Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nicht schon wieder

Nachdem das deutsche Team erneut eine Führung verspielt, wird die Kritik an Bundestrai­ner Joachim Löw lauter. Der widerum rügt die Mannschaft diesmal überrasche­nd offen

- VON TILMANN MEHL

Köln Fußball ist nur dann kein Ergebnissp­ort, wenn Partien von den Trainern umgedeutet werden. In der Vorbereitu­ng auf eine Saison beispielsw­eise misst der Coach einer Partie oftmals wenig Bedeutung bei. Schwere Beine, fehlende Abstimmung, Einbindung neuer Spieler – was einem eben so einfällt nach einer Niederlage (gegen ein Team, das sich ebenfalls in der Vorbereitu­ng befindet). Joachim Löw hätte all diese Punkte nach dem 3:3 gegen die Türkei geltend machen können. Einem Großteil seines Stammperso­nals hatte er vorsorglic­h frei gegeben, da er es für die Spiele in der Nations League am Samstag in der Ukraine und Dienstag zu Hause gegen die Schweiz benötigt.

Nachdem seine Mannschaft aber zum wiederholt­en Male in den Schlussmin­uten eine Führung aus der Hand gab, übte sich der Bundestrai­ner nicht in der ihm sonst eigenen Nachsicht. Er führte gleich eine ganze Mängellist­e an, die es nun gelte abzuarbeit­en. Sein Team habe es

der Schlusspha­se der Partie verpasst, den Gegner „in die Rückwärtsb­ewegung zu treiben“, um so die Gefahr vom eigenen Tor fernzuhalt­en. Es gelte, „sorgfältig mit dem Ball umzugehen“. Ein Gruß an Nico Schulz, der vor dem türkischen Ausgleich zum 1:1 durch Ozan Tufan einen recht unbeholfen­en Pass in die Spielfeldm­itte spielte. Im Sechzehnme­ter-raum wiederum sei Schluss mit Raumdeckun­g, da „gibt es eigentlich nur Mann gegen Mann“. Robin Koch dürfte sich hier angesproch­en fühlen, der vor dem letzten Treffer der Partie Torschütze Kenan Karaman alleine stehen ließ, um an anderer Stelle einzugreif­en. Letztlich gehe es darum, „eine andere Mentalität zu entwickeln“.

Für einen, der ansonsten lieber über zu bespielend­e Zwischenrä­ume referiert als schnöde Motivation­svokabeln einzusetze­n eine bemerkensw­erte Aussage. Tatsächlic­h aber lässt sich das abermalige Verspielen einer Führung nicht ausschließ­lich mit den zur Verfügung stehenden Spielern begründen. Es ist in den vergangene­n Jahren zu einem wiederkehr­enden Motiv geworden, dem Gegner bei sicher geglaubten Erfolgen noch ein Präsent zu überreiche­n. Nach der missglückt­en Russland WM hat das Team gleich mehrfach gegen Holland und Frankreich Führungen verspielt, es gab ein 2:0 gegen Argentinie­n aus der Hand und kam zuletzt auch gegen Spanien und die Schweiz nach einem 1:0 nicht über 1:1 hinaus.

In den kommenden Partien stoßen neben Münchnern und Leipzigern auch Reals Toni Kroos und Chelseas Timo Werner hinzu. Sie alle sind es gewohnt, sorgsam mit Führungen umzugehen. Doch auch sie waren in der Vergangenh­eit immer wieder Teil der deutschen Nationalma­nnschaft, wenn es eben doch nicht zu einem Erfolg gereicht hat. Das lenkt den Blick unweigerli­ch auf Löw, dessen Team nun seit beinahe einem Jahr auf einen Sieg wartet (allerdings seitdem auch nur drei Mal angetreten ist).

Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus hat in einem seiner unnachahml­ichen Doppelpäss­en mit der Bild taktische Fehler beim Bunin destrainer ausgemacht und sich bitterlich beklagt, warum denn bitte Spieler wie Nico Schulz zum Einsatz kämen, die ja nun nicht einmal in ihrem Verein Stammspiel­er seien. So energisch der Vortrag des Boulevard-lieblings, so mäßig der Inhalt seiner Ausführung­en. Löw selbst beklagte die drei Länderspie­le binnen weniger Tage. Nur die Besten der Besten im Freundscha­ftsspiel gegen die Türkei aufzubiete­n, hätte für unnötigen Verschleiß gesorgt. Hinter den Arrivierte­n tut sich eben jene Qualitätsl­ücke auf, die am Mittwoch zu beobachten war.

Als einziger Feldspiele­r überzeugte der Gladbacher Debütant Florian Neuhaus, dem nicht nur wegen seines Treffers zum 2:1 von Joachim Löw attestiert wurde „ein gutes Spiel“absolviert zu haben. Doch auch der starke Auftritt des 23-Jährigen änderte nichts daran, dass Löw nach der Partie „enttäuscht und angefresse­n“war. Meistens ist Fußball eben ein Ergebnissp­ort.

Tore 1:0 Draxler (45.+1), 1:1 Tufan (50.), 2:1 Neuhaus (58.), 2:2 Karaca (67.), 3:2 L. Waldschmid­t (81.), 3:3 Karaman (90.+4)

 ?? Foto: Federico Gamberini, dpa ?? Neue Akteure, bekanntes Motiv: Am Ende jubelt immer der Gegner der deutschen Mannschaft. Diesmal eben die Türken, die durch Kenan Karaman (Nummer 9) in der Nach‰ spielzeit noch zum Ausgleich kamen.
Foto: Federico Gamberini, dpa Neue Akteure, bekanntes Motiv: Am Ende jubelt immer der Gegner der deutschen Mannschaft. Diesmal eben die Türken, die durch Kenan Karaman (Nummer 9) in der Nach‰ spielzeit noch zum Ausgleich kamen.

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