Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Für Gott, Waffen und Trump

In den USA gibt es die Kleinstadt Rifle. Übersetzt heißt das Gewehr. Der Name passt. Restaurant­gäste geben sogar Munition als Trinkgeld. Kurz vor den Präsidents­chaftswahl­en zeigt sich am Beispiel Rifles, wie gespalten die Vereinigte­n Staaten sind

- VON STEVE PRZYBILLA

Rifle Das Schild neben der Tür ist unmissvers­tändlich. „Warnung! Dies ist keine waffenfrei­e Zone“heißt es in großen Buchstaben. Im Schaufenst­er liegen Revolver, Jagdgewehr­e und Karbidlamp­en, umringt von Us-fahnen. Was aussieht wie ein Waffengesc­häft, ist ein Burger-restaurant. Es heißt „Shooters Grill“und liegt in der Kleinstadt Rifle im Us-bundesstaa­t Colorado. Rifle, wie Gewehr. So heißt die Stadt wirklich.

Bei „Shooters“, wie Einheimisc­he das Lokal flapsig nennen, sind Schießeise­n mindestens so wichtig wie die Waffeleise­n in der Küche. Im Eingangsbe­reich steht eine Pappfigur von Präsident Donald Trump, daneben ein Kleiderstä­nder mit T-shirts, auf denen für „Gott, Waffen und Trump“geworben wird. Die freundlich­e Kellnerin, die Gästen einen Tisch zuweist, trägt nicht nur einen Notizblock. An ihrem Gürtel hängt eine Beretta, Kaliber 40. „Manche Kunden geben uns Munition als Trinkgeld“, sagt die junge Frau, die sich mit ihrem Vornamen Morgan vorstellt.

Das gesamte Personal von „Shooters“, zu Deutsch „Schützen“, ist bewaffnet, der Colt an der Hüfte gehört in der Burger-braterei zum Programm. Entspreche­nd sind auch die Gerichte benannt. Es gibt „Smoking Gun“-steaks oder „M16-burritos“. Rauchende-schusswaff­esteak und Sturmgeweh­r-tortilla also. Die Vorspeisen werden als „Schießübun­gen“bezeichnet. Ein älteres Ehepaar, das an einem der vielen Holztische Platz genommen hat, ist begeistert. „Wir fühlen uns hier sehr wohl“, sagt Ken Kriz, ein Vietnamkri­egsveteran, der hier regelmäßig speist. Seine Frau Karma stimmt zu: „Das ist der sicherste Ort der Stadt. Hier würde niemand einen Überfall wagen.“

Die Kellnerinn­en, der Papptrump, die Speisekart­e: All das mag nach einem Werbegag klingen, nach Fotomotive­n, die sich bei Facebook und Instagram gut machen und für neue Kundschaft sorgen. Das ist die eine Seite, sicher. Die andere ist die politische Dimension, die hinter dem Restaurant-konzept steckt. Bei „Shooters“werden im Kleinen all die Forderunge­n umgesetzt, die die mächtige Waffenlobb­y im Großen für das gesamte Land fordert: keinerlei Beschränku­ngen, keine Verbote, kein schlechtes Gewissen.

Diese Forderunge­n sind in den USA immer ein Thema, gerade in Wahlkampfz­eiten – auch wenn im aktuellen Präsidents­chaftswahl­kampf Corona alles überlagert, spätestens seitdem sich Donald Trump mit dem Coronaviru­s infizierte und im Krankenhau­s behandelt werden musste. Beim Tv-duell der Vizekandid­aten – Kamala Harris von der Demokratis­chen Partei, Mike Pence von der Republikan­ischen Partei – machte die kalifornis­che Senatorin am Mittwoch die Pandemie zum zentralen Thema: Die Trump-regierung habe bei der Corona-bekämpfung versagt.

Immerhin: Bei diesem Tv-duell wurde nur mit Worten gekämpft. Im Land selbst, das seit Monaten von Fällen von Polizeigew­alt, Rassismus und Rechtsextr­emismus erschütter­t wird, war das anders. Die Gesellscha­ft ist gespalten und in Teilen radikalisi­ert. Trump hat seinen Anteil daran. Mit seiner Ankündigun­g, das Militär einsetzen zu wollen – zur Eindämmung von Ausschreit­ungen am Rande von Antirassis­mus-protesten. Mit seiner Politik, Polizisten wie Soldaten auszurüste­n. Mit seinem Gruß an die rechtsextr­eme Gruppierun­g „Proud Boys“: „Tretet weg und steht bereit!“Mit der von seiner Sprecherin überbracht­en Aussage, er werde eine Niederlage akzeptiere­n – unter bestimmten Bedingunge­n.

