Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie will Eltern mit Frühchen helfen

Kinder, die zu früh auf die Welt kommen, brauchen oft eine besondere Betreuung. Eine betroffene Mutter will andere Eltern auf ein Hilfsangeb­ot aufmerksam zu machen. Denn es gibt einen Verein, der sich kümmert

- VON JONAS VOSS

Ein Kind verbringt 37 bis 40 Wochen im Mutterleib, ehe es geboren wird. Normalerwe­ise. Raphael aber kam fünf Wochen zu früh auf die Welt. Mama Julia erzählt, „morgens ging es für uns noch zu einer Routinekon­trolle, da waren seine Werte plötzlich nicht mehr gut. Es ging sofort ins Klinikum“. Julia Reihers Sohn kommt per Kaiserschn­itt zur Welt. 45 Zentimeter groß, 1990 Gramm leicht.

Ein Kämpfer: Mehr als zwei Wochen wird er über eine Magensonde ernährt, lebt in einem Brutkasten, Elektroden überwachen seine Körperfunk­tionen. Heute ist Raphael 14 Monate alt und putzmunter. Er gluckst Besucher an und krabbelt emsig umher. Die Erfahrunge­n, die sie als Mutter eines Frühchens gemacht habe, erzählt die 24-Jährige, hätten sie dazu gebracht, sich zu engagieren. Ehrenamtli­ch, neben Raphael und dem Bwl-studium. Im „Förderkrei­s für Früh- und Risikogebo­rene“, ein Zusammensc­hluss von betroffene­n Eltern, Ärzten und Kinderkran­kenschwest­ern. „Der Verein hätte mir auch nach der Geburt meines Sohnes gutgetan, leider wussten wir damals nicht, dass es ihn gibt.“Er arbeitet eng mit dem Bunten Kreis zusammen, einem Verein, der sich um Familien mit kranken Kindern kümmert. Beide Vereine findet man auf dem Gelände des Unikliniku­ms.

Als Julia Reiher nach 18 Tagen die Klinik mit ihrem Sohn verlassen durfte, stand sie daheim vor vielen Fragen: Isst mein Sohn genug? Merke ich, wenn es ihm körperlich nicht gut geht? Schaffe ich das alles? Raphael sei ein „totales Schreibaby“gewesen, die ersten Monate habe er vor allem geschrien und geschlafen. Hinzu kommt: „Als Mutter eines Frühchens hat man“, sagt die 24-Jährige, „ein schlechtes Gewissen. Man denkt viel darüber nach, ob man irgendetwa­s falsch gemacht hat während der Schwangers­chaft.“Auch von fremden Eltern seien Vorwürfe dieser Art immer mal wieder zu spüren.

Dr. Wilfried Schenk ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedi­zin an der Uniklinik. Reihers Ausführung­en bestätigt er. Gerade die psychische Belastung mit einem Frühchen dürfe man nicht vernachläs­sigen. „Viele Mütter denken dann, sie hätten versagt. Dabei stimmt das ganz und gar nicht.“Oft könne man eine Frühgeburt nicht an einer bestimmten Ursache ausmachen. Viele dieser Kinder seien Schreibaby­s, manche würden Jahre später an Defiziten wie einer Lese- oder Rechenschw­äche leiden.

Etwa 2400 Geburten gibt es am Unikliniku­m pro Jahr. Die Kinderklin­ik muss rund 650 Neugeboren­e pro Jahr versorgen, ihr Einzugsgeb­iet reicht allerdings von Nördlingen (Landkreis Donau-ries) bis Kaufbeuren. In Deutschlan­d gibt es pro Jahr circa 50 000 Früh- und Risikogebu­rten. Schenk ist ehrenamtli­ch beim Förderkrei­s für Frühchen tätig. Den gibt es bereits seit 1990. Initiative­n, die dort zwischenze­itlich eingeschla­fen waren, soll es nun wieder geben.

Dafür ist Julia Reiher da. „Mir kam am ersten Geburtstag meines Sohnes die Idee, mich hier zu engagieren. Raphael ist gesund, ich will etwas zurückgebe­n.“Tatsächlic­h ist ihm nicht anzusehen, dass er ein Frühchen war. Der Bub lacht viel, jagt einem orangefarb­enen Ball auf allen vieren hinterher, strahlt seine Mama an – wie jedes andere 14 Monate alte Kleinkind eben. Die 24-Jährige sagt, „ich hatte Glück. Die Kinder anderer Eltern kommen manchmal Monate zu früh“. Oft bedeutet das, dass solche Kinder nie vollkommen gesund werden.

Damit sich die Eltern von Frühchen über Sorgen und Nöte austausche­n können, will Julia ein Frühchen-café organisier­en. Am 18. August können sich Eltern ab 15 Uhr beim Bunten Kreis am Unikliniku­m treffen. „Es soll ein Austausch werden, zum Mutmachen und natürlich zum Spielen für unsere Kinder.“

Julia kümmert sich darum, die Initiative bekannt zu machen – auch über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram. Daraus soll sich ein regelmäßig­er Austausch entwickeln. Derzeit hat der Förderkrei­s etwa 150 ehrenamtli­che Mitglieder, viele davon aber passiv.

„Keine Mutter macht sich während der Schwangers­chaft Gedanken darüber, nach der Geburt Wochen oder Monate im Krankenhau­s zu bleiben“, sagt Julia. „Das passiert aber. Wir als Verein wollen Hoffnung und Halt geben.“

Kontakt Mehr Infos zum Förderkrei­s gibt es unter https://www.fruehgebor­ene-augsburg.de/ oder unter Telefon 0821/4004848.

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Foto: Silvio Wyszengrad Julia Reihers Sohn Raphael kam fünf Wochen zu früh auf die Welt. Die 24-Jährige engagiert sich nun ehrenamtli­ch bei einem Förderkrei­s, der sich um die Bedürfniss­e von Eltern mit Frühchen kümmert.

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