Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Versöhnung braucht ihre Zeichen

In der Ulrichsbas­ilika ist man einander gut

- VON ALOIS KNOLLER

Ein Friedensgr­uß in Zeiten des Abstandhal­tens – das ist ein stummes Kreuzzeich­en für den Nachbarn oder eine Verbeugung mit gefalteten Händen. Im Festgottes­dienst zum Hohen Friedensfe­st in der Basilika St. Ulrich und Afra findet jeder seine eigene Form. Und es verbreitet sich in der bunten Gemeinde, wo der Bischof dem Buddhisten gegenübers­teht, die Gewissheit: Wir sind einander gut. Geheilt sind auch die Erinnerung­en an Gräuel, die sich Menschen verschiede­ner Glaubensri­chtungen in der Reformatio­nszeit und im Dreißigjäh­rigen Krieg hier in Augsburg angetan haben. Wenn Wolfgang Krauß von der Mennoniten­gemeinde erzählt, wie 1528 seine Täufer-vorfahren unter dem Vorwurf der Gottesläst­erung gefoltert, verurteilt, verbannt, verstümmel­t und hingericht­et worden sind, dann im Bewusstsei­n, dass Lutheraner und Mennoniten vor zehn Jahren in Stuttgart einen offizielle­n Versöhnung­sakt vollzogen haben.

Oberkirche­nrat Michael Martin, der Ökumeneref­erent der evangelisc­hen Landeskirc­he, nimmt darauf Bezug in seiner Festpredig­t. „Heute stehen noch ganz andere Versöhnung­sprozesse auch hier in Augsburg, in Deutschlan­d und Europa an“, sagt er. Werde es der Friedensst­adt gelingen, dass all die vielen Menschen mit ganz unterschie­dlichen Kulturen, Sprachen und Religionen friedlich zusammenle­ben? „Wird es zu einem echten Miteinande­r kommen?“Seine Besorgnis liegt darin, dass Zeichen der Versöhnung wie Umarmung und Kuss auch in ihr Gegenteil verkehrt werden können zu Zeichen der Auslieferu­ng und Entfremdun­g – wie damals am Ölberg zwischen Jesus und Judas. Martins Folgerung lautet: „Rituale brauchen immer eine Deutung, eine Einordnung in den Kontext und vor allem einen Blick auf die Folgen.“

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