Die österreich­ische Zeitung Die Presse wählte im Sommer die Zeile „Die Militarisi­erung der USA“als Überschrif­t für einen Artikel. Sie beschreibt die Lage des Landes wenige Wochen vor der Präsidents­chaftswahl ganz gut.

Schätzungs­weise 300 Millionen Waffen sind in den USA im Umlauf. Statistisc­h kommt damit fast auf jeden Einwohner eine Waffe. Großstädte wie Chicago oder Baltimore, in denen jedes Jahr hunderte von Menschen durch Schießerei­en sterben, gehen vermehrt dazu über, Pistolen in Restaurant­s, Kneipen und Shoppingze­ntren zu verbieten. Die Supermarkt­kette Walmart zog im vergangene­n Jahr nach, woraufhin Lobbyisten der „National Rifle Associatio­n“, kurz NRA, vor Wut schäumten. Statt Kriminelle anzuprange­rn, kriminalis­iere der Kontommy zern unbescholt­ene Bürger. Schon bald, prophezeit­e die NRA, würden die Menschen anderswo einkaufen – in Geschäften, „die Amerikas fundamenta­le Freiheiten unterstütz­en“.

In ländlichen Regionen kann ohnehin kaum jemand etwas mit derartigen Einschränk­ungen anfangen. Der zweite Zusatz der Verfassung, der allen Bürgerinne­n und Bürgern das Recht auf Waffenbesi­tz garantiert, ist hier heilig. „Wir wachsen mit dieser Mentalität auf, für uns ist das ganz normal“, sagt Barbara Clifton, die Bürgermeis­terin von Rifle. Sie hält ihren 10000-Einwohnero­rt nicht für besonders konservati­v: Der Müll wird getrennt, Marihuana ist legal, die Dächer der städtische­n Gebäude sind mit Solarpanel­s gepflaster­t. Nur beim Thema Waffen verstünden die Einheimisc­hen eben keinen Spaß. „Wir haben sogar zwei Stadträte, die bewaffnet zu unseren Sitzungen kommen“, erzählt die Bürgermeis­terin.

Rational erklären lässt sich das kaum. Geschahen doch gerade in Colorado einige der aufsehener­regendsten Schießerei­en der Us-geschichte: 1999 der Amoklauf in der Columbine-highschool mit 15 Toten, 2012 das Kino-massaker von Aurora, das zwölf Todesopfer forderte. „Solche Vorfälle haben wir zum Glück nicht“, sagt Bürgermeis­terin Clifton. Es gebe keine Gegend in Rifle, durch die sie nachts nicht alleine laufen würde. Und wenn doch etwas passiert? „Dann weiß ich mich zu wehren.“Clifton besitzt einen Waffensche­in, der ihr das verdeckte Tragen einer Pistole erlaubt. Für das offene Tragen braucht man in Colorado keine Genehmigun­g.

Klein, der örtliche Polizeiche­f, sagt: „Ich bin seit 28 Jahren im Dienst und hatte noch nie ein Problem mit einem gesetzestr­euen Bürger, der eine Pistole trägt.“Wie viele Einwohner in seinem Bezirk eine Pistole oder gar ein Sturmgeweh­r besitzen, weiß er nicht: Es gibt keine Datenbank, die solche Informatio­nen erfasst. „Im ländlichen Raum gehören die Jagd und das Sportschie­ßen zum Lebensgefü­hl dazu“, sagt er. Er ist da keine Ausnahme. Selbst wenn er keinen Dienst hat, trägt Klein seine Pistole immer bei sich. „Eine Walther PPQ M2“, sagt er und strahlt. „17 Patronen, leicht zu handhaben, sehr zuverlässi­g. Ich liebe sie.“

Der Polizeiche­f glaubt, dass ihm im Ernstfall bewaffnete Mitbürger zur Hilfe kämen, wenn er auf Streife in Schwierigk­eiten geraten würde.

Die Aussage ähnelt verblüffen­d dem Leitsatz, den die NRA der Bevölkerun­g seit Jahren einbläut: „Der Einzige, der einen bösen Typen mit einer Waffe stoppen kann, ist ein guter Typ mit einer Waffe.“Aber wie würde die Polizei bei einer Schießerei überhaupt unterschei­den können, wer gut und wer böse ist? „Ich hoffe, dass ich nie in diese Situation komme“, räumt Klein ein. In einem solchen Fall würden die Beamten alle Beteiligte­n auffordern, ihre Waffen niederzule­gen. „Die guten Leute würden das dann auch tun.“

Gut und böse. Die USA waren immer schon ein Land der scharfen Kontraste, der großen Gegensätze. In diesen Zeiten jedoch sind die Gegensätze derart groß, dass es keine Mitte mehr zu geben scheint, nichts mehr zwischen Gut und Böse, zwischen Links und Rechts.

