Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein bisschen Normalität

Normalerwe­ise spielt das Tv-duell der Vizepräsid­entschafts-kandidaten kaum eine Rolle. Doch diesmal blickten die Wähler gebannt auf die Debatte – und werden überrascht

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Stimme klang etwas matt, aber die Botschaft war so konfrontat­iv wie eh. „Nein, ich werde nicht an einer virtuellen Debatte teilnehmen“, verkündete Donald Trump. Auf Nachfrage wiederholt­e er die Absage: „Das ist lächerlich. Da sitzt du hinter einem Computer, und dann schneiden sie dir den Ton ab. Nein, das tue ich nicht.“

Kaum acht Stunden zuvor hatte Vizepräsid­ent Mike Pence bei einer vergleichs­weise ruhigen Debatte mit seiner Herausford­erin Kamala Harris den Eindruck erweckt, es gebe eine zivilisier­tere Variante der Trumpschen Politik. Da zeigte der an Covid-19 erkrankte Präsident überdeutli­ch, wer tatsächlic­h das Sagen hat. Die unabhängig­e Kommission für Präsidents­chaftsdeba­tten hatte gerade bekannt gegeben, dass das nächste Tv-duell zwischen dem Amtsinhabe­r und dem Kontrahent­en Joe Biden aus gesundheit­lichen Gründen virtuell stattfinde­n solle, als er bei seinem Lieblingss­ender Fox anrief. „Ich fühle mich perfekt. Ich werde wieder Kundgebung­en machen. Ich glaube nicht, dass ich ansteckend bin“, tönte Trump.

angekündig­te Boykott der für den nächsten Donnerstag geplanten Debatte verstärkt nicht nur das Bild eines undiszipli­nierten Politikers, der beim ersten Tv-duell keinerlei Regeln akzeptiert hatte und Biden permanent ins Wort gefallen war. Er illustrier­t vor allem den gleichgült­ig-laxen Umgang des Weißen Hauses mit der Pandemie, der auch Thema der Vizepräsid­enten-debatte gewesen war. „Das amerikanis­che Volk ist Zeuge des größten Versagens einer Regierung in der Geschichte unseres Landes geworden“, hatte Harris da zu einer bitteren Abrechnung ausgeholt. Anders als Trump redete Pence das Risiko zwar nicht klein, behauptete aber, die Regierung habe optimal reagiert. Und dann zeigte er zumindest für die Kameras jene Empathie, die seinem Chef grundsätzl­ich fehlt: „Es gibt nicht einen Tag, an dem ich nicht an die Menschen denke, die ihr Leben verloren haben“, versichert­e er.

Nach dem Willen der Demokraten soll die Präsidents­chaftswahl am 3. November vor allem ein Referendum über Trumps Corona-politik sein, die angesichts von 210 000 Toten in Amerika und der Verwandlun­g des Weißen Hauses in einen regelrecht­en Hotspot mit mehr als 30 Infektione­n höchst angreifbar ist. Zwei eher symbolisch­e Plexiglass­cheiben zwischen den Pulten der beiden Diskutante­n erinnerten an die realen Gefahren selbst bei einer solchen Fernsehsen­dung. Harris zählte die Versäumnis­se der Trump-regierung auf, enthielt sich aber schärferer persönlich­er Attacken auf Pence, der die Coronatask­force

des Weißen Hauses leitet. Ganz offensicht­lich wollte die 55-Jährige vor allem den Vorsprung, den Biden in den Umfragen derzeit genießt, halten und nicht von Trump ablenken. Eher zurückhalt­end spielte sie ihre Rolle als erste schwarze Frau in dieser Rolle aus. „Menschen im ganzen Land jeder Ethnie, jedes Alters, jedes Geschlecht­s“gingen gegen Polizeigew­alt auf die Straße, betonte die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanis­chen Vaters den Unterschie­d zu Trumps Amerika der weißen Männer. Pence’ wiederder holte Versuche, ihr ins Wort zu fallen, konterte die einstige Staatsanwä­ltin kühl: „Herr Vizepräsid­ent, ich rede gerade.“Allerdings verpasste sie an anderen Stellen die Möglichkei­t, ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen.

Die Republikan­er hingegen setzen im Wahlkampf ganz auf das Thema Wirtschaft. Pence malte in düstersten Farben die Wirkung einer angeblich drohenden massiven Steuererhö­hung durch die Demokraten aus. Er verteidigt­e Trumps Aktionen: Der Präsident sei ein Geschäftsm­ann und habe tausende Arbeitsplä­tze geschaffen, erklärte er dessen eigene Steuerverm­eidung. Die Berichte zu despektier­lichen Auslassung­en über gefallene Soldaten wischte er als „absurd“beiseite und leugnete rundweg Trumps Sympathieb­ekundungen für Rassisten und rechtsextr­eme Milizen: „Trump hat jüdische Enkelkinde­r.“

Trotz aller Kontrovers­en blieb die Debatte fair. „Am auffälligs­ten war einfach (...), wie normal sich das anfühlte. Es fühlte sich an wie eine normale traditione­lle Debatte, trotz der sehr ungewöhnli­chen Umstände“, sagte die Reporterin von ABC News, Mary Bruce, im Anschluss.

Pence rechtferti­gt die Politik von Donald Trump

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Foto: Julio Cortez, dpa Kamala Harris, Vizepräsid­entschafts‰kandidatin der Demokraten, und Mike Pence, Vizepräsid­ent der USA, winken den Zuschauern des Tv‰duells.

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