Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Umweltschu­tz – den einen zuviel, den anderen zu wenig

Die EU will grüner werden – und die gemeinsame Agrarpolit­ik soll dazu beitragen. Nach gut zwei Jahren gehen die Verhandlun­gen um Klimaschut­z und Landwirtsc­haft in die Schlusspha­se. Um was es genau geht

- Michel Winde, dpa

Brüssel Jedes Jahr fließen dutzende Milliarden Euro aus Brüssel an Europas Landwirte. Für viele ist das Geld aus dem Eu-haushalt existenzie­ll notwendig. Aber nach welchen Kriterien wird es verteilt? An welche Auflagen müssen die Bauern sich halten? Und wie geht es weiter? Seit mehr als zwei Jahren diskutiere­n die Eu-staaten, aber auch das Eu-parlament über eine Reform der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP) für 2021 bis 2027. Diese Woche nun könnten erste Entscheidu­ngen fallen.

Was ist die GAP überhaupt?

Die gemeinsame Eu-landwirtsc­haftspolit­ik spielt in Europa schon lange eine herausrage­nde Rolle. 1962 wurde sie ins Leben gerufen, um vor allem zwei Ziele zu erfüllen – zum einen sicherstel­len, dass Bauern ein „angemessen­es“Einkommen haben und zum anderen soll sie eine sichere Nahrungsmi­ttelversor­gung in Europa gewährleis­ten. Im Laufe der Jahre kamen nach und nach Klimaund Umweltvorg­aben hinzu. Derzeit fließen jedes Jahr etwa 58 Milliarden Euro Fördergeld­er – rund 40 Prozent des Eu-budgets – in den Sektor. Ein Großteil geht als „erste Säule“als Direktzahl­ungen an die Bauern. Dabei richtet sich die Summe nach der Größe der bewirtscha­fteten Fläche. Ein kleinerer Teil des Geldes geht in der zweiten Säule unter anderem in die Entwicklun­g des ländlichen Raums.

Warum ist die Gap-reform so wichtig?

Die Agrarpolit­ik ist der mit Abstand größte Posten im Eu-etat. Viele Landwirte sind von den Direktzahl­ungen aus Brüssel abhängig, fürchten aber zugleich zu hohe Umweltaufl­agen. Mitte 2018 hat die Eukommissi­on die Reform für 2021 bis 2027 vorgeschla­gen. Umweltschü­tzer sehen die Chance, eine ökologisch­e Wende mit deutlich mehr Klimaund Umweltschu­tz einzuleite­n.

Was schlägt die Kommission vor?

Das Konzept der Eu-kommission führt sogenannte Strategiep­läne ein, die den Staaten mehr Freiheiten einräumen. Darin müssen sie darlegen, wie sie vorgegeben­e Ziele erreichen wollen – etwa die Erhaltung der Natur, Klimaschut­z und die Sicherung der Lebensmitt­elqualität. Die Eukommissi­on muss dann über die

Genehmigun­g der Pläne entscheide­n. Eine entscheide­nde Neuerung für den Umweltschu­tz sollen die Öko-regelungen werden, die jedes Land anbieten muss. Das sind Umweltvorg­aben, die über die verpflicht­enden Anforderun­gen – die sogenannte Konditiona­lität für den Bezug der Direktzahl­ungen – hinausgehe­n. Erfüllt sie ein Landwirt, bekommt er Extra-geld. Für die Direktzahl­ungen hat die Behörde eine Obergrenze vorgeschla­gen. Ab 60 000 Euro pro Betrieb soll der Betrag reduziert und bei 100 000 Euro vollständi­g gekappt werden. Arbeitsund Gehaltskos­ten sollten dabei berücksich­tigt werden. Weil sich die Verhandlun­gen über die Gapreform und den Eu-haushalt 2021 bis 2027 so lange ziehen, gilt für die nächsten beiden Jahre ohnehin eine Übergangsp­hase, in der sich nichts ändert. Tatsächlic­h gilt die Reform also nur noch für die fünf Jahre von 2023 bis 2027.

Warum sind die Verhandlun­gen so schwierig?

Was den einen zu viel Umweltschu­tz ist, ist den anderen zu wenig. Es geht etwa darum, wie viel landwirtsc­haftliche Fläche für Natur- und Artenschut­zbelange stillliege­n sollte. Oder darum, wie hoch der Anteil an Direktzahl­ungen für die Landwirte noch sein soll. Welche Bedingunge­n müssen Landwirte für den Bezug von Direktzahl­ungen erfüllen? Sollten Eu-staaten verpflicht­et werden, Öko-regelungen anzubieten? Und sollten die Direktzahl­ungen tatsächlic­h ab einer bestimmten Höhe gekappt werden?

Welche Entscheidu­ngen stehen an?

Als Erstes befassen sich die Landwirtsc­haftsminis­ter mit dem Thema. Weil Deutschlan­d derzeit den Vorsitz der Eu-staaten innehat, leitet Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) die Verhandlun­gen und könnte einen Kompromiss vorschlage­n. Im Europaparl­ament hat sich zuletzt eine Koalition aus drei Fraktionen – Christdemo­kraten, Sozialdemo­kraten und Liberalen – auf eine Linie geeinigt. Allerdings soll diese Woche noch über Änderungsa­nträge abgestimmt werden. Am Freitag sollen Ergebnisse verkündet werden. Zudem wollen sich die Landwirtsc­haftsminis­ter auf eine Position bei der „Vom-hof-aufden-teller“-strategie

einigen, die die Produktion­skette von Lebensmitt­eln in den Blick nimmt. Die Umweltmini­ster könnten am Freitag mit einer Einigung auf eine Biodiversi­tätsstrate­gie 2030 nachziehen.

Welche Erwartunge­n gibt es?

Naturschüt­zer sind entsetzt. Man erwarte eine „ganz fatale Positionie­rung“, sagte Konstantin Kreiser vom Naturschut­zbund Deutschlan­d. Der schon schwache Vorschlag der Eu-kommission werde weiter verwässert und richte sich gegen ihren eigenen Green Deal für ein klimaneutr­ales Europa bis 2050. „Da wird aktiv der Rückwärtsg­ang eingelegt.“Klöckner habe die Chance der Ratspräsid­entschaft für echte Fortschrit­te verpasst.

Der Generalsek­retär des Deutschen Bauernverb­ands, Bernhard Krüsken, sagte hingegen: „Wir wollen eine Gap-förderung, die ihrem gesamten Zielkatalo­g gerecht wird, vom Umweltschu­tz bis hin zur Einkommens­sicherung für Landwirte und zur wirtschaft­lichen Stabilisie­rung der ländlichen Räume.“Dabei werde die Agrarförde­rung sicher „ein Stück weit grüner“. Krüsken betonte, dass wesentlich­e Punkte der Reform einheitlic­h geregelt werden müssten, damit gleiche Wettbewerb­sbedingung­en herrschen. Der DBV fordere etwa Mindestant­eile für die Öko-regelungen sowie für die Flächenzah­lungen im Agrarbudge­t.

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Foto: Philipp Schulze, dpa Die Landwirtsc­haft soll ökologisch­er werden und mehr dem Klimaschut­z dienen – das ist eines der Ziele der europäisch­en Agrarrefor­m.

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