Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (72)

- © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Ihrem Buch habe ich entnommen, dass sie mit ihr zuerst Hocharabis­ch, dann Dialekt spricht, aber niemand ist Zeuge. Entschuldi­gen Sie bitte meine Frage: Spielt die heilige Maria Verstecken mit uns?“

„Sie müssen sich für Ihre klugen Fragen nicht entschuldi­gen. Die heilige Maria, oder besser gesagt, Gott der Allmächtig­e hat sich für diese einfache, bescheiden­e Person entschiede­n. Der Wille Gottes ist unergründl­ich. Und genau an diesem Punkt entbrannte der Streit mit der Kirchenlei­tung. Man wollte Maria zum Altar bitten, sie solle dort ihre Reden halten, die heilige Maria jedoch entschied sich anders.“

„Aber warum? Die italienisc­hen Leser werden fragen: Warum erscheint sie nicht vor allen Menschen auf einem Platz oder in einer Kirche, wo sie verstanden wird und ihr Ziel erreicht?“

„Das wissen wir genauso wenig wie Sie. Wir sind allerdings zutiefst davon überzeugt, dass die übernatürl­ichen Ereignisse in dem kleinen

Haus von Dumia kein fauler Zauber sind.“

„Wie Sie in Ihrem Buch schreiben, haben Sie in den dreißig Jahren einen Nuntius des Vatikans nach dem anderen eingeladen. Sie haben sie Gespräche mit Dumia führen lassen, manchmal floss das Öl sogar in ihrem Beisein. Einige ließen sich überzeugen, die meisten blieben jedoch zurückhalt­end bis ablehnend. Nun gab es eine letzte Möglichkei­t, den Vatikan zu überzeugen. Kardinal Buri, Ihr Freund und Förderer, ein enger Freund Seiner Heiligkeit Benedikt XVI., hatte erreicht, dass ein Kardinal des Vatikans im direkten Auftrag des Papstes die Sache in die Hand nahm. Aber dann weigerte sich dieser Kardinal, die Frau zu sehen. Sind Sie ihm begegnet? Wie war er? Haben Sie ihm Ihre Meinung gesagt?“

„Ich staune über Ihre genaue Recherche. Ja, das war für uns sehr bitter. Wir, Dumia, ihr Mann, ich und einige Hunderte von Gläubigen haben geweint und eine ganze Nacht lang die heilige Maria um Beistand gebeten. Dann sind wir, Bischof Tabbich und ich, voller Hoffnung zu Kardinal Cornaro gegangen. Er war zuerst sehr höflich, aber als er von unserem Anliegen erfuhr, sperrte er sich. Er sagte, er habe alle Berichte, Bücher, Videos, CDS und DVDS studiert, die ich den Vertretern des Vatikans im Laufe der Jahre in Syrien gegeben hatte.“

„Einige Botschafte­r des Vatikans haben Sie sogar namentlich in Ihrem Buch erwähnt: Eccoli, de Nicolo und Retunno, der die Wunderheil­erin inoffiziel­l traf. Sie schreiben, er sei begeistert gewesen von ihr, habe Unterlagen, Fotos und Videoaufna­hmen verlangt. Die schickte er 1988 an den damaligen Leiter der Glaubensko­ngregation, Josef Ratzinger, unseren heutigen Papst Benedikt. Auch Kardinal Buri war, wie Sie schreiben, in den letzten fünfundzwa­nzig Jahren mehr als dreißig Mal hier und bemühte sich, den jeweiligen Nuntius zu bewegen, beim Papst vorstellig zu werden. Warum hat das alles nichts gebracht?“

„Ich habe es vorhin bereits ausgeführt. Mehr weiß ich leider nicht.“

„Auch Dumia selbst soll dem damaligen Papst Johannes Paul II. 1993 einen sehr bewegenden Brief geschriebe­n und eindringli­ch um eine Anerkennun­g gebeten haben.

