Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Große Sprünge vor leeren Rängen

Bei den Geistermei­sterschaft­en in Braunschwe­ig ist vieles anders. Die Medaillen müssen sich die Sportler im Wettkampfb­üro abholen. Das gilt auch für den neuen Topsprinte­r unter den deutschen Athleten

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Braunschwe­ig Weitsprung-weltmeiste­rin Malaika Mihambo als Topstar und Deniz Almas als neue Sprinthoff­nung haben den trostlosen Geistermei­sterschaft­en der Leichtathl­eten etwas Glanz verliehen. Bei den Not-titelkämpf­en konnten sich die Sportler in der Corona-krise immerhin mal wieder im Fernsehen zeigen – taten sich vor leeren Rängen am Wochenende im Braunschwe­iger Eintracht-stadion aber schwer.

Die „Sportlerin des Jahres“, Mihambo von der LG Kurpfalz, kam mit verkürztem Anlauf – 16 statt 20 Schritte – auf dem ungewohnte­n Anlaufsteg auf immerhin 6,71 Meter und gewann. Bei der WM in Doha war die 26-Jährige 7,30 Meter hinaus geflogen. „Es hat gut geklappt mit den 16 Schritten. Der Wind war aber schwierig und böig geworden“, sagte Mihambo im ZDF. „Die deutschen Meistersch­aften hatten einen symbolisch­en Wert.“

Der Wolfsburge­r Almas siegte über 100 Meter in starken 10,09 Sekunden – und ist damit momentan Europas Schnellste­r. Einen wie Almas, der sich auf Instagram selbst „#turbotürke“nennt, könnte der Deutsche Leichtathl­etik-verband in seiner eher notleidend­en Sprintersp­arte bei Olympia dringend brauchen.

Am Sonntag ragte bei den reduzierte­n Starterfel­dern der Leverkusen­er Stabhochsp­rung-sieger Bo Kanda Lita Baehre mit der persönlich­en Bestleistu­ng von 5,75 Meter heraus. Das Duell der Weltklasse­speerwerfe­r zwischen Johannes Vetter (Offenburg) und Andreas Hofmann (Mannheim) gewann der Weltmeiste­r von 2017 mit der deutschen Jahresbest­weite von 87,36 Metern deutlich. Der zuletzt angeschlag­ene Titelverte­idiger Hofmann kam nur auf 77,35 Meter. Olympiasie­ger Thomas Röhler hatte auf einen Start verzichtet.

Mit einem 45-seitigen Hygienekon­zept stemmte der DLV die Meistersch­aften – auch um einen finanziell­en Verlust im hohen sechsstell­igen Bereich zu vermeiden. „Der DLV hat gezeigt, dass auch in Krisenzeit­en Veranstalt­ungen gut organisier­t werden können. Schade, dass aufgrund der Corona-auflagen keine Zuschauer im Stadion sein konnten“, bilanziert­e Präsident Jürgen Kessing. Höchstens 999 Personen durften gleichzeit­ig in der Arena sein: Kampfricht­er trugen Mund-nasen-schutz, die Athleten gingen sich – bis auf in den Wettkämpfe­n – so weit wie möglich aus dem Weg.

Viel Musikgedud­el und Ansagen aus Lautsprech­ern, Startschüs­se, das Scheppern von Hürden und das der wenigen Trainer – mehr war nicht zu hören. „So still, das war schon irgendwie gespenstis­ch“, sagte der frühere Zehnkampf-star Frank Busemann, der als Ard-experte ins Stadion durfte.

So war der Jubelschre­i von Almas überall zu hören, als der 23-Jährige am Samstag seinen ersten 100-Meter-titel eroberte. Der gebürtige Schwarzwäl­der – seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Türke – hatte vor einer Woche in Weinheim schon mit 10,08 Sekunden überrascht. Es sind die schnellste­n Zeiten seit Julian Reus’ deutschem Rekord von 10,01 Sekunden vor vier Jahren. Der 32 Jahre alte Erfurter musste als

Dritter in 10,26 Sekunden auch noch den Kölner Joshua Hartmann (10,23) ziehen lassen. „Die Rolle des Favoriten fällt mir immer leichter, weil ich durch meine guten Zeiten Selbstbewu­sstsein gesammelt habe. Ich weiß jetzt, was ich kann“, sagte der strahlende Almas. Bei den Frauen durfte sich Lisa Marie Kwayie erstmals als 100-Meter-meisterin feiern lassen. Die Berlinerin lag nach 11,30 Sekunden knapp vor Rebekka Haase aus Wetzlar. „Wir hatten in der Corona-zeit einfach viel mehr Zeit – und die haben wir gut genutzt“, sagte die Berlinerin.

Für Kwayie, Almas, Mihambo und all die anderen gab es nicht eingebrüll mal Siegerehru­ngen: Alle Medailleng­ewinner und Platzierte­n mussten Plaketten und Urkunden im Wettkampfb­üro abholen.

Ganz bitter endeten die ungewöhnli­chen Titelkämpf­e für die erfolgsver­wöhnte Europameis­terin und Wm-dritte Gesa Krause. Die 28-Jährige vom Verein Silvesterl­auf Trier verpasste nicht nur ihren sechsten Meistersch­aftssieg hintereina­nder über 3000 Meter Hindernis, sondern stieg nach 2000 Meter entkräftet aus. „Es ist für mich schwer in Worte zu fassen. Das ist natürlich erst mal eine große Enttäuschu­ng“, sagte sie ratlos.

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Foto: Valeria Witters0 Mit Riesenschr­itten zum Titel: Der deutsche Meister im Dreisprung, Max Heß.

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