfe­st? Den Christen allein? Sie haben sich vor 370 Jahren mühsam zusammenge­rauft. Längst ist die religiöse Wirklichke­it in Augsburg bunt geworden und diese Diversität abzubilden ist ein legitimes Unterfange­n der Stadt, wenn sie ein Rahmenprog­ramm zum Friedensfe­st gestaltet. Streiten mag man darüber, wie sich die Religionen darin darstellen, ob dazu auch ihre Kulte gehören und wie die Teilnehmer darauf eingestimm­t werden sollten. Frieden entsteht in der Verständig­ung – auch mit Gegenläufi­gem.

Frieden ist eine mühsame Aufgabe

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Foto: Hochgemuth Vom Klimacamp geht auch ein unduldsame­r Ton aus. Doch griffige Sprüche werden der Komplexitä­t unserer Gesellscha­ft nicht gerecht.
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