Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Frage der Woche Wählen schon mit 16 Jahren?
Von zwei Zielen einer zukunftsfähigen Politik in einer alternden Gesellschaft wird ja immer gerne geredet: 1. Sie solle auch die Interessen nachfolgender Generationen berücksichtigen, denn die müssten ja gleichwertig Maßstab für ein tatsächlich nachhaltiges und gerechtes Handeln sein. 2. Sie müsse sich an junge Menschen wenden – denn die derzeit nicht eben stabiler werdenden Fundamente der Demokratie bauen essenziell auf die Sensibilisierung ihrer Bürger für die Bedeutung von gesellschaftlicher Verantwortung und für die Prinzipien der kollektiven Entscheidungsfindung jenseits von den individuellen Bedürfnissen und auch jenseits von, sagen wir mal, Rezo-defätismus und schnell abgehakten Online-petitionen.
Und was könnte wertvoller sein für beides als das Herabsetzen des Wahlalters, das bestmögliche Zeichen dafür, dass die Jugend mit ihrer Stimme ernst genommen wird, schlicht, weil sie zählt? Wer da nun mit Reife- und Mündigkeitsargumenten kommt, der soll sich doch auch zweierlei fragen: 1. Sollten wir dann, bitte schön, nicht gleich zu einer Art Ständewahlrecht zurück, in dem die Stimmen von Menschen nach ihrer (eben oft so gar nicht altersgemäßen) Vernunft gewichtet werden, Einordnung per Gutebürger*innen-test?
2. Aus welchem Jahrhundert stammt die Pädagogik, die Heranwachsende als unfertige Menschen kleinhält und aus Wesentlichem ausschließt, weil sie so in Abstand auf Demut getrimmt werden? Und in welchem Jahrhundert nun nehmen Jugendliche an gesellschaftlichen Entwicklungen als Konsumenten und in den Diskursen im Netz und auf Demonstrationen mit der größten Selbstverständlichkeit teil? Darum 3.: Teilhabe erweckt Teilnahme. Und 4.: Ja zur Herabsetzung des Wahlalters, endlich!
Ein Teil der Jugend interessiert sich durchaus für Politik – etwas anderes kann seit Fridays for Future niemand mehr behaupten. Aber allein deswegen haben 16-Jährige an der Urne noch lange nichts zu suchen. Eine Meinung zu einem einzigen politischen Thema zu haben reicht nicht. Ich erinnere mich noch gut an meine erste Wahl, 2009, Bundestag:
Mit 18 Jahren und stolz geschwellter Brust warf ich den Zettel ein, auf dem ich genau das angekreuzt hatte, was meine Eltern wählten. Ich hatte mich im Vorfeld zwar informiert, welche Partei was macht, und einige wichtige Gesichter kannte ich auch. Aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich doch ziemlich ahnungslos und verließ mich lieber auf die Expertise anderer. Kein Wunder, denn politisches Verständnis braucht Zeit. Nur wer eine Zeit lang beobachtet, wie ein Politiker sich für etwas einsetzt, kann wissen, ob er tatsächlich zu dem steht, was er kurz vor der Wahl hoch und heilig verspricht. Wer nur einen oder zwei prominente Politiker einer Partei kennt, sollte davon nicht voreilig auf die Orientierung oder Zuverlässigkeit der gesamten Partei schließen. Eine fundierte Wahlentscheidung braucht viel Vorwissen, Politik ist ein langfristiges Geschäft. Und das Verständnis von politischen Themen wie Steuern, Lebenshaltungskosten und Arbeitsplätzen kommt in der Regel erst, wenn man ins Berufsleben einsteigt und selbst Geld verdient. Viele 16-Jährige drücken aber noch die Schulbank. Sollten sie in Bayern wenigstens bei den Kommunalwahlen ihre Kreuzchen setzen dürfen, wie es in einigen anderen Bundesländern bereits erlaubt ist? Bei einer Wahl, bei der es um die neue Umgehungsstraße, den Ausbau der Kinderbetreuung und um die umstrittene Gewerbesteuersenkung geht? Ich habe meine Zweifel.