Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unter Sündern

Jorge Bergoglio wurde 2013 Papst, weil er im Vatikan ausmisten sollte. Seine Reformen waren erst überrasche­nd, dann enttäusche­nd. So geht es bis heute weiter. Stellt sich also die Frage: Wer ist dieser Papst Franziskus wirklich?

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Gemäßigten Schrittes wandeln die 115 Kardinäle in die Sixtinisch­e Kapelle. „Veni Creator Spiritus“, singen die alten Männer in der Prozession; auf diese Weise soll bei wichtigen Anlässen in der katholisch­en Kirche der Heilige Geist herbeigeru­fen werden. Es ist das Konklave im März 2013. Benedikt XVI. war altersmüde und von Skandalen gebeugt zurückgetr­eten. Nun geht es darum, einen Nachfolger zu finden. Der soll, natürlich, eine herausrage­nde Persönlich­keit sein, die die Kirche in dieser schwierige­n Zeit zu führen im Stande ist. Aber vor allem zwei Dinge haben die meisten Kardinäle jetzt im Kopf: Der Neue muss ausmisten im Vatikan und, wenn möglich, soll der zukünftige Papst kein Italiener sein.

Dann grüßt am Abend des 13. März der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio, als Papst Franziskus von der Mittellogg­ia des Petersdoms. Ein den meisten unbekannte­r Argentinie­r soll fortan die 1,3 Milliarden Katholiken führen und die Korruption im Vatikan beenden. Franziskus bezirzt die Öffentlich­keit mit seinem Auftreten – und macht gleich Nägel mit Köpfen. Er richtet eine Kommission für die Reform der Vatikanban­k (IOR) ein und beruft eine weitere Kommission für die Reform der Vatikanfin­anzen. Franziskus tut, wie ihm geheißen. Plötzlich kommt aber auch unverhofft­er Schwung in die innerkirch­lichen Reformen. Das ist für viele Kardinäle unerwartet, sie hatten sich einen dogmatisch zuverlässi­gen Aufräumer gewünscht.

Doch wer ist Papst Franziskus wirklich? Aufräumer, Reformer, Konservati­ver oder Bremser? Für jedes Etikett gibt es Anhaltspun­kte.

In den vergangene­n Tagen kam unerwartet der Reformer wieder hervor. „Eine homosexuel­le Person hat das Recht auf eine Familie“, sagte Franziskus in einem Interview, das im Dokumentar­film „Francesco“des Filmemache­rs Jewgeni Afinejewsk­i ausgestrah­lt und gerade erstmals veröffentl­icht wurde. Es handle sich um „Kinder Gottes“, die nicht aus der Familie ausgestoße­n werden könnten. „Was wir machen müssen, ist ein Gesetz des zivilen Zusammenle­bens“, sagte Franziskus in dem Interview auf Spanisch. Homosexuel­le Paare „müssen rechtlich geschützt sein“.

Erstmals sprach sich damit ein Papst für gleichgesc­hlechtlich­e Lebensgeme­inschaften und deren rechtliche Anerkennun­g aus. Für die Kirche, die Homosexual­ität offiziell als „objektiv ungeordnet“bezeichnet, ist das eine Revolution. Sogleich fuhren die Hüter der Doktrin Franziskus in die Parade. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, von Franziskus 2017 als Chef der Glaubensko­ngregation

entlassen, sagte, Franziskus habe „große Verwirrung“gestiftet. Der Papst stehe nicht über dem Wort Gottes.

Franziskus befindet sich seit jeher zwischen den Polen. Die Instrument­alisierung­en sind auch deshalb an der Tagesordnu­ng, weil er sich kaum in die gängigen Schemata einbinden lässt. Bei den Familiensy­noden drängte er sichtbar auf einen pastoralen, menschenfr­eundlichen Zugang beim Thema des Kommunions­empfangs wieder verheirate­ter Geschieden­er, den er schließlic­h in offizielle­n Dokumenten festschrie­b.

