Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Mann mit klarer Haltung

Der Spd-politiker Thomas Oppermann freute sich auf die Zeit nach dem politische­n Alltag. Nun riss ihn sein plötzliche­r Tod aus dem Leben. Bestürzt ist nicht nur die eigene Partei

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Es sollten seine letzten Monate im Bundestag sein. Sein Leben hatte bis dahin der Politik, der Partei gehört. „Nach 30 Jahren als Abgeordnet­er im Niedersäch­sischen Landtag und im Deutschen Bundestag ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, noch einmal etwas anderes zu machen und mir neue Projekte vorzunehme­n“, hatte Thomas Oppermann im Sommer erklärt. Er freute sich auf die Zeit danach. Nun durchkreuz­te das Schicksal seine Pläne jäh: Mit nur 66 Jahren starb der Spd-politiker. Sein Tod löst nicht nur in der eigenen Partei tiefe Bestürzung aus, sondern quer durch alle Lager hinweg. Auch, weil Thomas Oppermann mitten im politische­n Alltag aus dem Leben gerissen wurde: Der Vizepräsid­ent des Bundestage­s sollte im ZDF zum Thema Corona sprechen, die Sendung „Berlin direkt“hatte ihn als Interviewp­artner eingeladen. Wie das so ist in diesen Tagen, saß er nicht direkt im Studio, sondern war aus dem Max-planck-institut in Göttingen zugeschalt­et Der erste Beitrag der Sonntagabe­ndsendung lief gerade, als Oppermann kollabiert­e. Im Krankenhau­s konnten die Ärzte sein Leben nicht mehr retten. Thomas Oppermann hinterläss­t vier erwachsene Kinder.

„Ich habe ihn über viele Jahre als verlässlic­hen und fairen sozialdemo­kratischen Partner in Großen Koalitione­n geschätzt“, erklärte Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Als Vizepräsid­ent des Bundestags habe sich Oppermann „in turbulente­r Zeit um unser Parlament verdient gemacht“. Merkel sprach Oppermanns Familie ihr Beileid aus. Noch tiefer sitzt der Schock in der eigenen Partei. Spdvorsitz­ende Norbert Walter-borjans schrieb auf Twitter: „Ein schwerer Schock für uns alle. Wir sind tief erschütter­t und trauern mit seinen Angehörige­n.“Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil twitterte, er habe Oppermann als Gesprächsp­artner und Ratgeber sehr geschätzt. „Seine Leidenscha­ft für Politik war für jeden spürbar. Sein viel zu früher Tod schockt mich.“Vizekanzle­r Olaf Scholz schrieb: „Unser Land verliert einen versierten Politiker, der Bundestag einen herausrage­nden Vizepräsid­enten und die

einen leidenscha­ftlichen und kämpferisc­hen Genossen. Wir alle verlieren einen Freund – und sind traurig.“

Anerkennun­g gab es auch vom politische­n Gegner. Fdp-parteichef Christian Lindner lobte Oppermann als „klugen, debattenst­arken und humorvolle­n Politiker“. „Ich behalte ihn vor allem als Vollblut-parlamenta­rier in Erinnerung“, erklärte Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble. „Wer Thomas Oppermann zuletzt traf, erlebte einen

Mann, der gerade nach der Ankündigun­g seines Abschieds aus der aktiven Politik im kommenden Jahr in sich zu ruhen schien und gleichzeit­ig voller Vorfreude auf kommende Projekte war.“Die Nachricht von Oppermanns Tod bewege ihn sehr.

Oppermann war einer jener Menschen, denen man ihr Alter kaum ansah. Der auch in schwierige­n Zeiten seinen Humor nicht verlor und mit einem Spruch ganze Runden unterhalte­n konnte. Fußballfan war er, kickte begeistert für die Politikers­pd

Mannschaft des „FC Bundestag“. Mit Freunden ging er wandern, auch Journalist­en lud er zu Touren auf den Brocken ein. Vorgezeich­net war sein Weg nicht: Oppermann stammt aus Westfalen, sein Vater war Molkereime­ister, als einziges der vier Kinder machte er – trotz zweier Ehrenrunde­n – sein Abitur. Er verweigert­e den Wehrdienst, ging für die Organisati­on Sühnezeich­en in die USA, später studierte er Jura in Göttingen, wo er seinen Berufsweg als Richter begann. Im Jahr 1980 trat er in die SPD ein.

Seine politische Karriere begann 1990 im niedersäch­sischen Landtag. Gerhard Schröder war es, der ihn zum Landesmini­ster machte: Ab 1998 wurde er Minister für Wissenscha­ft und Kultur, das Amt behielt er bis zum Jahr 2003. Zwei Jahre später zog er in den Bundestag ein, wo er seither hohe politische Ämter für seine Partei innehatte. Seinen Wahlkreis Göttingen gewann er viermal hintereina­nder direkt. Zuletzt setzte sich der 66-Jährige besonders für eine Verkleiner­ung des Bundestags und eine Reform des Wahlrechts ein.

Bundesmini­ster wäre er gerne geworden, dieser Weg blieb ihm verwehrt. Doch ohne ihn hätte der SPD eine wichtige Säule gefehlt – einer, der zu seiner Haltung steht, auch, wenn sie nicht der Parteilini­e entspricht. Er akzeptiere Beschlussl­agen der SPD, sagte Oppermann einmal in einem Interview. „Ich akzeptiere aber weder als Sozialdemo­krat noch als Wissenscha­ftsministe­r Denkverbot­e für die Zukunft.“Auch in den schwierige­n Coronamona­ten bewahrte er seine klare Haltung. Als im Sommer bei einer Demonstrat­ion gegen die Coronabesc­hränkungen Demonstran­ten bis an das Reichstags­gebäude vordrangen, verurteilt­e er dies scharf: „Wenn ein Mob von radikalen Demonstran­ten die Treppe des Westportal­s des Reichstags stürmt, dann wird der Eindruck erweckt, unsere Demokratie kann einfach mal so hinweggefe­gt werden. Dabei ist das Gegenteil richtig.“

„Ich behalte ihn vor allem als Vollblut‰parlamenta­rier in Erinnerung.“

Wolfgang Schäuble

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Foto: Michael Kappeler, dpa Die SPD verliert mit Thomas Oppermann einen ihrer profiliert­esten Politiker.

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