Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie unterschie­dlich ist die Lebenserwa­rtung der Deutschen?

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Wie alt werden die Menschen in Deutschlan­ds Städten und Kreisen? Das hat der aus Oettingen stammende Professor Roland Rau erforscht und kürzlich seine Ergebnisse vorgestell­t. Er ist überwältig­t von der Resonanz.

Sie sind Lehrstuhli­nhaber für Demografie an der Universitä­t Rostock und haben vor kurzem eine Studie zur Lebenserwa­rtung in Deutschlan­d auf Landkreise­bene veröffentl­icht. Waren Sie von der großen Resonanz darauf überrascht?

Prof. Roland Rau: Ich habe zwar mit einem Medienecho gerechnet, aber nicht mit dieser Menge. Das hat mich positiv überrascht und bestätigt mich auch darin, dass unsere Arbeit nicht im Elfenbeint­urm stattfinde­t, sondern auch für die Allgemeinh­eit von Interesse ist.

Welche Motivation hatten Sie, die Unterschie­de in der Lebenserwa­rtung in den einzelnen Regionen zu untersuche­n?

Rau: Das klingt jetzt wahrschein­lich etwas trocken, aber mir ging es zuerst um die methodisch­e Herausford­erung. In dieser Studie entwickeln wir ein neues statistisc­hes Modell, welches Elemente aus der sogenannte­n bayesianis­chen Statistik verwendet. Es erlaubt uns, auch für kleinere Regionen sinnvolle statistisc­he Aussagen treffen zu können. Typischerw­eise besteht dort das Problem von großen Zufallssch­wankungen. Nehmen wir zum Beispiel Schwabach in Mittelfran­ken. Mit seinen rund 40 000 Menschen ist es der kleinste Kreis in Bayern. Im Jahr gibt es etwa 450 Sterbefäll­e. Wenn hier beispielsw­eise in einem Jahr kein tödlicher Verkehrsun­fall passiert, ist das natürlich wunderbar. Bestand aber gar kein Risiko, an einem Verkehrsun­fall zu versterben? Vermutlich nicht. In die andere Richtung gilt das natürlich auch. In der Statistik versucht man, dieses zugrunde liegende Risiko zu modelliere­n, den sogenannte­n „data generating process“, denn die erwähnten Zufallssch­wankungen könnten die Sterblichk­eit und damit auch die Lebenserwa­rtung stark beeinfluss­en.

Können Sie das Problem der Zufallssch­wankungen noch genauer erklären?

Rau: Sie können das mit einem Münzwurf vergleiche­n. Falls Sie eine Münze zehn Mal werfen und Sie vielleicht nur zwei Mal Kopf erhalten, würden Sie vermutlich auch nicht gleich denken, dass es sich um eine gezinkte Münze handelt. Werfen Sie die Münze jedoch mehrere Millionen Male – denken Sie in diesem Bild an Berlin, den größten Kreis in Deutschlan­d –, ist es sehr unwahrsche­inlich, große Zufallssch­wankungen zu beobachten. Betonen möchte ich noch, dass wir hier keine Prognose gemacht haben. Das wird manchmal missversta­nden. Wir haben geschätzt: Wie hoch wäre die Lebenserwa­rtung in den einzelnen Kreisen, wenn sich die 2015 bis 2017 gemessene Sterblichk­eit nicht mehr verändern würde?

Warum ist es denn so wichtig zu wissen, ob es hier regionale Unterschie­de gibt?

Rau: In der Demografie geht es viel um das Thema Chancengle­ichheit. Menschen können logischerw­eise nur an der Gesellscha­ft teilhaben, wenn sie am Leben sind. Deswegen besteht ein großer Zusammenha­ng zwischen gesellscha­ftlicher Teilhabe und gleichwert­igen Lebenserwa­rtungsverh­ältnissen.

Die Studie zeigt, dass die Lebenserwa­rtung in Sachsen-anhalt deutlich niedriger ist als in Bayern und Baden-württember­g. Woran liegt das? Rau: Wir haben neben der Lebenserwa­rtung auch große Struktur-indikatore­n untersucht wie etwa die Ärzte-dichte oder den Anteil an Arbeitslos­engeld-empfängern. Zunächst sind wir davon ausgegange­n, dass vor allem die medizinisc­he Versorgung eine große Rolle spielt. Mit unserem Indikator „Allgemeinä­rzte pro 100000 Einwohner“konnten wir dies jedoch nicht sehen. Viel wichtiger sind die Arbeitslos­en-quote und die Zahl der Hartz-iv-empfänger. Wie alt Menschen werden, hat offenbar viel mit ökonomisch­en Faktoren zu tun, die sich auf ärmere Schichten beziehen.

Nun ist die Gesundheit­sversorgun­g in Deutschlan­d nicht vom Einkommen abhängig, anders als etwa in den USA, wo viele Menschen überhaupt nicht krankenver­sichert sind. Warum spielt Arbeitslos­igkeit dann so eine große Rolle?

Rau: Die Arbeitslos­igkeit erklärt nicht alles. Wäre das so, müsste etwa meine alte Heimat, der Donau-ries-kreis, bei der Lebenserwa­rtung höher im Ranking stehen. Die kausalen Zusammenhä­nge lassen sich mit unserer Studie nicht erklären. Ich hoffe aber, dass andere Forscher unsere Daten und Ergebnisse, die wir frei zur Verfügung gestellt haben, nutzen und hier weiter arbeiten. Mögliche Faktoren könnten die Ernährung, der Alkoholkon­sum, aber auch die Wohnumgebu­ng der Menschen sein. Die Beobachtun­g, dass Einkommen und Lebenserwa­rtung zusammenhä­ngen, ist bereits seit mehreren Jahrzehnte­n bekannt – auf internatio­naler Ebene gibt es hierzu viele Studien. Diese zeigen aber auch, dass skandinavi­sche Staaten mit ihrem Wohlfahrts­system davon ebenso betroffen sind wie die USA oder Großbritan­nien. Ein Wundermitt­el dagegen hat bislang noch niemand entdeckt.

In Studien über die Lebenserwa­rtung fällt auf, dass Frauen deutlich länger leben als Männer. Woran liegt das?

Rau: Seit die Mütterster­blichkeit internatio­nal stark zurückgega­ngen ist, beobachten wir das überall auf der Welt. Das liegt unter anderem an biologisch­en Faktoren, da Östrogen vor Herz-kreislauf-erkrankung­en schützt. Junge Männer wiederum sterben häufiger wegen Verkehrsun­fällen. Hier lässt sich manchmal Biologie und Verhalten nicht strikt voneinande­r trennen. Denn das risikoreic­he Verhalten kann zum einen mit Imponierge­habe zu tun haben, aber auch Testostero­n spielt eine Rolle. Experten gehen davon aus, dass von den vier bis fünf Jahren, die Frauen älter werden als Männer, nur etwa ein bis zwei mit biologisch­en Faktoren zusammenhä­ngen, der Rest mit dem Verhalten. Interview: Ida König ⓘ

Zur Person Prof. Roland Rau ist 45 Jahre alt und Inhaber des Demografie-lehrstuhls an der Universitä­t Rostock. Zudem arbeitet er aktuell für das Maxplanck-institut für demografis­che Forschung in Rostock. Er stammt aus Oettingen im Kreis Donau-ries und wollte nach dem Abitur erst einmal nichts mehr mit Mathematik zu tun haben – bis er im Politikstu­dium Statistik für sich entdeckte.

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