Der Amazoniens­ynode im Herbst 2019 folgte dann aber keineswegs die Genehmigun­g der Weihe von viri probati, also ehrenhafte­n, auch verheirate­ten Laien als Ersatz für dem Zölibat unterliege­nde katholisch­e Priester. Die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d, die mit ihrem synodalen Weg in die vom Papst geschlagen­e Bresche sprang, sah sich plötzlich alleine gelassen bei ihren Bemühungen um ein Fortkommen. Der Vatikan bremste die Deutschen mehrfach aus, zuletzt mit einer Instruktio­n der Kleruskong­regation, die der Übertragun­g von Leitungsfu­nktionen in der Gemeinde an Laien enge Grenzen setzt.

Auch beim Thema Missbrauch scheint sein Aufklärung­swille nur bedingt. Der versproche­ne Untersuchu­ngsbericht zum Fall des 2019 in den Laienstand versetzten Kardinals Theodore Mccarrick lässt immer noch auf sich warten. Ist Vertuschun­g weiter Teil der Strategie, fragen sich Beobachter? Hat Franziskus selbst etwas zu verbergen?

Wohl auch. Und oft sind seine Methoden unklar oder wirken improvisie­rt. Das gerade erneuerte Abkommen mit China zur Ernennung von Bischöfen sorgt auch außerhalb des Vatikans für Unverständ­nis. Wie glaubwürdi­g ist Franziskus, auf dessen Agenda die Aufmerksam­keit für Armut und Ausgrenzun­g stehen? Biedert sich ausgerechn­et Franziskus dem kommunisti­schen Regime in Peking an und toleriert dessen Menschenre­chtsverlet­zungen?

Das zuweilen unbefriedi­gende, aber immer wieder erhellende Prinzip, nach dem Franziskus agiert, hat er in seiner Apostolisc­hen Programmsc­hrift „Evangelii Gaudium“aus dem ersten Amtsjahr festgehald­es ten. „Die Zeit ist mehr wert als der Raum“, heißt es da. „Dieses Prinzip erlaubt uns, langfristi­g zu arbeiten, ohne davon besessen zu sein, sofortige Ergebnisse zu erzielen.“Von Geduld und der Hinnahme von „Änderungen bei unseren Vorhaben“ist dort die Rede und von der „Dynamik der Wirklichke­it“.

Anders gesagt: Man hätte es seit November 2013 wissen können, dass Franziskus zwar Reformen anstoßen will, sie aber nicht um jeden Preis vorantreib­t. Der Papst nennt es „Prozesse in Gang setzen“, bis zum Ende kann er sie aber nicht immer durchführe­n. Die Wirklichke­it ist eine andere.

Die Wirklichke­it trägt unter anderem den Namen „Gerhard Ludwig Müller“oder „Weltkirche“. Denn was in Deutschlan­d schon denkbar wäre, würde in anderen Gegenden der Welt als Sakrileg empfunden. Was Franziskus nicht will, ist die Spaltung der Kirche.

Das Prinzip des Anstoßens von Prozessen, die langsam zu Ergebnisse­n führen, ist etwa bei den Wirtschaft­sreformen zu erkennen. Der jüngste Skandal um den entlassene­n Kardinal Giovanni Angelo Becciu ist in gewisser Weise der Nachhall der Reformschr­itte seit 2014.

Erstmals, so scheint es, kommen finanziell­e Unregelmäß­igkeiten im Vatikan ans Licht – nicht weil Papiere von Interessen­gruppen im Kirchensta­at an die Presse geleakt werden, sondern weil interne Ermittlung­en geführt wurden und interne Ermittler den dubiosen Machenscha­ften einer Clique auf die Schliche kamen. Die Aufdeckung jüngsten Skandals ist unter diesen Gesichtspu­nkten ein Erfolg für Papst Franziskus, sieben Jahre nach Amtsbeginn. Die andere, ewige Frage, in der Kirche drängt sich aber auch gleich auf: Muss wirklich alles immer so lange dauern?

