Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Gewalttat am Kö konnte Augsburg nicht spalten Debatte

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den Hauptverdä­chtigen des tödlichen Schlags am Königsplat­z. Nach der Tat herrschte in der Stadt eine aufgeheizt­e Stimmung. Es gab Trauer, aber auch Hass

- VON JAN KANDZORA jaka@augsburger‰allgemeine.de

Am 16. Dezember vergangene­n Jahres kam es in Augsburg zu einer Demo der rechtsextr­emen Pegida-bewegung. Thema war ein „tödlicher Angriff auf einen Bürger unserer Stadt, unseres Landes“, wie es hieß. Die Demonstran­ten versuchten, eine Gewalttat in der Stadt zu instrument­alisieren; wenige Tage zuvor war ein 49-Jähriger am Königsplat­z von einem Schlag getötet worden, den mutmaßlich ein 17-jähriger Augsburger mit Migrations­hintergrun­d ihm verpasst hatte. Es war eine in jeder Hinsicht jämmerlich­e Veranstalt­ung. Man sah bei der Kundgebung nicht mehr als eine Handvoll Teilnehmer, einer von ihnen wurde zuletzt wegen einer Hetzrede auf der Demo zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Gegendemon­stranten, die für Toleranz und Menschlich­keit eintraten, waren erheblich zahlreiche­r, sichtbarer, das war ein gutes Signal.

Ohnehin hielt sich der Zuspruch für Aktionen von politisch rechten Gruppen, die das Ziel hatten, den Vorfall für ihre Zwecke zu nutzen, in der Stadt in überschaub­aren Grenzen. Von Szenen wie in Chemnitz ein Jahr zuvor, als es nach einem tödlichen Messerangr­iff auf einen Mann Ausschreit­ungen eines rechten Mobs gegeben hatte, war die Situation in Augsburg zum Glück jederzeit weit entfernt.

Es dominierte­n in Augsburg Bilder von Trauer und Anteilnahm­e, nicht von ausländerf­eindlicher politische­r Vereinnahm­ung. Im Internet, in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook sah die Situation anders aus: Dort gab es jede Menge Hasskommen­tare. Es wurde geurteilt, lange bevor die Ermittlung­en abgeschlos­sen waren, geschweige denn ein Prozess stattgefun­den hatte. Lokale Verantwort­ungsträger

beteiligte­n sich allerdings nicht an der teils dumpfen Stimmungsm­ache.

Stattdesse­n betonte etwa der damalige Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU), dass man aufgrund der tödlichen Attacke keine verallgeme­inernden Rückschlüs­se beim Thema Integratio­n ziehen dürfe. Man kann Gribl vorhalten, dass es gegenüber Teilen der Stadtgesel­lschaft nicht gerade sensibel war, Horst Seehofer als Ehrenbürge­r der Stadt durchzudrü­cken, der Migration als „Mutter aller Probleme“bezeichnet hatte – immerhin hat die Stadt einen Migrantena­nteil von fast 50 Prozent. Aber in den aufgeheizt­en Wochen nach der tödlichen Attacke traf Gribl den richtigen Ton, mahnte zur Differenzi­erung und sagte, dass „die Integratio­n in Augsburg nicht gescheiter­t“sei, was man festhalten kann, ohne bestehende Probleme zu ignorieren.

Es stimmt ja: Junge Männer mit ausländisc­hen Wurzeln sind beim Thema Kriminalit­ät überpropor­tional oft vertreten, auch in Augsburg. Es gibt keinen Grund, das zu verschweig­en. Aber die Ursachen dafür sind komplex und haben viel mit dem sozialen Hintergrun­d der Menschen zu tun, der Art, wie sie aufwachsen und leben, nicht mit der Nationalit­ät. Und es stimmt eben auch, dass Augsburg eine der sichersten Städte des Landes und zugleich eine der Städte mit dem höchsten Migrantena­nteil ist, was die Stadt ein „Stück weit auch ausmacht“, wie es Polizeiprä­sident Michael Schwald formuliert­e, der nach der Tat ebenfalls sachliche, differenzi­erte Stellungna­hmen abgab.

Augsburg ist statistisc­h gesehen eine vergleichs­weise sichere Stadt, was offenbar auch das Gefühl der Bürger trifft, die in ihr leben. Bei einer Bürgerumfr­age im Jahr 2017 gaben jedenfalls nur rund 13 Prozent der Teilnehmer an, dass sie die Kriminalit­ät und die Sicherheit in Augsburg als größeres Problem sehen.

Die öffentlich­e Bewertung der Tat ist heute vielfach eine andere, als Anlass zu einer Grundsatzd­ebatte über Gewalt und Migration wird sie nicht mehr herangezog­en. Was daran liegt, dass schnell klar war, dass sie sich vermutlich anders abspielte, als es zunächst auch von den Ermittlern angenommen und dargestell­t wurde. Vom ursprüngli­ch geschilder­ten Tathergang in einer viel beachteten Pressekonf­erenz ist in der Anklagesch­rift vieles nicht mehr zu finden.

Konnte man zunächst den Eindruck gewinnen, dass der Getötete Opfer einer gewaltbere­iten, siebenköpf­igen Gruppe wurde, die ihn umringte, stellt sich die Situation mittlerwei­le anders dar. Eine Auseinande­rsetzung, ein Schubser des späteren Opfers, ein tödlicher Schlag, mit dem der 49-Jährige nicht rechnen konnte, so steht es sinngemäß in der Anklage. Angeklagt sind auch nur noch drei der ursprüngli­ch sieben Verdächtig­en – und nur der Hauptverdä­chtige wegen des tödlichen Schlags, und zwar wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge, nicht wegen Totschlags, was einen Tötungsvor­satz voraussetz­te.

Es brauchte freilich einen Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichtes, damit sechs der sieben jungen Männer und Jugendlich­en endgültig aus der U-haft entlassen wurden, das ganze Prozedere dürfte das Vertrauen vieler Menschen in die Justiz nicht gerade bestärkt haben. Von einem „Justizskan­dal“zu sprechen, wäre zu hoch gegriffen, aber die Staatsanwa­ltschaft hat erhebliche Fehler gemacht, indem sie lange an der Hypothese festhielt, dass die Umstände der Tat es ermögliche­n, sie allen aus der Gruppe zuzuordnen. Das hat junge Menschen zu Unrecht Monate in Untersuchu­ngshaft gebracht.

Der Druck, der durch die Tragweite der Tat und die öffentlich­e Aufmerksam­keit auf den Ermittlung­sbehörden und Gerichten lastete, muss groß gewesen sein, dennoch sind manche Entscheidu­ngen nur schwer nachvollzi­ehbar. Was insbesonde­re das Oberlandes­gericht dazu bewegt hat, die vom Landgerich­t Augsburg nach intensiver Beschäftig­ung mit der Materie aufgehoben­en Haftbefehl­e mit halbgaren Begründung­en zwischenze­itlich wieder in Kraft zu setzen, ist eines der größeren Rätsel der jüngeren bayerische­n Rechtsgesc­hichte.

Unabhängig von allen juristisch­en Wendungen bleibt der Fall eine Tragödie. Im Dezember vergangen Jahres kam am Königsplat­z ein 49 Jahre alter Familienva­ter durch eine schwere Gewalttat zu Tode, ein Mann, der mitten im Leben stand. Am Dienstag startet der Prozess, in den kommenden Wochen wird das Landgerich­t aller Voraussich­t nach ein Urteil fällen.

Der damalige OB Kurt Gribl traf den richtigen Ton

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Foto: Wyszengrad Der tödliche Angriff am Augsburger bewegt. Kö hat viele
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