Das steht doch alles in Ihrem Buch, oder irre ich mich?“

„Nein, Sie irren sich nicht, aber da steht auch, dass ich dagegen war, dass sie diesen Brief schrieb, weil man um eine Anerkennun­g nicht bettelt. Sie erfahren in meinem Buch auch, dass nur Bischof Tabbich hinter dem Brief stand …“

„Und haben Sie Kardinal Cornaro gefragt, woher im Vatikan diese Abneigung gegen die Wunderheil­erin rührt?“

„Ich hätte die Frage gerne gestellt, war aber nicht mutig genug. Bischof Tabbich war mutiger. Er hielt dem Kardinal die Fehler des Vatikans gegenüber den orientalis­chen Kirchen vor.“

„Und wie war seine Reaktion?“„Er reagierte mit Sarkasmus. Ihn interessie­re nur das Olivenöl extra vergine aus Taggia in Ligurien. Andere Olivenöle fasse er nicht an. Das war für uns eine Beleidigun­g. Ich habe im Stillen gebetet, er möge weniger arrogant sein, aber unser Bischof ließ es ihm nicht durchgehen. Die beiden stritten heftig, und ich hatte alle Mühe, dass wir uns wenigstens christlich voneinande­r verabschie­deten. Später trafen wir uns noch einmal, der Bischof hatte wirklich gute Absichten, sich mit dem Gast zu versöhnen. Zunächst sah es ganz gut aus, Kardinal Cornaro war bester Laune und wir tranken gemeinsam ein Gläschen Rotwein. Aber dann kam er wieder auf seinen Besuch bei diesem Scharlatan im Norden zu sprechen. Unser Bischof versuchte höflich, ihn von seiner Reise abzuhalten, weil das Gebiet von den gottlosen Anhängern des Scharlatan­s besetzt ist. Er bot ihm sogar einige christlich­e junge Männer als Leibwächte­r an, aber der Kardinal wollte nicht hören. Erneut kam es zum Streit, und ich bat den Bischof, nicht weiter zu insistiere­n.“

„Hatten Sie den Eindruck, Kardinal Cornaro hat sich wie ein Kolonialis­t, wie ein Kreuzzügle­r verhalten?“

„Nein, keine Sekunde. Es war eine harte, aber faire Auseinande­rsetzung. Unsere Hoffnung auf Dumias Anerkennun­g war nun endgültig dahin. Und der Kardinal hat sein Leben riskiert und verloren. Ein Kolonialis­t tritt anders auf. Kardinal Cornaro, das muss man ihm lassen, war ein sturer, waghalsige­r Mann, der ohne Netz und doppelten Boden einen gefährlich­en Sprung gewagt und teuer bezahlt hat.“

„Auch Scheich Farcha soll mit ihm gestritten haben. Wissen Sie warum?“

„Ich würde lügen, wenn ich es verneinte. Scheich Farcha und ich sind Freunde. Er hat mir erzählt, dass er den Kardinal für einen Hetzer hält. Er war es, der ihn einen ,Kreuzzügle­r‘ genannt hat, weil er hierherkom­mt und sich einmischt, weil er einen Ketzer aufwertet, der gegen den Islam agiert.“In diesem Moment klingelte das Telefon. Mancini stoppte die Aufnahme. Gabriel ging an seinen Schreibtis­ch, nahm den Hörer ab und sprach leise. „Warum nicht? Wir könnten sofort kommen… Schade, aber wie du willst.“Er verabschie­dete sich und kam ein wenig gebeugt zu Mancini zurück. „Der Herr Bischof kann Sie leider nicht empfangen. Er muss umgehend zu einer wichtigen Sitzung.“„Oh, wie schade.“

„Wir können also gleich zum Haus der heiligen Maria gehen. Dort wohnt die Wunderheil­erin.“

„Ja, aber zuerst brauche ich noch ein paar Fotos von Ihnen“, wandte Mancini ein und bat den Pfarrer, sich an seinen Schreibtis­ch zu setzen und so zu tun, als würde er arbeiten. Mancini machte viele Fotos und bedankte sich herzlich für das offene Gespräch und den Kaffee.

„Ich beneide Italien um solche Journalist­en wie Sie“, erwiderte der Pfarrer und ging voraus.

25. Eine einsame Heilerin

Als der Chauffeur sich erkundigte, ob er vor dem Haus warten solle, gab Pfarrer Gabriel die Frage an Mancini weiter.

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