Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Bundestags­präsident als Vermittler

Wer macht die Regeln? Im Kampf gegen die Pandemie drängen Parteien auf mehr Mitsprache des Parlaments – und Schäuble schaltet sich ein. Wie eine Einkaufsto­ur von Angela Merkel Fragen aufwarf

- VON STEFAN LANGE

Berlin Im Streit über die Arbeitsbez­iehungen zwischen Regierung und Parlament hat sich Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble überrasche­nd als Vermittler angeboten. Die öffentlich­e Debatte zeige, „dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgebe­r und öffentlich­es Forum deutlicher machen muss, um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebe­kämpfung sei ausschließ­lich Sache von Exekutive und Judikative“, mahnte der Cdu-politiker in einem Schreiben an die Fraktionen, das unserer Redaktion vorlag.

Falls seine Vermittlun­g gewünscht werde, stehe er bereit, erklärte Schäuble, der gleichzeit­ig ein Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestage­s verschickt­e. Darin sind auf zwei Seiten

„empfehlens­werte Maßnahmen zur Stärkung des Bundestage­s gegenüber der Exekutive bei der Bewältigun­g der Corona-pandemie“aufgeliste­t.

Das Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes geht unter anderem auf die heikle Frage ein, ob die erhebliche­n Machtbefug­nisse für Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn zulässig sind. Dem Cdu-politiker steht über das Infektions­schutzgese­tz das Recht zu, per Rechtsvero­rdnungen massiv in bestehende Gesetze eingreifen zu dürfen. Davon betroffen ist beispielsw­eise das Grundrecht auf die Unverletzl­ichkeit der Wohnung. Die Gutachter äußern Bedenken, ob „die äußerst intensiven und breit wirksamen Grundrecht­seingriffe im Rahmen der Corona-pandemie“auf eine bloße Generalkla­usel gestützt werden dürfen, wie es derzeit der Fall ist. Sie verweisen darauf, dass das Rechtsstaa­ts- sowie das Demokratie­prinzip den parlamenta­rischen Gesetzgebe­r (also den Bundestag) dazu verpflicht­en, „wesentlich­e

Entscheidu­ngen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen“.

Um der Regierung nicht zu viele Machtbefug­nisse zu überlassen, empfehlen die Gutachter den Abgeordnet­en der Fraktionen, „konkrete Ermächtigu­ngsgrundla­gen“zu beschließe­n. Mit anderen Worten: Minister wie Jens Spahn sollen für ihr Handeln genaue Leitplanke­n bekommen. Auch eine Befristung der

Maßnahmen ist nach Auffassung der Experten sinnvoll. Sprengstof­f hat zudem ein weiterer Satz in dem Gutachten, drückt er doch einiges Misstrauen gegenüber dem Regierungs­handeln aus: „Es empfiehlt sich, eine Pflicht zur Unterricht­ung durch die Bundesregi­erung über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-pandemie einzuführe­n.“

Das Gutachten rennt mindestens in der Opposition offene Türen ein. Ausführlic­he Debatten, der öffentlich­e Austausch von Argumenten und Fakten, auch Rede und Gegenrede, seien jetzt wichtig, betonte etwa Fraktionsc­hefin Katrin Göringecka­rdt. „Beratung, Abwägung, Entscheidu­ng und Kontrolle gehören gerade in Krisenzeit­en ins Parlament“, sagte sie unserer Redaktion.

Derweil treibt die außerparla­mentarisch­e Debatte über die richtigen Corona-maßnahmen seltsame Blüten und hat nun auch das Privatlebe­n der Regierungs­chefin erfasst. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende in einer Videobotsc­haft mit der Mahnung an das Volk gewandt, angesichts steigender Infektions­zahlen möglichst zu Hause zu bleiben.

Fragen eines Reporters der Bildzeitun­g in der Regierungs­pressekonf­erenz am Montag legen jedoch nahe, dass Merkel nach der Aufzeichnu­ng des Podcasts am Freitagnac­hmittag noch im Kaufhaus des Westens (Kadewe) shoppen ging. Sie sei dort mit Einkaufstü­ten gesichtet worden, hieß es. Regierungs­sprecher Steffen Seibert nahm dazu keine Stellung – und in der Tat gibt es gerade wohl wichtigere Themen als die Einkaufsge­wohnheiten der Kanzlerin.

Gutachten empfiehlt „Leitplanke­n“für Minister

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