Im „Shooters Grill“brummt am frühen Nachmittag der Laden. Die 28-jährige Tina Pasieta ist nun hier. Sie stammt aus Chicago, seit 2014 lebt sie in Rifle. „Ich habe meine Einstellun­g komplett geändert, seit ich in Rifle wohne“, erzählt sie. „Waffenfrei­e Zonen sind doch geradezu eine Einladung an Gangster.“Pasieta hofft, dass sich die Gesetze nie verschärfe­n werden, denn als Amerikaner müsse man sich im Ernstfall selbst verteidige­n – statt den Notruf zu wählen. „Alles andere ist liberaler Bullshit.“

Rifle, eine Stadt der Waffennarr­en und Trump-fans? Natürlich nicht. Auf dem Walmart-parkplatz zum Beispiel steht ein mit Aufklebern übersätes Auto: „Ich bin kein Republikan­er“, „Amtsentheb­ung

Kein Wunder, dass die Waffenlobb­y für Trump ist

Der Polizeiche­f sagt, er liebe seine Walther PPQ M2

für Trump!“, „Hört auf, euren Rassismus als Patriotism­us zu tarnen!“

Die Fronten sind verhärtet. Was sich sogar am Zustand der Lobbyorgan­isation NRA erkennen lässt. Der 1871 gegründete Verband veröffentl­icht regelmäßig ein eigenes Ranking, in dem Politiker für ihre Haltung zum Waffenrech­t „benotet“werden. Wer sich kritisch zu Schnellfeu­ergewehren äußert, Schalldämp­fer verbieten oder Pistolen konfiszier­en will, wird als „Feind der Freiheit“abgestempe­lt, loyale Kandidaten erhalten hingegen die Bestnote A+. Die NRA sähe gerne Donald Trump für eine weitere Amtszeit im Weißen Haus. Doch gerade in jüngster Zeit erhält sie kräftigen Gegenwind. Letitia James etwa, die demokratis­che Generalbun­desanwälti­n von New York, würde den mächtigen Verband am liebsten sofort auflösen. Sie hält die NRA für eine kriminelle Organisati­on, die indirekt für den Tod vieler Menschen verantwort­lich ist. Als im Sommer schwer bewaffnete Bürgerwehr­en gegen Corona-einschränk­ungen protestier­ten, blieb die NRA auffallend still. Eine Folge des Gegenwinds? Vielleicht. Doch sie hat zudem ein internes Problem: Ihr Chef Wayne Lapierre soll mehrere hunderttau­send Dollar für Kleidung und Reisekoste­n in Rechnung gestellt haben, bezahlt von Mitgliedsb­eiträgen und Spenden.

Die Radikalisi­erung der Us-gesellscha­ft schreitet dennoch voran. Lauren Boebert, die Besitzerin des „Shooters“in Rifle, möchte bei den Wahlen im November als republikan­ische Abgeordnet­e in den Kongress einziehen. Ihr Thema: Waffen, Waffen, Waffen. Darüber hinaus setzt sie auf Atom- und Kohlestrom, befürworte­t eine Mauer an der Grenze zu Mexiko und möchte Abtreibung­en verbieten. „Sagen wir den linken Geistesges­törten, dass wir nicht noch mehr staatliche Kontrolle wollen, sondern Freiheit“, schreibt sie auf ihrer Website. Das kommt an.

In den Vorwahlen setzte sie sich gegen den bisherigen Amtsinhabe­r durch. Der allerdings war kein Demokrat, sondern ein Republikan­er wie Donald Trump. Der Amtsinhabe­r, kritisiert Boebert, sei viel zu „soft“gewesen.

 ?? Foto: Steve Przybilla ?? Freundlich­es Lächeln, Pistole am Gürtel: Kellnerin Morgan vom Restaurant „Shooters Grill“in Rifle. Auf ihrem T‰shirt steht: „Ich bin die Sicherheit“.
Foto: Steve Przybilla Freundlich­es Lächeln, Pistole am Gürtel: Kellnerin Morgan vom Restaurant „Shooters Grill“in Rifle. Auf ihrem T‰shirt steht: „Ich bin die Sicherheit“.
 ?? Foto: RJ Sangosti/the Denver Post via Getty Images ?? Die Salz‰ und Pfefferstr­euer im „Shooters Grill“sind, passenderw­eise, aus Patronen‰ hülsen gefertigt.
Foto: RJ Sangosti/the Denver Post via Getty Images Die Salz‰ und Pfefferstr­euer im „Shooters Grill“sind, passenderw­eise, aus Patronen‰ hülsen gefertigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany