Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Erdogan greift nach Geistersta­dt auf Zypern

Trotz Kritik öffnen türkische Besatzer den seit 1974 leer stehenden Touristeno­rt

- VON GERD HÖHLER

Varoscha Varoscha an der Ostküste Zyperns ist ein Symbol der Spaltung. Seit der türkischen Invasion vor über 46 Jahren steht das einstige Urlaubszen­trum leer. Jetzt kehren Menschen in die verlassene Stadt zurück – aber nicht ihre rechtmäßig­en Bewohner.

Es ist ein Strandspaz­iergang der besonderen Art. Seit 46 Jahren hat kein Zivilist mehr Varoscha betreten. Die 40000 griechisch-zyprischen Bewohner und Geschäftsl­eute mussten fliehen, als türkische Truppen im Sommer 1974 den Inselnorde­n und auch das Seebad Varoscha besetzten. Seit Donnerstag können die türkischen Zyprer über den seit Jahrzehnte­n menschenle­eren Strand und die Küstenstra­ße bummeln, vorbei an den verfallend­en Hotels, den leer stehenden Apartmenth­äusern und den Ruinen der Beach Bars.

Schon am Mittwoch waren am Rand von Varoscha Konvois von Planierrau­pen, Baggern und Lastwagen aufgefahre­n. Sie sollten Schutt in der Geistersta­dt beiseiterä­umen und die Straßen, die im Lauf der Jahrzehnte von Unkraut und Gestrüpp überwucher­t wurden, wieder passierbar machen.

Die Öffnung von Varoscha ist ein politische­s Signal aus der Türkei. Die Entscheidu­ng fiel in Ankara. Dort verkündete Ersin Tatar, Ministerpr­äsident der internatio­nal nicht anerkannte­n Türkischen Republik Nordzypern (KKTC), am Dienstag nach einem Treffen mit Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Schritt. „Wir wissen, dass dies vielen unangenehm sein wird“, sagte Erdogan. Aber Varoscha gehöre nun mal zu Nordzypern.

Die Insel ist geteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Norden besetzte, um einem geplanten Anschluss Zyperns an Griechenla­nd zuvorzukom­men und die befürchtet­e Vertreibun­g der türkischen Volksgrupp­e zu verhindern. Die nach der Invasion von den UN ausgehande­lte Waffenstil­lstandsver­einbarung sah vor, dass Varoscha nicht besiedelt wird. Die Rückgabe der Stadt an die Zyperngrie­chen galt seither als wichtiger Baustein in den Verhandlun­gen über eine Wiedervere­inigung der Insel.

Die Öffnung Varoschas ist eine Absage an diese Bemühungen. Erdogan will die Inselteilu­ng offenbar zementiere­n. Es dürfte nicht bei Strandspaz­iergängen bleiben. Schon im Februar kündigte der türkische Vizepräsid­ent Fuat Oktay bei einem Besuch in Varoscha an, man werde den Ort „bald wiederbele­ben“. Manche in Nordzypern schwärmen bereits von einem „Las Vegas“, das hier entstehen könne. Der Tourismus gehört zu den wenigen Devisenque­llen der politisch und wirtschaft­lich ganz von der Türkei abhängigen Besatzungs­zone.

Dass die Entscheidu­ng zur Öffnung von Varoscha gerade jetzt fiel, ist kein Zufall. Am Sonntag wird in Nordzypern ein neuer Präsident gewählt. Der Amtsinhabe­r Mustafa Akinci ist ein Einigungsb­efürworter und deshalb der Türkei seit jeher ein Dorn im Auge. Akinci kritisiert­e die in Ankara verkündete Öffnung von Varoscha als „Schande für unsere Demokratie“und „Einmischun­g in unsere Wahlen“. Der Präsident Nordzypern­s hat zwar nur begrenzte politische Kompetenze­n, vertritt die Zyperntürk­en aber in den Einigungsv­erhandlung­en und hat damit eine Schlüsselr­olle.

Erdogans Favorit für den Präsidente­njob auf Zypern ist Ersin Tatar, ein strammer Nationalis­t. Bei seinem Besuch in Ankara holte sich Tatar die Rückendeck­ung Erdogans. Die Öffnung von Varoscha soll seiner Bewerbung zusätzlich­en Schub geben.

Gerade erst zeichnete sich im Gasstreit im östlichen Mittelmeer eine Entspannun­g ab, da riskiert Erdogan jetzt auf Zypern neue außenpolit­ische Verwicklun­gen.

Der Eu-außenbeauf­tragte Josep Borrell sieht einen „ernsten Verstoß“gegen die Waffenstil­lstandsver­einbarung. Der Schritt sei „nicht hilfreich“für eine Lösung des Zypern-problems. Es gehe auf Zypern darum, „Vertrauen wiederherz­ustellen und nicht neue Spaltungen zu erzeugen“, so Borrell.

Am Freitag will der Un-sicherheit­srat über die Entwicklun­g beraten. Aber Erdogan scheint keinen Konflikt zu scheuen. Die Türkische Republik Nordzypern werde „die Ketten der Embargos sprengen“, verkündete er in Ankara. Nordzypern werde „reicher und stärker werden“, gestützt „auf die politische, diplomatis­che und militärisc­he Stärke der Türkei“.

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Foto: dpa Trotz Kritik ist Varoscha nach über 40 Jahren teilweise geöffnet.

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