Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unten das Kreuz, oben die Wolke

Ursula Geggerle-lingg und Beatrix Eitel in der Galerie in Oberschöne­nfeld: Wie man der Konkreten Kunst in die Parade fahren kann

- VON GÜNTER OTT

Die Konkrete Kunst ist im Ausstellun­gsbetrieb wie auf dem Markt ins Hintertref­fen geraten. Das muss nicht so bleiben. Moden kommen, Moden gehen. Hilfreich ist zunächst der Blick ins Lexikon: Der Begriff Konkrete Kunst tauchte erstmals 1930 in der Zeitschrif­t „Art Concret“des Niederländ­ers Theo van Doesburg auf. Ins Abseits gestellt wird die Naturnacha­hmung, auch die beliebt-abstrakte Momentaufn­ahme. Ein bildnerisc­hes Element, so weiter im Lexikon, bedeute nur sich selbst. Weitere Charakteri­stika: Visuelle Kontrollie­rbarkeit und exakte Technik.

Betritt man mit diesem Basiswisse­n die Doppelauss­tellung „Zweimal konkret“in der Schwäbisch­en Galerie in Oberschöne­nfeld, sieht man sich alsbald zu Korrekture­n veranlasst. Seit wann hält sich Kunst an den schnöden Begriff! So strebt Ursula Geggerle-lingg durch ihre oft zartblaue, auch ins Grünliche spielende, auf Rot, Orange und Weiß setzende Farbgebung durchaus jenen Lyrismus an, den die „reine“Konkrete Kunst ausschließ­t.

Generell sperrt die Regelmäßig­keit die Eigenart nicht aus, schleicht sich das Unstetige in die Standardis­ierung ein, irritieren Abweichung­en die geometrisc­he Struktur. Das geschieht bei Geggerle-lingg (allzu) offensicht­lich. Sie verschiebt in „Altes Leinen“(Acryl, Karton, Holz, 2020) das Netzgewebe aus der Geraden, variiert den Farbauftra­g, vor allem konterkari­ert sie die Bildordnun­g durch das bizarre Format. In ihren jüngsten Acrylarbei­ten, im

Stock zu sehen, hinterfäng­t sie das Muster durch bläuliche Wolkenbild­ungen, solcherart Konkrete Kunst mit der informelle­n Kunst verbindend.

Ihr „Golden Gate“(2017) ist ein auf den Boden gebreitete­s, auf Klötzchen ruhendes, sich wellendes Schaumstof­fnetz. Blaue Holzkreuze markieren im Nebenraum die 46-teilige, aus der Regelmäßig­keit ausscheren­de Bodeninsta­llation „Kreuzstich“(2018). So bezieht die 1957 in Neu-ulm geborene, in Wertingen lebende Künstlerin den Ausstellun­gsraum ein. Viele ihrer Malereien wandeln die Senkrecht-waagrecht-struktur ab, die „grundlegen­den Achsen von Schwerkraf­t und Horizont“(Geggerle-lingg). Die Kreuzungsp­unkte von Vertikale und Horizontal­e versteht die Künstlerin als „Energiepun­kte“. „Hier treffen sich zwei Richtungen, die Verbindung ins Unendliche haben.“Das Zitat belegt, dass konkrete Kunst sich in diesem Fall gerade nicht in der Selbstbede­utung erschöpft.

Abwechslun­gsreicher und vielschich­tiger stellt sich das Werk von Beatrix Eitel dar. Ihre Sehschule verhandelt weniger Grundsätzl­iches, als dass sie mit überrasche­nden Konstellat­ionen aufwartet und möglichen Erkenntnis­blitzen Raum gibt. Bewunderns­wert ihr Langmut. In der Bleistiftz­eichnung, „Schriftstü­ck“genannt, schafft sie aus kleinsttei­ligen Elementen eine dichte, undurchdri­ngliche Struktur. Sie erscheint wie von einem Wellenober­en schlag erfasst, von dunkleren und helleren, von vertikalen und horizontal­en Bahnen gezeichnet, an den Rändern „ausgefrans­t“, potenziell ins Unbegrenzt­e strebend. Schön, wie sich in der Bleistiftd­ichte weiße Auslassung­en wie Risse auftun und fast ein tänzerisch­er Zug durchs Feingewebe läuft.

Beatrix Eitel, 1964 im rumänische­n Kronstadt geboren, seit 1992 freischaff­end in Büttelbron­n (Landkreis Weißenburg-gunzenhaus­en) zu Hause, variiert mit Sinn für Nuancen perforiert­es Papier. Sie schichtet es, ausgehend von Kreuz und Kreis, zum mehrlagige­n Relief („Transskrip­tion“, 2020). Nicht zuletzt präsentier­t sie drei außergewöh­nliche Objekte bzw. Installati­onen. Zunächst die (nach einem Mineralwas­ser benannte) „Jesuitenqu­elle“(2015) aus Schraubver­schlüssen, die wie Polypen aus der Unterwasse­rwelt anmuten. Sodann das aufwendig aus Kunststoff­deckeln und Kabelbinde­rn gebaute Wandobjekt (2015), bei dem ein drastische­r Einschnitt die Vorstellun­g der schön gefügten Scheibe desavouier­t. Schließlic­h die von der Decke hängende „Cloud“(2020), ein beunruhige­nder, ja bedrohlich­er „Baldachin“aus lauter eng gerollten, bedruckten, teils rötlichen Telefonbuc­hseiten. Was für eine fantasievo­lle Geduldsarb­eit und was für ein Denkanstoß gleicherma­ßen: Die Daten sind uns längst über den Kopf gewachsen!

Zweimal konkret: Beatrix Eitel und Ursula Geggerle‰lingg; Mu‰ seum Oberschöne­nfeld, bis 22. Novem‰ ber; Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Die Installati­on „Cloud“von Beatrix Eitel in der Ausstellun­g „Zweimal konkret“– zu sehen in der Schwäbisch­en Galerie von Oberschöne­nfeld.
Foto: Marcus Merk Die Installati­on „Cloud“von Beatrix Eitel in der Ausstellun­g „Zweimal konkret“– zu sehen in der Schwäbisch­en Galerie von Oberschöne­nfeld.
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Galerie
Oberschöne­nfeld – im
Bild
Foto: Marcus Merk Ausstellun­g „Zweimal konkret“Schwäbisch­e Kreuzstich von Ursula Geggerle‰lingg Galerie Oberschöne­nfeld – im Bild

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