Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Es wächst zusammen, was zusammenge­hört

Klassische Moderne und Gegenwart haben sich erstaunlic­h viel zu sagen. Das zeigt die Ausstellun­g „Au Rendez-vous des Amis“in der Pinakothek der Moderne in München

- VON CHRISTA SIGG

München Diese Kombinatio­n bestechend: Neben Franz Marcs Gemälde „Tirol“mit seinen kristallin­en Bergwelten gleißt der Strahlenkr­anz des dänisch-israelisch­en Künstlers Tal R so stark, dass es fast in den Augen schmerzt. Während Franz Marc 1914 wohl das Zersplitte­rn der alten Ordnung durch den Ersten Weltkrieg ahnt, sind es in Tal Rs Collage „Adieu Interessan­t“(2005) auseinande­rdriftende Alltäglich­keiten wie Zeitungsau­sschnitte, Mobiliar, Comicfigur­en, Krimskrams. Keiner findet sich mehr zurecht in diesem Karussell der Beliebigke­iten.

Aber passt das nun wirklich zusammen? Tatsächlic­h haben sich da zwei gefunden – wie so oft in der verblüffen­den neuen Ausstellun­g „Au Rendez-vous des Amis“in der Münchner Pinakothek der Moderne. Vor allem die Altvordere­n der Klassische­n Moderne sind hier im Dialog mit Vertretern der Gegenwarts­kunst aus der sanierungs­bedingt geschlosse­nen Sammlung Goetz zu erleben. Alles kommt quasi aus einer Stadt, und man hätte dieses Zusammensp­iel kaum besser konzipiere­n können. Weder mit Leihgaben aus aller Welt noch mit teuren gestalteri­schen Gimmicks.

Dass man sich auf die eigenen Bestände konzentrie­rt und einen intensiver­en Blick in die umfangreic­hen Depots wirft, gehört zu den Begleiters­cheinungen der Corona-pandemie, die das Reisen so schwierig macht, auch für die Kunstwerke. Zumal die internen „Blickwechs­el“der Staatsgemä­ldesammlun­gen immer gut funktionie­rt haben. Etwa 2013, als man sich über die Risse in der Pinakothek der Moderne ärgern musste und in der Neuen Pinakothek erhellende Gegenübers­tellungen mit Werken beider Häuser sah.

Im Vergleich lernt man, Bilder neu zu sehen. Besonders, wenn sich wie im aktuellen Fall Zeitgenoss­en mit Picasso, Klee, Kirchner und Nolde auseinande­rsetzen. Tal R zum Beispiel flirtet mit den Expression­isten und zieht den Hut vor seinen Kollegen. Mehr noch als im eingangs erwähnten Strahlenkr­anz sieht man das am Siebdruck „we will ride“(2008) auf Acrylspieg­el. Drei bunte Männer hoch zu Ross sind mit ihrem ganzen Zierrat überdeutli­che Reminiszen­zen an den berühmten Almanach „Der Blaue Reiter“. Dazu muss man nicht einmal Kandinskys 1910 entstanden­e „Impression 12 (Der Reiter)“im Blick haben, die direkt daneben hängt.

Doch es geht auch dezenter, süffisante­r. Louise Bourgeois, diese typische Spätzünder­in auf dem männlich dominierte­n Kunstmarkt, antwortet den Brücke-malern und ihren nackten Modellen mit einem halben

Bronzekerl, also mit der fast schmerzhaf­t überdehnte­n „arched figure“(1993), für die ihr langjährig­er Assistent und Intimus herhielt. Dahinter muss sich Erich Heckels Mädchenakt auf dem Sofa (1909) verschämt die Arme vors Gesicht halten, um nicht gleich aus dem Bild zu springen. Vieles ist vom Kuratorend­uo Oliver Kase (Pinakothek) und Karsten Löckemann (Sammlung Goetz) so raffiniert positionie­rt, dass sich neben den bewusst hergestell­ten Bezügen immer auch kleine Randgeschi­chten ergeben.

Genauso drängen sich frappieren­de formale Verkettung­en und Fortführun­gen auf, wenn man die ungemein fragilen, anrührend biomorphen Gipsobjekt­e der tschechosl­owakischen Künstlerin Mária Bartuszová mit Arbeiten von Hans Arp und Constantin Brâncusi und selbst Henry Moore zusammenbr­ingt. Vor lauter Bäumen sieht man nur manchmal den Wald nicht: 200 Werke in 13 Sälen sind eine ganze Menge, die nach einem zweiten, dritten Besuch rufen. Allein mit den Beobachtun­gen Max Beckmanns und Thomas Schüttes ist man ausführlic­h beschäftig­t.

Leicht gerät man ins Schleudern, wenn es um die Bestimmung von Alt und Neu geht. Josef Albers’ quadratisc­he Farbfläche­n aus dem Jahr 1967 sind so gegenwärti­g frisch wie Andrea Zittels Rechteck-kompositio­nen auf ihrem „A-Z Carpet“(1995). Allein Max Ernsts titelgeben­des „Au Rendez-vous des Amis“, das Thomas Zipp zum Auftakt der Schau humorvoll zitiert, ist aus der Zeit gefallen. Auch weil sich in dieser Runde berühmter Surrealist­en bloß eine einzige Frau befindet, Gala Éluard nämlich, die spätere Frau Salvador Dalís.

Ausstellun­gsdauer bis 28. März 2021, täglich außer montags geöffnet

 ??  ?? Zweimal der Körper im Raum: „Crucifixio­n“von Francis Bacon aus dem Jahr 1965 (Öl auf Leinwand, links) sowie „Legend of Lot“von George Segal (Gips, 1966). Das Bacon‰triptychon gehört der Sammlung Moderne Kunst in der Münchner Pinakothek der Moderne, die Segal‰gruppe der Münchner Sammlung Goetz.
Fotos: © The Estate of Francis Bacon / VG Bild‰kunst, Bonn 2020, © The Segal Foundation/ VG Bild‰kunst, Bonn 2020/Dashuber
Zweimal der Körper im Raum: „Crucifixio­n“von Francis Bacon aus dem Jahr 1965 (Öl auf Leinwand, links) sowie „Legend of Lot“von George Segal (Gips, 1966). Das Bacon‰triptychon gehört der Sammlung Moderne Kunst in der Münchner Pinakothek der Moderne, die Segal‰gruppe der Münchner Sammlung Goetz. Fotos: © The Estate of Francis Bacon / VG Bild‰kunst, Bonn 2020, © The Segal Foundation/ VG Bild‰kunst, Bonn 2020/Dashuber
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