Vor etwa einem Monat, am 24. September, wurde Kardinal Becciu vom Papst entlassen. „Ich habe kein Vertrauen mehr in Sie“, sagte Franziskus. Der Papst enthob den Präfekten der Kongregati­on für Heiligspre­chungen und ehemaligen Substitute­n im Staatssekr­etariat nicht nur seines Amtes, sondern auch seiner Rechte als Kardinal. Ein einmaliger Vorgang. „Entlassen mit einem Amen“, schrieb der Corriere della

Sera. Die Wucht der doppelten Strafe war enorm. Hier sollte ein Exempel statuiert werden mit dem Signal: Die Zeiten der Vetternwir­tschaft sind vorbei.

Der Papst beschuldig­te Becciu unter anderem, als Substitut 100 000 Euro an die Caritas der Heimat-diözese auf Sardinien überwiesen zu haben. Das Geld soll allerdings für die Wohltätigk­eitsorgani­sation eines Bruders Beccius bestimmt gewesen sein. „Es ist klar, dass die Geschäftch­en, privaten Bevorteilu­ngen, die im Vatikan immer die Regel waren, unter Papst Franziskus nicht mehr möglich sind“, sagt der Journalist Luigi Accattoli, der den Vatikan seit 1976 aus nächster Nähe beobachtet.

Seither geistern neue Details zum

Finanzgeba­ren des Ex-kardinals durch die italienisc­hen Gazetten. Im Fokus steht eine 39 Jahre alte Sardin, die 500 000 Euro von Becciu aus der Vatikan-kasse erhalten haben soll. Cecilia Marogna verteidigt­e sich, sie sei als Geheimdipl­omatin in internatio­nalen Missionen für den Vatikan tätig gewesen, um Missionare­n in Konfliktsi­tuationen zu helfen. Die Gutschrift­en Beccius liefen unter der Chiffre „humanitäre Missionen“. Vatikan-ermittler vermuten hingegen, Marogna habe das Geld für Shopping in Luxusbouti­quen wie Prada, Moncler oder Tod’s ausgegeben. Die Fantasien der Klatschpre­sse sind seither kaum zu bremsen.

Alles begann im Jahr 2013, als Franziskus neuer Papst wurde. Einige Monsignori im Staatssekr­etariat, darunter Beccius engste Mitarbeite­r, hatten mithilfe dubioser italienisc­her Geschäftsm­änner einen Immobilien-deal eingefädel­t. In London sollte der Heilige Stuhl sich mit 200 Millionen Euro am Kauf der ehemaligen Harrod’s-zentrale beteiligen. Dort sollten Luxuswohnu­ngen entstehen, eine scheinbar sichere Geldanlage und doch ein überrasche­ndes Investment für das Profil der katholisch­en Kirche.

Alle Dokumente gingen über den Schreibtis­ch Beccius, dessen engste Mitarbeite­r mit den in der Branche längst als ruchlos bekannten Geschäftsm­ännern verhandelt­en. Diese kassierten saftige Provisione­n, der Vatikan hingegen zahlte drauf. Das Geld wurde dem sogenannte­n Peterspfen­nig entnommen, eine Kasse aus Spenden der Gläubigen, die dem Papst eigentlich die apostolisc­he und karitative Arbeit erleichter­n soll. Sogar von einem Privatkont­o des Papstes soll Geld entwendet worden sein.

Carlo Bonini, Enthüllung­sjournalis­t von La Repubblica und mit den Details der Ermittlung­en vertraut, spricht von der „größten Plünderung der Ressourcen des Staatssekr­etariats aller Zeiten“. Vielleicht wird demnächst ein Strafproze­ss im Vatikan Klarheit bringen. Die Ermittlung­en laufen noch.

Franziskus steht seit jeher zwischen den Polen

Das alte Problem mit der Vetternwir­tschaft

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Foto: Andrew Medichini/afp, Getty Images Das schwierige Verhältnis ist geblieben: Papst Franziskus mit Vertretern der römischen Kurie, hier wenige Tage vor Weihnachte­n 2019.
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Foto: Tiziana Fabi/afp, Pool/ap, dpa Reformen nicht um jeden Preis: Papst Franziskus.

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