Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kann Konsum aus der Krise helfen?
Unsere heutige Wirtschaft ist viel stärker vom Konsum abhängig als in der Vergangenheit. Konsumforscher Frank Trentmann erklärt, wie sich die Corona-krise darauf auswirkt – und was wir aus vorherigen Rezessionen lernen können
In der Klimadiskussion war zu hören: „Ihr müsst euren Konsum überdenken!“. Nun will die Politik mit der Mehrwertsteuersenkung und einem Kinderbonus den Konsum wieder ankurbeln. Was ist denn nun das Richtige? Frank Trentmann: Dieser Zielkonflikt ist für viele Verbraucher gerade deshalb verwirrend, weil in Deutschland das Nachfrageproblem kein Problem der stark gesunkenen Einkommen oder hoher Arbeitslosigkeit ist, sondern mit einem Umschwung im Alltagsleben aufgrund der Coronakrise zusammenhängt. Wir gehen weniger häufig aus, vermeiden bestimmte Vergnügen ganz. Stattdessen ist die Sparquote extrem schnell gestiegen. Um das zu lockern, versuchen Regierungen jetzt, die Leute zu ermuntern, zu kaufen. Ebenso wichtig sollte sein, über Alternativvisionen des zukünftigen Konsums nachzudenken, die nicht nur nachhaltig sind, sondern anderes Verhalten fördern. Da geht es nicht nur darum, wie viel, sondern wie wir konsumieren.
Wie können aussehen?
Trentmann: Zukünftige Städteplanung, andere Formen von Mobilität, neue Raumordnungen sind dabei extrem wichtig. Die italienische Metropole Mailand hat während des Lockdowns eine Strategie für die Zukunft der Stadt entwickelt. Diese umfasst einen starken Rückgang von öffentlichen Verkehrsmitteln, die Ausweitung von Fahrradwegen, ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern innerhalb der Stadt. Das ist ein Versuch, durch Verkehrsströme den alltäglichen Konsum der Mailänder neu zu steuern, zu lokalisieren. Die Menschen sollen ermutigt werden, in ihrer Nachbarschaft zu bleiben. Lokale Veranstaltungen besuchen statt Großevents im Zentrum. Vor Ort konsumieren. Aber es gibt aktuell nicht nur einen Konflikt zwischen nachhaltig zu konsumieren und die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch innerhalb des Ankurbelns eine Spannung zwischen nationalen Initiativen und dem, was auf Ebene der Städte und Gemeinden passiert.
solche
Alternativvisionen
Inwiefern?
Trentmann: Nehmen wir das Beispiel Tourismus: Das sieht aus nationaler Perspektive ganz anders aus, als wenn Sie in einer Gemeinde wohnen und vor der Frage stehen, ob Leute aus einem Teil des Landes, in dem die Infektionszahlen hoch sind, in ihre Ferienhäuser kommen dürfen. Dinge wie die Mehrwertsteuersenkung oder der Kinderbonus haben eine europäische Dimension, während auf lokaler Ebene zusätzlich andere Fragen und Probleme auftauchen.
Welche Unterschiede sehen Sie aktuell im Vergleich zu früheren Wirtschaftskrisen – und welche Gemeinsamkeiten? Trentmann: Der Unterschied ist der, dass es damals keine großen Infektionsherde waren, die beeinflusst haben, wie viel Geld zirkuliert, sondern Arbeitslosigkeit und ein radikaler Rückgang der Einnahmen.
Und das verändert das Konsumverhalten auf eine andere Weise? Trentmann: Ein Beispiel aus den USA: In den frühen 1930er Jahren, also während einer sehr tiefen Rezession, konnte man eindeutig sehen, dass sich nicht so sehr ändert, was die Leute konsumieren, sondern wie häufig und wie teuer. Man könnte annehmen, dass die Leute in einer Rezession aufhören, ständig nach neuer Mode zu verlangen. Dem war aber nicht so. Was sich veränderte, war, dass sie billiger einkauften. Ebenso bei Autos: Sie hörten nicht auf, Autos zu kaufen, sondern nahmen ein billigeres Modell oder fuhren ihren Wagen ein Jahr länger.
Gab es denn auch Veränderungen? Trentmann: In der Pandemie versuchen alle, Distanz zu halten. Die meisten meiden Flugzeuge und öffentliche Verkehrsmittel wie die Pest. Es gibt aber den sicheren Ort des eigenen Autos. Krise heißt nicht automatisch, dass der Konsum runtergeht. Er verlagert sich. Wenn Sie sich jetzt die Zahlen anschauen, sehen Sie, dass es Konsumartikel und Maschinen gibt, deren Nachfrage nicht eingebrochen ist, sondern Zuwächse verzeichnet. Wohnmobile zum Beispiel oder große Autos, mit denen Sie in Urlaub fahren können.
Um noch einmal zur Eingangsfrage zurückzukommen: Ist gesteigerter Konsum die einzige Möglichkeit, eine finanzielle Krise zu überwinden? Trentmann: Unsere Wirtschaft heute ist viel stärker vom Konsum abhängig als früher. Wir haben es mit Massenkonsumgesellschaften zu tun. Das ist der Unterschied zu den Krisen des 20. Jahrhunderts. Wir sprechen heute von reichen Gesellschaften, in denen fast alle Teile auf die Bühne des Massenkonsums hochgehoben werden. Das ist nur möglich durch eine viel größere Rolle des Staats. Der Staat ist seit den 1950er Jahren permanenter Unterstützer der Konsumgesellschaft. Im Durchschnitt sind 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts letzten Endes öffentliche Zuschüsse zum Konsum. Denken Sie an Sozialwohnungen, Kinder- und Arbeitslosengeld, staatliche Pensionen, Subventionen für Schulkinder, Preisnachlässe für Rentner. Das war schon vor der Krise so. In der Pandemie werden letztendlich nur zusätzliche Maßnahmen obendrauf gesetzt.
War das in vorherigen Krisen genauso? Trentmann: In der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 ist die Betonung des Verbrauchers zum ersten Mal in der Geschichte wirklich durchgeschlagen, seine Stimme als wichtiger Teil der Gesellschaft war lauter als je zuvor. Der große Unterschied zur jetzigen Situation: Heute ist der zentrale Spieler der Staat, die Regierung. Die reden über den Konsum. Von Verbraucherseite gibt es nur fragmentierte Stimmen. Es wird sehr schnell angenommen, dass der Staat bestimmte Maßnahmen treffen muss, weil sonst alles zusammenbricht. In den 1930er Jahren haben sich zum Beispiel in den USA die Konsumenten mit staatlicher Unterstützung mobilisiert und als große Macht entschieden, welche Art von Konsum sie haben wollen. Heute laufen die Konsumenten im Hintergrund mit.
Meinen Sie denn, dass uns Debatten in dieser Richtung noch bevorstehen? Trentmann: Das wird bestimmt noch kommen. Die fiskalen großen Krisenzuschüsse gibt es in vielen Ländern, aber Deutschland ist da ein extremer Fall. Die deutschen Krisenpakete eröffnen eine neue Debatte über das Grundeinkommen. Die Menschen bekommen 90 Prozent ihres Gehalts, obwohl sie – übertrieben gesagt – nur eine Stunde im Monat arbeiten. Das sieht in Großbritannien und den USA nicht so großzügig aus. Die Krisenpakete führen jetzt dazu, dass sich einige Menschen zum ersten Mal Gedanken machen ob sie wirklich 35-40 Stunden pro Woche arbeiten müssen und was ihnen ihre Lebensqualität wert ist.
Vor der Coronakrise erlebte die Sharing Economy einen Aufschwung, mittlerweile haben es diese Unternehmen deutlich schwerer. Ist das nur ein phasenweiser Einbruch?
Trentmann: Ganz verschwinden wird die Sharing Economy nicht. Aber sie hat aktuell ein riesiges Problem, weil Distanz und die Sorge vor Infektionen da sind. Schauen Sie sich an, wie die Nachfrage nach Carsharingdiensten abgesackt ist oder in was für einer Krise Airbnb steckt – die Zahlen sind erschreckend. Es ist aber nicht so, dass Sharing Economy etwas Neues ist. Es wird häufig angenommen, dieses Konzept sei erst in den vergangen Jahren entstanden. Früher gehörten aber viel größere Teile des Konsums zur Sharing Economy, es wurde nur nicht so betitelt.
Können Sie dafür Beispiele nennen? Trentmann: Das öffentliche Freibad, Sportplätze, städtische Bibliotheken. Der Unterschied zu dem, was heute Sharing Economy genannt wird: Es ging nicht um Profit. Diese Angebote wurden häufig unterstützt durch Politik, Stadt oder Land. Einen historischen Rückgang im Teilen gab es allerdings beim Wohnen. Wenn Sie vergleichen, wie viele Menschen in den 1950er Jahren pro Haushalt lebten und wie viele heute, sehen Sie eine extreme Zunahme von Einpersonenhaushalten. Die Sharing Economy fand somit auch in ihren besten Zeiten in den vergangenen Jahren nur in einem Sortiment des Konsums statt. Beim Wohnen, das sowohl aus finanzieller Sicht als auch aus Gründen der Nachhaltigkeit relevant ist, ging das Sharing aber sowieso schon zurück. Hier gibt es in der Krise ein riesengroßes Problem: In den vergangenen Jahren gab es in mehreren Städten Experimente zum sogenannten geteilten Wohnen. Das hörte sich alles super an. Aber wie viele Menschen wollen jetzt in einen Wohnbereich einziehen, wo sie teilen müssen? Viele haben sich jetzt daran gewöhnt, dass sie einen eigenen, sicheren, nichtinfizierten Raum haben. Die Zukunft des Wohnens wird wirklich spannend werden.
Interview: Sandra Liermann
Frank Trentmann, 55, ist Professor für Geschichte in London und Autor des Buches „Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute“.